Was ist Kriegslust12.04.25

Hans-Joachim Maaz
Friedensfähigkeit und Kriegslust

https://www.frank-timme.de/de/programm/produkt/friedensfahigkeit-und-kriegslust

Ich bin dieses Jahr 80 geworden und war schon innerlich auf
eine abschließende Lebensphase eingestellt: zufrieden, erfüllt,
dankbar, versöhnlich und friedfertig. Aber die erlebte Zuspitzung gesellschaftlicher Destruktivität hat mich noch einmal
herausgefordert, öffentlich Stellung zu beziehen, um wenigstens für mich einem möglichen Vorwurf zu entgehen, den ich
als Kind an die Eltern gerichtet hatte: warum sie nichts gegen
das erkennbare Unheil damals getan haben. Ich weiß natürlich um die mitunter lebensbedrohende Gefahr eines echten
Widerstandes. Heute sind die Gefahren eines Protestes „nur“
Diffamierung und Existenzgefährdung, und damit derlei nicht
noch schlimmer wird, ist jede mahnende Stimme – die ich auch
sein will – eine Pflicht.
Mit den schrecklichen Erfahrungen eines Kriegskindes –
geboren im hochgiftigen Energiefeld der Schlacht um Stalingrad –, belastet mit den Schrecken der Vertreibung aus der
sudetendeutschen Heimat und ganz persönlich auch frühtraumatisiert durch die reale Not und Verstörung der Eltern, haben
sich der Wunsch nach Frieden und die prinzipielle Einstellung.
„Nie wieder Krieg!“ fest in meinem Seelenleben verankert. Damit sind auch der spätere Helferberuf und eine grundsätzliche
gesellschaftskritische Beobachtung als wesentliche Motivation
für mein soziales Leben zu verstehen.
Ich erinnere mich noch an meine ratlose Verzweiflung,
wie sehr ich an der Sprachlosigkeit der Erwachsenen damals
gelitten hatte. Auf meine drängenden Fragen habe ich keine
Antworten bekommen: Wie kann es gelingen, ein ganzes Volk
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mehr oder weniger von einer Kriegsnotwendigkeit zu überzeugen, so dass viele sogar mit Begeisterung und Stolz in den Krieg
ziehen? Wie konnte es sein, dass eine sich zivilisiert nennende
Nation das Verbrechen des Holocaust zuließ, ja ihm durch duldendes Stillschweigen offenbar mehrheitlich passiv zustimmte? Von „ganz normalen Männern“, die Täter wurden, schrieb
später der Historiker Christopher Browning. Als Jugendlicher
entsetzte mich allein schon das Wissen, dass Menschen überhaupt eine aktive Beteiligung an diesem Quälen und Morden
möglich war.
Wie kam das? Es gab keine verstehbaren Erklärungen. Damals hatte ich das erste Mal den Gedanken, hier könne es sich
nur um eine kollektive Erkrankung handeln, für die aber eine
Exkulpation nicht infrage komme, weil keine „Geisteskrankheit“ im psychiatrischen Sinne vorlag, sondern eine massenpsychologische Verstörung und Verwirrung bei propagandistischer Manipulation. In konfrontativen Gesprächen habe ich
dann oft die entschuldigende Aussage gehört: „Das haben wir
doch nicht gewusst!“ Auch wenn damals – im Vergleich zu heute – die Informationsmöglichkeiten wesentlich geringer waren,
erwarte ich von jedem Menschen bei Hinweis oder Verdacht
auf „Falsches“ und „Böses“, nach Erklärungen und Antworten
zu forschen. Offensichtlich aber haben sich sehr viele solchen
Fragen und den drohenden furchtbaren Antworten entzogen,
weil sie selbst irgendwie Beteiligte an der destruktiven Normopathie waren – Mitwirkende an einer pathologischen Gesellschaftsentwicklung, in der das Gestörte, das Falsche für normal
gehalten wird, weil in der Gesellschaft die Folgen falscher Erziehung dominieren.
Im Arztberuf sah ich schließlich eine wesentliche Chance für ganzheitliche Erkenntnisse. Doch im Studium erlebte
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ich die Medizin biologistisch-naturwissenschaftlich, praktisch
auch normopathisch, eingeengt. Um eine systemische Realität
erfassen und verstehen zu lernen, blieb als Fachdisziplin nur
die Psychiatrie/Psychotherapie/Psychoanalyse. Sie bot sich als
eine ganzheitliche bio-psycho-sozio-spirituelle Wissenschaft
an. Ich habe bald verstanden, dass diese Wahl viel von meinem
Wunsch nach Selbsterkenntnis und dem Bemühen um Selbstheilung realisierte. Darin steckt ein Impuls, der bis heute fortbesteht: Selbstreflexion als Basis für die therapeutische Arbeit,
für die Gestaltung des privaten Lebens und für das Verständnis
psychosozialer Verhältnisse.
Die Erwachsenen meines frühen Lebens (Eltern, Verwandte, Lehrer, Experten) waren zu sehr kriegsverstört, als dass sie
mich gut ins Leben hätten führen können. Ich wollte durch
Viellesen, durch Studium und Beruf verstehen lernen, welche
gesellschaftlichen Verhältnisse Menschen krank machen können und schließlich in den Krieg führen. Und ebenso andersherum: wie psychosozial entfremdete Menschen eine kranke
Gesellschaft (Normopathie) ausgestalten. Seit der Erkenntnis
menschlicher Abwehrleistungen gegenüber belastenden Wahrheiten – sie haben eine Schutzfunktion und bergen zugleich
eine Erkrankungsgefahr – war mir auch klar geworden: Man
wird von niemandem gut und wahrheitsgemäß aufgeklärt,
weder von Eltern und Lehrern noch von Experten, Politikern
oder den Medien, sondern man muss sich immer selbst aktiv
informieren und ewig auf der Suche nach Annäherungen an die
Wahrheit und Realität bleiben. Es kann in Zeiten unendlicher
Informationsmöglichkeiten heute keine Entschuldigung mehr
geben, man habe von einer gefährlichen gesellschaftlichen Fehlentwicklung nichts gewusst.

Ich gebe zu, dass Fülle und Vielfalt der Informationen es
schwer machen, sich gut zurechtzufinden. Auf jeden Fall aber
wird man in einer Normopathie den öffentlich-rechtlichen Medienanstalten am wenigsten vertrauen können, weil die normopathische Verfassung einer Gesellschaft nun einmal darin
besteht, dass sich die Bevölkerungsmehrheit an eine Fehlentwicklung anpasst, ohne deren soziopathischen Charakter zu
erkennen und sich daran zu stören. Die Mehrheit ist Gefangene
einer Krankheit des großen Ganzen, und diese Krankheit hat
den medialen Mainstream erfasst und wird von ihm reproduziert. Dann ist auch die Gefahr der Manipulation durch staatliche Beeinflussung am größten, vor allem durch die Besetzung
von Führungspositionen durch politisch opportunes Personal,
durch gezielte Förderung oder Verhinderung, durch Empfehlungen, Anweisungen und Kontrolle. Und wenn eine Mehrheit
sich dann nicht umfassend informiert, bleibt sie gefangen und
es wächst die Gefahr, dass sogar aus formal demokratischen
Strukturen normopathische Verhältnisse erwachsen. Um dabei
nicht vom bequemen, gedankenlosen Mitläufer zum schuldigen Mittäter zu werden, ist Information eine Holpflicht, der
zurzeit noch jeder leicht nachkommen kann.
Dabei gibt es aus meiner Erfahrung eine einfache Empfehlung: Wenn man wissen will, welche politischen Einseitigkeiten oder Lügen verbreitet werden oder welche heimlichen
Ziele verborgen bleiben sollen, muss man sich an den Andersdenkenden, den Verfolgten, Denunzierten und Diffamierten
orientieren. Die sogenannten Verschwörungstheoretiker vertreten meistens eine (Teil-)Wahrheit, welche die Mächtigen und
Mainstream-Mitläufer verleugnen.
In der Folge meiner Frühtraumatisierung hatte ich einen
unbeirrbaren Friedenswunsch als wesentliches Lebensziel
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entwickelt, eine sinnstiftende Aufgabe. Und die schmerzliche
Energie meines Gefühlsstaus war eine wesentliche Überlebenshilfe, eine paziphile Kraft gegen das belliphile soziale Umfeld
entwickeln zu können. (Mit den Wortschöpfungen „paziphil“
und „belliphil“ bezeichne ich die Neigung zu friedfertigen bzw.
feindseligen, kriegerischen Einstellungen.)
Die DDR-Verhältnisse drängten mich, das verhängnisvolle
Zusammenspiel zu verstehen, das durch eine schwer traumatisierte politische Führung mit der Masse der Mitläufer entsteht,
wenn die Kinder familiär, schulisch und politisch-ideologisch
für die kranken Machtverhältnisse zugerichtet werden. Dabei
war das Trauma einer zu frühen Mutter-Kind-Trennung ein
wesentlich pathogener Faktor. Mir wurde erkennbar, dass die
Pathologie einer Gesellschaft in den Kinderstuben erzeugt wird.
Mit meiner tief verinnerlichten Überlebensformel: „Nie
wieder Krieg!“ wurden das Erkennen und Erforschen belliphiler Tendenzen im persönlichen, familiären, sozialen und
gesellschaftlichen Leben eine permanente Herausforderung.
Dabei wuchs die erschreckende Erkenntnis, dass normopathische Gesellschaften in ihrem „Überbau“ sehr unterschiedlich
sein können, aber die psychodynamischen Grundlagen einer
belliphilen Destruktivität überall die gleichen (nicht dieselben)
sind. So bescherte mir meine Lebenszeit Fühlung mit drei deutschen Normopathien: Nationalsozialismus, DDR-Sozialismus,
Finanzkapitalismus. Deren Verbrechen sind nach Art und Ausmaß sehr unterschiedlich und nie in einen Topf zu werfen, aber
in den psychodynamischen Grundlagen fehlender oder behinderter Friedensfähigkeit und verborgener bis offener Kriegslust
sind sie durchaus vergleichbar.
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis verstehe ich das
heute sehr auffällige Bemühen, solche das Verstehen fördernde
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Vergleiche unter Strafe stellen zu wollen, weil die dabei benannte Destruktivität bitterste Realität ist, aber nicht wahr sein soll,
denn das zugrundeliegende menschliche Fehlverhalten betrifft
sehr viele Menschen, vor allem auch, wenn frühe Entfremdung
mit narzisstischen Störungsfolgen an die Macht führt und von
dort breite zerstörerische Kreise zieht. Ich habe in meiner therapeutischen Arbeit viel über die Folgen von Frühtraumatisierung und Narzissmus verstehen gelernt und lernen müssen,
und da es über diese verhängnisvollen Zusammenhänge keine
größere und öffentliche Diskussion gibt, kann ich – mit meinem
gesammelten Erfahrungswissen – dazu nicht schweigen.
Mit der DDR-Sozialisation haben heute viele Ostdeutsche
vielen Westdeutschen etwas Wesentliches voraus: Sie erkennen
leichter politische Lügen, sie haben lernen müssen, dass man
den öffentlichen Medien nicht vertrauen kann, sie kennen die
Tricks einer ideologisch-moralisierenden Manipulation und
Indoktrination. Viele haben darum gekämpft, ihre menschliche
Würde zu wahren, indem sie eine Denunziation für die Stasi
verweigert haben. Mir haben diese Erfahrungen sehr geholfen,
die gesellschaftlichen Bedingungen für Friedensfähigkeit oder
Kriegslust immer besser zu begreifen.
Das falsche Demokratie-Spiel Ost war mit der Wende vollends und zu Recht entlarvt, dagegen blieb das Demokratie-Spiel
West noch einige Jahre erfolgreich getarnt – vor allem durch
den größeren materiellen Wohlstand und eine größere äußere
Freizügigkeit des Lebens. Beides wirkte zwar nach dem Ende
des Zweiten Weltkrieges wie eine Droge gegen die Erkenntnis
der schuldhaften Beteiligung an der besiegten alten Normo
pathie und verschleierte die Gefahr des Entstehens einer neuen
Gesellschaftspathologie. Eine solche Gefahr konnte man sehr
leicht auf den Osten projizieren. Als sich nach Öffnung der
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Mauer der „revolutionäre“ Ruf „Wir sind das Volk!“ zu „Wir
sind ein Volk!“ wandelte, zeichnete sich bereits die Tendenz
ab, dass auch vielen Ostdeutschen die Flucht in die Drogenwelt des Westens leichter und angenehmer sein würde, als sich
mit der eigenen Schuld an den DDR-Verhältnissen auseinanderzusetzen. Erst mit der Enttäuschung und Ernüchterung im
deutschen Vereinigungsprozess lösten sich Teile der Betäubung.
In den Gefühlsstau, entstanden aus einer im SED-Regime erlittenen und im vereinten Deutschland neu erfahrenen Entfremdung, kam eine Belebung, was man auch daran erkennen
kann, dass die Linkspartei und die AfD mit substantieller Gesellschaftskritik im Osten wesentlich mehr Verständnis und
Zustimmung finden als im immer noch „gläubigen“ Westen.
Bis heute glauben viele Westdeutsche, sie lebten in einer echten
Demokratie, und können sich überhaupt nicht vorstellen, dass
eine politische Führung nicht das Beste für das Land tun würde.
Den unvermeidbaren und folgerichtigen Untergang der
DDR, die sich nach der NS-Erfahrung als „das bessere Deutschland“ ausgegeben hatte und doch zur erneut normopathischen
Gesellschaft wurde, habe ich mit Glücksgefühlen als befreiend
erlebt. „Nie wieder“ und „Wehret den Anfängen“ schien Realität
geworden zu sein. Etwa für ein Jahr erlebte ich größte demokratische Freiheiten im kreativen Aufleben vieler Ostdeutscher,
was dann leider durch die Verführung in die „Bananenwelt“
einerseits und andererseits durch die neue reale Unterwerfung
unter die ökonomischen und politischen Machtverhältnisse des
Westens wieder erstickt wurde. So konnte die Psychodynamik
der westdeutschen Normopathie noch einige Zeit verborgen
bleiben, während das ostdeutsche Leben eine prinzipielle Abwertung erfuhr. Systemvergleiche fielen stets zugunsten des
Westens aus, er blieb zunächst das gelobte Land – hüben wie
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drüben. Mit dieser Spaltungsabwehr haben sich Westdeutsche
als die vermeintlich Besseren und Reiferen stabilisiert und manche Ostdeutsche haben mit der schönen Scheinwelt des Westens
an die Chance auf eine gute, alternative Gesellschaft geglaubt.
Bei dem jetzt zu beobachtenden Verfall Deutschlands gibt es
keine hoffnungsvolle reale Alternative, und deshalb fürchte ich
eine echte Kriegsgefahr.
Ich verstehe meine ganze bisherige publizistische Tätigkeit
als im Dienste des „Nie wieder Krieg!“ stehend. Teil dessen
sind die psychodynamischen Analysen, was Menschen in den
Krieg treibt – als Befehlshaber und Soldaten bzw. als todbringende Waffenlieferanten und ihre Befürworter. Im Grunde genommen erkenne ich in der Reihenfolge meiner Bücher „Der
Gefühlsstau“, „Das gestürzte Volk“, „Die Entrüstung“, „Die
narzisstische Gesellschaft“, „Das falsche Leben“, „Das gespaltene Land“, „Angstgesellschaft“ eine nicht beabsichtigte Dramaturgie des unvermeidbaren Unterganges der „westlichen Welt“
mit der besonderen Bedrohung Deutschlands wegen der noch
nie verstandenen Psychodynamik hochpathologischer Normopathien.
Die tausendfach beschworene Vergangenheitsbewältigung
deutscher Schuld halte ich für eine verhängnisvolle Lebenslüge.
Ich sehe darin das fast magische Bemühen, von eigener Schuld
im erneut falschen Leben abzulenken. Das ist typisch für die
Verhältnisse in einem Demokratie-Spiel: Man hofft, wenn man
nur etwas beteuert, und zwar regelmäßig und mit auffälligen
Proklamationen wie Feiern, Kranzniederlegungen und Gelöbnissen, dann würde das Demonstrative zur Realität werden. Das
Verhängnisvolle daran ist, dass man glauben machen möchte
oder sich sogar selbst einredet, man sei mit der Beschwörung
ein Guter, als Nachgeborener frei von individueller Schuld und
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als Deutscher ein gereinigter Sünder, dessen Staat die politischmoralische Haftung für die Naziverbrechen bekenntnisfreudig
auf sich nimmt. Der Philosoph Hermann Lübbe sprach einmal vom „Sündenstolz“ der Deutschen, die – seit die Phase der
Scham vorüber ist – zu ihren Untaten ständen wie andere zu
ihren sportlichen Leistungen. Das ist aber keine große Leistung,
wenn man an jenen Sünden gar nicht beteiligt war. So wird die
„deutsche Schuld“ seit 1945 wie eine Monstranz demonstrativ
emporgehoben, ohne je wissen zu wollen oder verstanden zu
haben, welche inneren Kräfte Menschen zu Verbrechern machen und was davon auch in einem selbst ruhen kann.
Kein heute Lebender (mit Ausnahme von noch ganz wenigen) ist am Nationalsozialismus und der furchtbaren millionenfachen Vernichtung der Juden und dem schrecklichen
Krieg real schuld, aber sehr viele sind erneut schuldig, wenn
sie ihre eigene Unfähigkeit zum Friedenserhalt und ihre verborgene Kriegslust als psychosozialen Bodensatz der erlittenen
Entfremdung nicht erkennen wollen und nicht zu verändern
bzw. zu regulieren lernen. Diese meine Erkenntnis – gereift aus
den Offenbarungen aus dem dunklen Seelenleben von Tausenden von Menschen (einschließlich meines eigenen) – stiftet die
zentrale Motivation für dieses Buch.
Dass zu meinen Lebzeiten noch einmal eine politische Führung in Deutschland an die Macht kommen könnte, die uns in
den Krieg führt, und dass sich weite Teile der Bevölkerung in
den Krieg führen lassen oder zumindest keinen energischen
Widerstand leisten, hätte ich niemals mehr für möglich gehalten. Ebenso wenig, wie herablassend die bisher größte Protestbewegung, von Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer initiiert und von fast einer Million Unterstützern mitgetragen, als
Irrläufer abgetan wird. Zwei Vorwürfe sollen reichen, um das
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„Manifest für Frieden“1 infrage zu stellen und abzuwerten, zwei
Vorwürfe, die einen ausgesprochen belliphilen Geist verraten:
Schwarzer und Wagenknecht würden sich von Rechtsextremen
nicht eindeutig distanzieren und sie gäben mit einem Stopp von
Waffenlieferungen Putin eine Chance, die ganze Ukraine und
weitere Länder zu besetzen.
Aus therapeutischer Sicht indessen wäre es höchst erfreulich, wenn sich selbst Rechtsextreme an einer Friedenskund
gebung beteiligen würden und wenn mit einem Stopp der
Waffenlieferungen das Töten und Zerstören vermindert oder
beendet werden könnte. Ein belliphiler Geist wird aber immer
an einem Feindbild festhalten wollen, um seine gestaute Aggression abzuführen. Auf keinen Fall will ich Rechtsextremismus oder den Angriffskrieg Russlands durch Verstehen bagatellisieren oder gar entschuldigen, aber fortgesetzte „verbale
Verteufelung“ der Kriegsgegner und die Weiterverbreitung
realen Tötungswerkzeugs werden weder Einsicht noch Frieden
ermöglichen. Nur das Verstehen unbewusster Bedürfnisse und
hintergründiger Interessen schafft eine Basis für Verständigung.
Denn Verstehen heißt ja nicht Zustimmen, sondern Ursachen
finden, die sich verändern lassen. So wird z. B. eine Einstellung
gegenüber einem Extremisten: Du bist ein böser, gefährlicher,
kranker Mensch (was zutreffen mag) – und deshalb verachte
ich dich, meide den Kontakt und rede auf keinen Fall mit dir –
keinerlei Chance bieten, das „Böse“ zu verringern. Nur geduldige Angebote für Kontakte mit Austausch der Meinungen und

„Manifest für Frieden“, Petition, gestartet am 10.02.2023 von Alice
Schwarzer und Sarah Wagenknecht auf der Plattform Change.org. Online:
<https://www.change.org/p/manifest-für-frieden>. Zuletzt abgerufen am
04.07.2023.

dem Bemühen, die persönlichen und sozialen Gründe für eine
Position verstehen zu wollen, schaffen eine Friedenschance.
Ich weiß, dass solche Kommunikation sehr schwierig ist
und sehr oft abgelehnt wird. Man sollte aber auch wissen, dass
Frühgestörte die fortgesetzte Erfahrung von Abwertung und
Distanzierung als eine Bestätigung des frühen Unrechtes erleben können, mitunter eine solche Erfahrung sogar suchen,
um Gelegenheit zu finden, den Gefühlsstau abzureagieren und
eine seelische Not in belliphile Gewalt zu transformieren. Damit bleiben die frühen Täter geschont und andere werden stellvertretend zu Tätern gemacht. Für den „Guten“ ist der „Böse“
natürlich ein Täter, aber mit der Abwertung und Verfolgung
des „Bösen“ macht sich der „Gute“ schließlich auch zum Täter.
Bevor ich von dieser Welt gehe, muss ich noch einmal meine Stimme erheben – selbst wenn es nur ein Zeichen meines
Ringens um Würde und meines lebenslangen Engagements
für ein Leben in Liebe und Frieden wird, ohne dass es jemand
wissen und verstehen möchte. Und auch wenn Totschweigen
oder Hetze unter den allfälligen Reaktionen zu erwarten sind,
so möchte ich doch mein gereiftes Wissen wenigstens als Vermächtnis hinterlassen. Es gibt die Chance auf ein „Nie wieder
Krieg“, wie es auch die Gefahren einer ganz individuellen wie
kollektiven Kriegslust gibt. Wir sollten die Ursachen kennen.

Die emotionalen Grundlagen für
Friedensfähigkeit und Kriegslust

1. Kleine Gefühlskunde
Gefühle benennen und sprachlich kommunizieren zu können,
macht uns zu Menschen. Wir können über Gefühltes auch reflektieren, wir können Ursachen und Gründe für unsere Gefühle ergründen und damit Lebensereignisse und Beziehungsvorgänge verstandesmäßig erfassen.
Selbst Wissenschaftler unterscheiden nicht immer ganz
sauber zwischen „Emotionen“ und „Gefühlen“ und verwenden
die Begriffe oft synonym. Mir hilft zum Verständnis folgende
Differenzierung:
Gefühl ist das unmittelbare gefühlshafte Erleben, z. B. Freude
oder Tauer. Emotion ist komplexer und schließt Erinnerungen,
Geschichten, Denkvorgänge, Interpretation, Bewertung mit ein.
Gefühl: Ich bin ganz traurig.
Emotion: Ich bin ganz traurig über den Tod eines Freundes, den ich sehr gemocht habe und vermissen
werde. Er hat mir immer so viel geholfen.
So verstehe ich Emotionen als eine psychosomatische Reaktion auf äußere und innere Reize, wobei Reize spürbare körperliche und seelische Wirkungen erzielen und praktisch zu
einem Verstehen herausfordern. Was passiert gerade? Was erlebe ich? Besteht eine Gefahr? Oder habe ich Grund zu feiern?
Da liegen unendliche Möglichkeiten subjektiver Welterfah21

rung. Emotionen spürt man leibseelisch: vertiefte Atmung
oder stockender Atem, Herzklopfen, erhöhte Herzfrequenz,
Herzstolpern, Blässe oder Rötung des Gesichtes, Magendruck,
Schwitzen, Übelkeit, Brechreiz, Durchfall, Einnässen, Kopfschmerz, Muskelanspannung, Bewegungsimpulse (weglaufen,
angreifen, sich wegducken, zuschlagen wollen u. a.). Die Heftigkeit des Symptomatik korreliert in aller Regel mit der Art
und dem Umfang des Reizes, aber ganz wesentlich auch mit
der psychischen Gesundheit bzw. der psychosozialen Labilität.
Auch wenn mehrere Menschen zugleich demselben heftigen
Reiz ausgesetzt sind (einer Gefahr, einer Bedrohungslage, einer
unsicheren Situation etc.), wird doch jeder Betroffene auf seine
eigene Weise reagieren – gemäß seiner psychophysischen Stabilität oder Labilität. Eine traumatische Situation ist nicht für
jeden gleich traumatisierend.
Solche unterschiedlichen Reaktionen sind wichtige Anhaltspunkte in der Psychotherapie bei dem Bemühen, die Reaktion auf ein Trauma zu analysieren. Das geht nicht ohne Blick
auf die ganz individuelle Verarbeitungsgeschichte und die Besonderheiten der Persönlichkeit.
Es gilt heute als gesichert, dass Emotionen angeboren sind
und in allen Kulturen vergleichbar auftreten.
Emotionen werden im Großhirn, vor allem im präfrontalen
Cortex, zu benennbaren Gefühlen verarbeitet.
Paul Ekman hat nach seinen umfangreichen, weltweiten
Forschungen sieben Grundgefühle bei allen Kulturen differenziert: Freude, Trauer, Angst, Ekel, Überraschung, Wut und
Verachtung.2 Es gibt noch mehr wichtige Gefühle wie Stolz, Be2

Paul Ekman, „Gefühle lesen – Wie Sie Emotionen erkennen und richtig
interpretieren“, Spektrum, Heidelberg 2010. Zur Wirkungsgeschichte des

geisterung, Verlegenheit, Scham, Neid, Eifersucht, Kränkung,
seelischer Schmerz und Schuldgefühl (wobei die reale Schuld
vom Schuldgefühl, das auch auf eingebildeter Schuld beruhen
kann, zu unterscheiden ist).
Es gibt praktisch keine Lebenssituationen ohne Gefühl. Wir
fühlen immer, auch wenn wir gerade nichts Besonderes verspüren oder erleben. Die Wahrnehmung des inneren Erlebens
ist sehr unterschiedlich. Es gibt Menschen, die sagen von sich
und glauben das auch, sie würden nichts fühlen. Und häufig
sieht man ihnen auch nichts an, zumindest wenn man darin
ungeübt ist.
Ich meine damit nicht ein „Pokerface“ wie beim Kartenspiel, das man erlernen kann, sondern eine störungsbedingte
Gefühlsblockade, Gefühlsstarre, die immer auf eine psychische
Erkrankung oder Persönlichkeitsstörung hinweist. So spricht
man bei einer Depression von „eingefrorenen Gefühlen“. Wir
erschrecken auch über eine gefühllose Gewalt bei kriminellen
Handlungen, bei Taten, zu denen gesunde Menschen nicht in
der Lage sind, Kindesmisshandlungen zum Beispiel oder auch
Tierquälerei. Kriegshandlungen mit der Lust am Töten, Brandschatzen, Zerstören, Foltern und Vergewaltigen sind nur denkbar, wenn eine zugrundeliegende schwere psychosoziale Störung die Empathie blockiert hat, so dass ohne Gewissensbisse
brutal gehandelt werden kann. Söldner etwa ziehen aus einer
schweren Persönlichkeitsstörung Gewinn: nicht nur durch
den Sold, viel mehr noch durch die „erlaubte“ bis befohlene
Abreaktion ihres Gefühlsstaus. Den konkreteren Einfluss der
US-amerikanischen Psychologen vgl. Maria von Sabisch (Hrsg.), „Gesichtsausdruck und Gefühl: 20 Jahre Forschung von Paul Ekman“, Junfermann-Verlag, Paderborn 1988.

Persönlichkeitsstruktur auf die Friedensfähigkeit oder Kriegslust beschreibe ich im gleichnamigen Kapitel.
Dabei wird auch die gefährliche Psychopathologie der
Schreibtischtäter zu beachten sein, deren Krankheit oder Bösartigkeit besonders gemein ist, weil sie sich in Anordnungen,
Befehlen, Propaganda und menschenverachtenden Interessen
verbirgt, mit denen andere in Krieg und Tod geschickt werden.
Wenn ich von „Krankheit“ oder „Bösartigkeit“ spreche,
meine ich wirklich ausgesprochen böses, „teuflisches“ Denken
und Handeln, das nur einer psychosozialen Krankheit entspringen kann, die nie angeboren3 ist, sondern durch destruktive Erziehungsbedingungen oder schwere Beziehungstraumata und
-defizite entstand. Allerdings ist „Krankheit“ nur eine Erklärung für Ursachen, aber keine Entschuldigung für verbrecherisches Verhalten. Jeder erwachsene Mensch ist verantwortlich
für sein Handeln – was er nicht darf, steht im Strafgesetzbuch,
seine Schuld klären die Gerichte und über seine Schuldfähigkeit
befinden Psychiater mit forensischen Gutachten. Diese menschengemachte Regulierung strafbaren oder kranken Verhaltens ist aber angemessen, fair und human nur in einer wirklichen Demokratie mit unabhängigen Gerichten und einer nicht
politisch missbrauchten Psychiatrie. Nur dort führt sie zur Erhellung der Umstände, nicht jedoch in einer normopathischen
Gesellschaft, in der selbst schwerste Verbrechen, wie Krieg und
3

Die Vorstellung, Verbrechen könne angeboren sein, hat am wirkmächtigsten der italienische Arzt und Psychiater Cesare Lombroso vertreten.
Sein 1876 erschienenes Hauptwerk „L’Uomo Deliquente“ („Der kriminelle
Mensch“) beruhte auf zahlreichen Untersuchungen an Gefängnisinsassen
und Patienten psychiatrischer Anstalten und vertrat die These, die kriminelle Veranlagung lasse sich den körperlichen Merkmalen, insbesondere
Anomalien, ablesen. Lombrosos anthropogenetische Kriminalitätstheorie
ist heute widerlegt.

Völkermord, politisch-medial für notwendig und richtig erklärt
werden können und dann auch massenpsychologisch als ganz
„normal“ akzeptiert und befolgt werden.

2. Gefühlsausdruck
Der Ausdruck von Gefühlen verläuft persönlichkeitsbedingt
und kulturell sehr unterschiedlich. So ist bei Hysterie (histrionischer Persönlichkeit) der Gefühlsausdruck immer besonders
überzogen, heftig, laut, auffällig und demonstrativ. Dagegen
sind schizoide Menschen eher vorsichtig, zurückhaltend. Depressiv Erkrankte wiederum zeigen sich deutlich gehemmt,
verschlossen, leise, unsicher, so dass man schwer erkennen
kann, was sie unter dem Schutzschild der Depression gerade
fühlen.
Auch kulturell gibt es erhebliche Unterschiede darin, wie
Gefühle kodiert sind. So ist z. B. Stolz in westlich-kapitalistischen Ländern betont ich-bezogen: Es werden die eigenen
Leistungen und Erfolge hervorgehoben, nicht selten auch
noch beschönigt – aus dem sozialen Druck heraus, im Wettbewerb der Egoismen siegreich sein zu müssen. So wuchern
oft schwer erträgliche Eitelkeiten, verbunden mit abwertenden Hässlichkeiten gegen Konkurrenten. Dagegen war Stolz
in den ehemaligen sozialistischen Gesellschaften viel mehr auf
kollektivistische Erfolge orientiert. Nicht das Ich, sondern das
Wir stand im Vordergrund, es zählte, was für die Gemeinschaft geleistet wird. Das hatte nicht selten auch zur Folge,
dass nicht nur materielle Werte, sondern ideologische Haltungen und Gesinnungspositionen für sich Stolz beanspruchen
durften. Und mit Lippenbekenntnissen lassen sich psychische
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Verstörungen verstecken und Heucheleien besonders leicht
transportieren.
Oder ein anderes Beispiel: So wird Trauer in afrikanischen
und karibischen Kulturen sehr offen und mit heftigem Klagen
zum Ausdruck gebracht, bei uns dagegen eher still erlitten und
nur zurückhaltend geäußert. Von Wut weiß man, dass dieses
Gefühl in den USA eher als negativ bewertet wird und nicht
gezeigt werden soll, dagegen wird der Ausdruck von Wut in
Japan als ein Zeichen von Macht und Stärke erlebt.
Individuell wird der Gefühlsausdruck erheblich von frühen
Beziehungserfahrungen, genauer vom erlittenen Erziehungsregime beeinflusst. Sehr häufig zwingt die Erziehung das Kind
dazu, seine Gefühle zu unterdrücken: Werde nicht so laut! Sei
nicht so frech! Beherrsch dich! Jungen weinen doch nicht! Sei
still! Sei tapfer! Sei keine Heulsuse! Reiß dich zusammen! Jammere nicht so rum! Wenn du weinst, bist du ganz hässlich!
Wir sind hier ganz friedlich! Kontrolliere deine Wut! Und …
und … und …
Eine solche Erziehungspraxis ist kulturell eingebettet in
eine prinzipielle Abwertung der Emotionen: „Werde ja nicht
emotional!“ „Das ist zu emotionsgesteuert!“ „Spar dir deine
Gefühlsduselei!“ Vernunft wird fast regelmäßig als wesentlicher Gegenspieler der Emotionen verstanden, als wäre einzig
vernünftiges Denken in allem richtig und realitätsgerecht. Das
Gegenteil ist aber eher der Fall: Wir Menschen neigen dazu,
uns die Welt zurechtzudenken, und sind dabei zumeist Opfer
von Machteinfluss, Manipulation und Propaganda. Selbst die
Wissenschaft, die vermeintliche Domäne klaren Denkens, wird
interessengeleitet in Manipulation verwandelt.
So kann fast alles als „wissenschaftlich erwiesen“ belegt
und derselbe Inhalt ebenso mit „wissenschaftlichen“ Metho26

den widerlegt oder anders interpretiert werden. Bei natur
wissenschaftlichen Fragen mag dergleichen noch schwierig
sein, bei psychosozialen aber ist die Schwankungsbreite dessen, was Faktenwahrheit sein könnte, enorm. Von zweifelhafter
Wissenschaftlichkeit sind vor allem statistische Erhebungen,
allein schon weil die Fragestellung, die Auswahl der Befragten und deren aktuelle soziale und psychische Situation einen
erheblichen subjektiven Einfluss auf die Auskünfte nehmen –
Einflüsse, die durch die Betonung, es handle sich um eine „repräsentative“ Umfrage, gern verschleiert werden.
Doch welchen Rang haben abgefragte Meinungen, Stimmungen, Weltbilder, Lagebeurteilungen und Auskünfte zum Befinden? Man kann ziemlich sicher sein, dass Gedachtes und Gesagtes keinen objektiven Wert besitzen und sich jeder Mensch seine
Welt, d. h. seine Meinung, seine Einschätzung und Bewertung,
seine Position zurechtdenkt, wie er sie durch Bildung, Erfahrung,
Verstehen und durch seine psychosoziale Situation interpretieren kann. Ein objektives Denken ist nicht möglich, weil bereits
ein freies Wahrnehmen dessen, was ist, der inneren und äußeren
Wirklichkeit, durch Zurechtgedachtes verstellt wird.
Besser kommen wir mit unseren Gefühlen der Realität oder
einer Wahrheit näher. Das ist jedenfalls eine gut erlernbare
Kunst (z. B. durch Focusing). Leider wird häufig die Interpretation unserer Gefühle nicht angemessen realisiert oder Gefühle werden ganz und gar unterdrückt oder verleugnet, um ein
falsches Weltbild bzw. die störungsbedingte Einseitigkeit einer
Position nicht infrage stellen zu müssen. Und bei allen Ereignissen, die wir nicht selbst erleben, also bei allen Nachrichten, Dokumentationen, Berichten, Erzählungen sind wir immer Opfer
der Manipulationen der Berichterstatter und unserer eigenen
Zensur, was wir wie verstehen wollen. Oder was wir überhaupt
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verstehen können bzw. nicht verstehen können, weil sich die
innere Abwehr zu stark regt. Kein Bericht übermittelt die reine
Wahrheit und der eigene Empfang ist immer subjektiv verzerrt.
Wir leben im permanenten Vorurteil. Das erklärt z. B. auch,
dass manche Informationen von einigen als die absolute Wahrheit und von anderen als absolute Lüge interpretiert werden.
Unser Kopf, unser Denken ist das geschickteste Betrugsorgan,
weil man sich auch gerne schlau und gebildet vorkommen mag.
Gefühle dagegen bieten eine andere Erkenntnispotenz, wenn
die anerzogene Abwertung überwunden ist und die Gefühlswahrnehmung geübt wird.

3. Interpretation der Gefühle
Die Interpretation unserer Gefühle unterliegt in aller Regel
einer Denkmanipulation zugunsten des Schutzes einer ungeprüften, einseitigen, ideologischen, politischen, religiösen oder
auch nur profitorientierten Fehleinschätzung. Denken manipuliert die Gefühlsinterpretation. Hier einige Beispiele, wie
vergleichbare Gefühle in derselben Angelegenheit interessengeleitet – eben oft störungsbedingt – und daher unterschiedlich
interpretiert werden:
Beispiel: Angst vor Impfung
• durch politische, propagandistische, wissenschaftliche
Argumente sind Menschen bemüht, ihre Angst vor
dem Vakzin zu mildern, indem sie glauben, die Impfung sei gut und notwendig, sie würde einen selbst
und andere solidarisch schützen;
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• ebenso durch wissenschaftliche Argumente, auch
durch erkennbare Ungereimtheiten, kritische Zweifel,
durch eine Protesthaltung mit Hinweis auf wesent
liche Gefahren wird die Impfung abgelehnt und damit
die Angst gemildert bzw. auf eine weniger subjektiv
bedrohliche, aber zu erwartende Diffamierung verschoben.
Beispiel: Aggression im Streit um Waffenlieferung an die Ukraine mit Ärger bis Wut
• die Waffenlieferung wird für richtig und notwendig
gehalten, um die Bedrohungsangst in eine propagandistisch geschürte Empörung bis Wut auf Putin, auf
die Russen zu lenken;
• die Waffenlieferung wird abgelehnt, um die Bedrohungsangst vor weiterer Eskalation auf Ärger bis Wut
auf die Waffenlieferanten umzulenken.
Beispiel: Ein Familienvater fordert gute Schulleistungen von
seinen Kindern, was unterschiedliche Gefühle, Stolz und Kränkung, auslöst:
• ein leistungsstarkes Kind fühlt sich stolz und bestätigt;
• ein leistungsschwaches Kind fühlt sich kritisiert, abgewertet bis abgelehnt, auch minderwertig und schuldig.
Beispiel: Ein Ehepaar gerät häufig bei Erziehungsfragen in
Streit. Aktuell gibt es einen Konflikt zwischen ihnen, weil ein
Kind sich trotzig einer elterlichen Bitte verweigert, mal wieder
Ordnung in seinem Zimmer zu machen.
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Sie zu ihrem Mann: „Das liegt nur daran, weil du immer so
streng bist!“ Aber der Vater erlebt sich nicht als streng, sondern
er sorgt sich, dem Kind könne der Mangel an Ordnungssinn
später einmal schaden. Er fühlt sich durch den Vorwurf seiner
Frau belehrt und mit einer Schuldzuweisung beschämt. Er reagiert gekränkt, und zwar sehr heftig, weil er an seine Mutter
erinnert ist, die immer etwas an ihm auszusetzen hatte. So wird
der aktuelle Vorwurf als übermäßig verletzend erlebt.
Er zu seiner Frau: „Du lässt doch alles durchgehen!“ Sie erlebt sich auch vorwurfsvoll angegriffen und reagiert mit einem
erneuten Vorwurf, um ihre eigenen Unsicherheit abzuwehren.
„Das ist doch Unsinn. Ich habe halt mehr Verständnis für den
Jungen als du!“
Beide fügen sich wechselseitig Kränkungen zu. Damit wird
das Verhalten des Kindes nicht geklärt und schon gar nicht
verbessert. Beide Eltern fühlen sich angegriffen und verletzt,
aber das gleiche Gefühl hat ganz unterschiedliche Quellen: Bei
der Frau resultiert es aus einer Selbstunsicherheit, die symptomatisch ist für ihre Persönlichkeitsproblematik (eine durch
„Muttermangel“ bedingte narzisstische Kränkung in der eigenen Entwicklungsgeschichte). Bei dem Mann hat eine frühe
„Mutterbesetzung“ für eine strukturelle Empfindlichkeit gesorgt; er ist geprägt durch eine Mutter, die immer alles für ihn
bestimmt hat und unzufrieden mit ihm war.
Diese Beispiele mögen genügen, um deutlich zu machen, dass
jedes Gefühl eine eigene, ganz persönliche Geschichte hat,
deren Psychologie analysiert werden kann. Das muss nicht
immer gleich in einer Therapie geschehen – auch sonst kann
jeder Mensch bemüht sein, sein Erleben und Verhalten nicht
vordergründig sachlich-rational zu begründen, sondern die zu30

grunde liegende Affektivität zu verstehen, um übermäßiges und
unangemessenes Reagieren, das nur Konflikte schürt und keine
Lösungen bringt, zu vermeiden.
Eine sehr hilfreiche Methode ist das Bemühen, von einer
Sachargumentation zu einer Zergliederung der eigenen Antriebe überzugehen. Statt sich also im Pro und Contra mit vielleicht
sogar wissenschaftlichen Belegen für jede der beiden Positionen
auszutauschen, sucht man die ganz persönliche Motivation zu
finden, die wesentlich gefühlszentriert ist. Dies gelingt am besten mit der unterordnenden Konjunktion „weil“, wenn damit
ins persönliche emotionale Erleben geführt wird: Spricht jeder
aus, was ihn oder sie innerlich bewegt, muss es nicht mehr ums
Rechthaben gehen. So kann sich ein feindseliger Streit im Verstehen der persönlichen Motive auflösen und man kann, ohne
einer Meinung sein zu müssen, weiterhin im Kontakt oder sogar befreundet bleiben.
Ein Argument, das z. B. auf der Sachebene lauten würde:
„Ich bin für Waffenlieferungen, damit sich die Ukraine
wehren kann gegen den Angriffskrieg Russlands.“
klänge auf der persönlich emotionalen Ebene so:
„Ich bin für Waffenlieferungen, weil ich mich gegen Unrecht wehren möchte, was ich schon so oft erfahren habe.“
Oder spielen wir das Gleiche für die Gegenposition durch. Statt
nur auf der Sachebene zu verbleiben:
„Ich bin gegen Waffenlieferungen, damit der Krieg nicht
noch mehr Tote fordert!“
31

bezieht man auch die persönliche, emotionalen Ebene mit ein:
„Ich bin gegen Waffenlieferungen, weil mich die Opfer
so belasten, weil ich durch den Tod meines Vaters im
Zweiten Weltkrieg sehr belastet bin.“
Nur auf der Sachebene entsteht Feindseligkeit (Belliphilie), auf
der persönlich emotionalen Ebene ist Friedensfähigkeit (Paziphilie) möglich. Man denke an das böse Blut, das es im Streit
über Medienberichte bei bedrängenden Themen regelmäßig
gibt, weil auf dieselbe Nachricht aus emotionalen Gründen
sehr unterschiedlich reagiert wird, jedoch nur der sachliche
Dissens zutage tritt. Das ist Feindseligkeit, die vermieden werden könnte.
„Ich bin ganz empört über die Nachrichten, denn die
sind einseitig und das ist schlechter Journalismus.“
Dies wäre eine Begründung auf der Sachebene. Alsdann könnte jede Seite, wie das seit einiger Zeit üblich ist, ihre „Fakten-
Checker“ in Stellung bringen und sich gegenseitig um die Ohren hauen, was wahr oder falsch, einseitig oder nicht einseitig
an den Nachrichten ist. Aber sachliche Begründungen erklären
immer nur unzureichend, warum wir zu einem Urteil gelangen. Argumente sind etwas Sekundäres, wenn es um Positionen geht. Unsere Haltungen werden motiviert von Emotionen.
Erst kommt das Gefühl, erst regt sich etwas in uns, Zustimmung oder Abwehr, und dann suchen wir nach der rationalen
Begründung. Würden wir die obige sachliche, auf „objektive
Einseitigkeit“ verweisende Argumentation auf die persönlich-

emotionale Ebene überführen, so würde der Nachrichten-
Skeptiker vielleicht sagen:
„Ich bin so empört, weil ich mich durch die Nachrichten
so manipuliert fühle, wie ich das aus meiner Kindheit
kenne.“
während der Nachrichten-Gläubige seine Empörung womöglich in die Worte fassen würde:
„Ich bin ganz empört, wenn den schlimmen Nachrichten so wenig geglaubt wird, weil ich das so kenne, wie
mir die Eltern auch nie glauben wollten, wenn ich Unrecht erlebt und daran gelitten habe.“
So wird die sowieso nie sicher objektive Nachricht, die schnell
zum Streit führen kann (belliphil) durch die persönliche Motivation zur subjektiven Wahrheit, die man verstehen und trotz
derer man im respektvollen Kontakt (paziphil) bleiben kann.

4. Gefühlsunterdrückung als Herrschaftsmittel
Jede normopathische Gesellschaft wird Interesse haben, den gesunden Gefühlsausdruck zu verhindern, einzuschränken und
zu diffamieren. Normopathie heißt kollektive gesellschaftliche
Fehlentwicklung. Zu einer normopathischen Entfremdung
werden Kinder von Anfang an durch Erziehung mehr oder
weniger gezwungen. Die weit verbreiteten frühen Beziehungsstörungen werden durch eine gefühlsunterdrückende Erziehung unkenntlich gemacht. Das ist der Sinn der Sache! Kinder
33

sollen nicht mehr fühlen, was ihnen angetan wird, und durch
erzieherische Manipulation mittels verlogener, ideologischer
Erklärungen sollen sie glauben lernen: die Eltern müssten so
handeln, weil sie ja nur das Beste für das Kind wollen, das Kind
müsse vor Gefahren beschützt werden, das Kind müsse vertrauensvoll glauben, was es noch nicht verstehen könne und
alles in allem müsse es doch Rücksicht auf die Eltern nehmen
und dankbar sein.
Damit werden Gefühle der Wut, des Schmerzes, der Trauer
wegerklärt und stattdessen Zurückhaltung, Beherrschung, Einsicht und Vernunft verlangt. Das Kind soll die elterlichen Beziehungsstörungen und -defizite nicht fühlen, sondern falsche
Rationalisierungen glauben lernen. Dann ist es für die ebenso an
Gefühlsunterdrückung interessierten Institutionen (Kita, Schule) bestens abgerichtet. Das ist der Grund, dass ein leidender
Mensch am Anfang der Psychotherapie meistens daran glaubt,
er hätte doch eine schöne Kindheit gehabt und sich heftig gegen
eine bittere Wahrheit frühester Traumatisierung wehrt.
Eine normopathische Gesellschaft setzt diese Gefühls
abwertung zur Aufrechterhaltung autoritärer oder manipulativer Macht fort. Denn unerwünschte Wahrheiten einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung sollen emotional nicht erfasst
werden, das könnte Unruhen und Proteste aktivieren. Stattdessen lassen sich falsche Erklärungen durch propagandistisch-
mediale Macht ins Denken eingravieren, und dies umso leichter, wenn emotionale Verletzungen vorliegen.
Das Denken ist ohnehin viel leichter zu beeinflussen als das
Fühlen, weil man die meisten komplexen und komplizierten
denkerischen Zusammenhänge ohnehin nicht versteht und für
fast alle Lebenslagen Ratgeber und Berater braucht, und damit
sind beliebiger Beeinflussung Tür und Tor geöffnet. Die Wer34

bung, die Propaganda, politisch gewollte Narrative leben von
dem immer eingeschränkten Wissen, und der mediale Mainstream ist vielen eine wichtige Orientierungshilfe für alles, was
man selbst nicht überschaut und wissen kann. Würde man bei
jeder Meinung, bei allen politischen, moralischen und religiösen Forderungen erst einmal in Ruhe seine Gefühle befragen,
würde sehr vieles als geheuchelt, verlogen, menschenfeindlich
und ungerecht erlebt. Damit verlöre es seine manipulierende
Macht und bräche in sich zusammen.
Damit das nicht geschieht, wird die gefühlsunterdrückende Erziehung später durch eine gefühlsabwertende Einstellung verfestigt. Ein Gefühlsausdruck wird dann als Schwäche
ausgelegt, als peinlich, störend, belastend und unangemessen
bezeichnet. Und wenn dies immer und überall derart diffamierend geschieht, wird der Einzelne sich auch selbst dann
schämen, wenn er weinen möchte, oder sich verachten, wenn er
zu heftig reagiert. In der öffentlichen Meinung herrscht die Einstellung, dass das Denken das Fühlen dominieren müsse („wir
wollen doch hier nicht emotional werden“). Dazu gehört auch,
dass spontane Gefühlsäußerungen, die doch noch durchdringen, interessegeleitet umgedeutet und damit verfälscht werden,
z. B. die Tränen bei einem Sieg im Wettkampf. Gern erklärt man
sie zu Freudentränen, um nicht zugeben zu müssen, welcher
Schmerz hier durchbricht – Schmerz über die unsäglichen Mühen und Anstrengungen, die bis zum Sieg zu ertragen waren.
Gleichzeitig mit der Unterdrückung und Abwertung echter
Gefühle sorgt eine normopathische Gesellschaft für die Entwicklung von Ersatzgefühlen. Gemäß der antiken Erfahrung,
Herrschaft durch „Brot und Spiele“ zu sichern, wird die mediale Animation durch eine unendliche Zahl von sinnentleerten
bis absolut albernen TV-Sendungen „kultiviert“. Andererseits
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fordert Politik häufig mehr lebhafte Zustimmung für ihre Entscheidungen. Eine unrühmliche Rolle spielen dabei Experten
und Prominente, die als Claqueure gewonnen werden und
helfen, das politisch Gewollte den Regierten mit allen Mitteln
propagandistisch-medial einzuhämmern. Zuletzt mussten wir
sogar zur Kenntnis nehmen, wie unsere in die Krise geratene
narzisstische Normopathie zum inhumansten Mittel der Manipulation greift: Permanent Angst schüren! Anknüpfungspunkte
boten und bieten eine weltweite Pandemie, Klimaveränderungen, Russlands Angriff auf die Ukraine und die etwaigen Folgen
(unsichere Energieversorgung, kriegerische Eskalation). Lauter
Bedrohungen, die bei entsprechend dramatischer Ausmalung
ausgezeichnet dazu taugen, Feindbilder zu schaffen (der „unsolidarische Impfverweigerer“, der „Klimasünder“, das „imperialistische Russland“) und apokalyptische Ängste zu provozieren. Angst dominiert über alle anderen Gefühle, Angst macht
starr und gefühlskalt – wenn es keinen natürlichen Ausweg gibt
durch Kampf oder Flucht. Angst lähmt das Wahrnehmen und
Verstehen, Angst macht dumm und abhängig und fokussiert
das Denken auf Rettung und Erlösung. Etwas Besseres kann
sich eine Machtelite nicht wünschen.
Statt echter Gefühle werden dann Ersatzgefühle durch Ablenkung auf eher unpersönliche Ereignisse produziert. So kann
man sich durch Sieg oder Niederlage im Sport, durch Feiern
mit oder Trauern um Prominente, durch Skandale und Unglücke, die andere betreffen, wunderbar ablenken, erregen, empört
oder geschmerzt sein, trauern oder sich freuen und begeistern –
alles Ventile für den Gefühlsstau, wobei die kleinen emotionalen Dammbrüche die unterdrückte eigene Gefühlswelt nicht
wirklich berühren, weil man sich ja über andere erregt oder
um andere trauert oder sich mit ihnen freut. Das bieten die
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Medien sehr gern und die meisten Menschen leben dann in
einer solchen emotionalen Ersatzwelt.
Auch in den meisten öffentlich-rechtlichen Talkshows
und Diskussionsrunden ist es üblich, sich unendlich auf der
Symptomebene eines Konfliktes zu streiten und sich von narzisstischen Ersatzgefühlen wie Empörung und Enttäuschung
oder Freude und Stolz bewegen zu lassen, je nachdem, ob man
mit seinen Ausführungen reüssiert oder beim Publikum durchfällt. Höchst selten, eher nie, geht es ans Eingemachte. Grundsätzliche Fragen bleiben außen vor, man rührt nicht am Status
quo. So lässt sich unendlich streiten um Maskenbeschaffung
statt über Sinn und Unsinn einer Gesichtsmaske, über Impfen
oder Nicht-Impfen statt über die Fragwürdigkeit eines mRNA-
Präparates. Man verschafft der dummen Rede von der „Pandemie der Ungeimpften“ eine Bühne statt über die Impffolgen
richtig aufzuklären, man debattiert über Tempo und Ausmaß
der Waffenlieferung an die Ukraine, statt sich bewusst zu machen, dass jede Waffenlieferung Tod bedeutet und den Krieg
verlängert. Gefühlsblockierte Menschen denken sich ihre Welt
dann zurecht – entweder gemäß ihrer individuellen Entfremdung, was sie glauben möchten und nicht verstehen dürfen
oder/und was sie denken und glauben sollen gemäß autoritärer
oder manipulierender Macht. So bildet sich jeder seine „Privatlogik“ aus denkerischer Verführung und nicht mehr fühlbarem
Irrtum oder spürbarer Fälschung.
Eine Normopathie entsteht durch massenpsychologisch
wirksame frühkindliche Gefühlsunterdrückung, durch gesellschaftliche Diffamierung echter Gefühle und politisch-medial
geschürten Ersatzgefühlen. Damit sind echte Gefühle als Orientierungshilfe tabuisiert und falsche Gefühle als Machtmittel
installiert.
37

5. Gefühlsfähigkeit als Basis
demokratischer Verhältnisse
Aus den therapeutischen Erfahrungen mit gefühlsblockierten
Menschen habe ich verstehen lernen können, dass es vielen
Menschen möglich ist, eine Gesinnung, Haltung, Überzeugung
von einem Tag zum anderen zu wechseln, wie ein Hemd. Da sie
das Leben nicht gefühlsmäßig erfassen, orientieren sie sich an
erwünschten, vorgegebenen, geforderten Positionen der Mächtigen: Das beginnt bei den Eltern, den Fremdbetreuern, den
Lehrern, setzt sich später fort bei den Vorgesetzten und Erfolgreichen, bei Prominenten, Experten und Politikern. Gefühlsblockierte sind dann auch die Opfer von Suggestionen, Verheißungen, geschickten Manipulationen, sie richten sich nach
dem Mainstream, glauben den Leitmedien und den öffentlich-
rechtlichen Hörfunk- und Fernsehanstalten. Bei einer solchen
gefühllosen Abhängigkeit von äußerer Beeinflussung versteht
man auch die Wirkung so manch alberner Werbung, das lange
hypnotisierende Gerede von Waren-Anbietern und die Macht
nichtssagender Phrasen, wenn sie nur gut verpackt sind.
Der Verlust emotionsgesteuerter Selbsterkenntnis zugunsten
geführter Beeinflussung ist auch der zentrale Schwachpunkt demokratischer Verhältnisse, wie wir sie bisher kennen. Wir müssen notwendigerweise eine nur äußere Demokratie von einer
innerseelisch getragenen Demokratie unterscheiden.4 Eine
äußere Demokratie bleibt immer ein Demokratiespiel, das in
Rollen gespielt wird – nicht nur Legislative, Exekutive, Judika4

Hans-Joachim Maaz, „Politische und psychische Demokratie“, in: „Das
falsche Leben“, Verlag C.H.Beck, München 2017. Ders., „Innerseelische
Demokratie“, in: „Das gespaltene Land“, Verlag C.H.Beck, München 2020.

tive spielen Rollen, sondern ebenso die zur Macht drängenden
Parteien, wenn und wie sie unterschiedliche politische Positionen besetzen. Ihre Abgeordneten können die parteispezifischen
Rolleninhalte zwar begrenzt kontrovers diskutieren, aber spätestens bei parlamentarischen Abstimmungen sind sie gehalten,
in Übereinstimmung mit der Fraktion zu votieren. Mag auch
Artikel 38 des deutschen Grundgesetzes weder Fraktionszwang
noch imperatives Mandat kennen, sondern im Gegenteil festlegen, als Vertreter des ganzen Volkes seien die Abgeordneten „an
Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ – die Praxis sieht oft genug anders aus. Die
verfassungsrechtliche Norm kollidiert mit dem parteipolitischen
Machtkalkül und sieht sich niedrigeren Interessen unterworfen.
Der entscheidende Schwachpunkt liegt darin, dass innerparteilich und im Wettkampf der Parteien die Fähigkeit zum
Rollenspiel – wie man sich als Person und Partei darstellt und
vermarktet – über Sieg oder Niederlage entscheidet. Der beste
oder geschickteste Politikdarsteller gewinnt, nicht der beste,
menschlichste Inhalt. Keinerlei Ausbildung wird gefordert, geschweige denn eine Eignungsprüfung für ein politisches Amt.
So ist es leider möglich, dass auch menschlich Ungeeignete,
Psychopathen, Kriminelle, Verbrecher an die Macht kommen,
wie die deutsche Geschichte es hinreichend gezeigt hat. Und
dass nach 1945 praktisch über Nacht aus richtigen Nazis überzeugte „Demokraten“ oder aus Parteibonzen der SED und Stasimitarbeitern der DDR in kurzer Zeit Geschäftsleute, Manager,
Beamte, Polizisten, Soldaten, Politiker im bislang bekämpften
Feindesland werden konnten, das ist nur durch Gefühlsblockade möglich, die ein Wendehals-Verhalten erlaubt oder sogar
fordert. Wendehälse orientieren sich an äußeren Anforderungen, weil sie innerlich nicht fühlen können, was zu tun das
39

Richtige wäre. Sie verkörpern in extremer Reinform, was der
Soziologe David Riesman in seinen Studien zum modernen
Sozialcharakter den „außengeleiteten“ Menschen genannt hat.
Dieser Typus entwickelt sich besonders in Gesellschaften, wo
ein Konformismus gefragt ist, der darin besteht, den Erwartungen anderer zu entsprechen. Er muss nicht einmal in einer
autoritären Gesellschaft leben, um Opportunist zu sein. Für
ihn ist die Anerkennung durch sein Umfeld, unabhängig von
dem, was anerkannt wird, die einzig eindeutige Erfolgsnorm.5
In einer nur äußeren Demokratie dominiert falsches Leben, das mit Argumenten (selbst „wissenschaftlichen“) zurecht
gedacht wird und auch mit manipulativen, propagandistischen
Mitteln angeordnet, erzwungen wird oder Menschen mit Verlockungen ködert. Das nicht mehr unmittelbar gefühlte Leben
wird durch ein gedachtes Leben ersetzt. Demokratie ist nur
dann eine wirklich gute Gesellschaftsform, wenn sie von Menschen getragen und ausgestaltet wird, die Demokratie leben
und nicht spielen (müssen). Dazu wäre eine natürliche Gefühlsfähigkeit eine wichtige Voraussetzung, die nur unter Beachtung
komplexer Bedingungen der Entwicklungspsychologie erreicht
werden kann, nämlich wenn:
• Schwangerschaft und Geburt nicht von medizinischen Überlegungen und Maßnahmen dominiert
werden (ausgenommen natürlich Notfälle), sondern
„natürlich“ ablaufen können und begleitet werden;6
5

Vgl. David Riesman, „The Lonely Crowd“ (1950), dtsch. „Die einsame Masse. Eine Untersuchung der Wandlungen des amerikanischen Charakters“,
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1964.

Inés Brock (Hrsg.), „Wie die Geburtserfahrung unser Leben prägt“, Psychosozial-Verlag, Gießen 2018.

• der Mutter für das Stillen Empathie und Zeit bleiben;
• die elterliche Frühbetreuung nicht traumatisierend
verläuft;
• keine zu frühe Mutter-Kind-Trennung mit Fremd
betreuung erzwungen wird (keinesfalls vor dem zweiten, besser nicht vor dem dritten Lebensjahr);
• die Kindergartenbetreuung nicht traumatisierend
verläuft, was abhängig ist von der Gruppengröße, der
Qualität der Beziehung zwischen Kind und Fremdbetreuer und davon, dass es keine ideologisch-politische,
moralische und sexuelle Beeinflussung gibt;
• die Schulbildung grundsätzlich reformiert wird, was
hieße, dass die Wissenschaftsvermittlung nicht nach
Lehrplan mit Leistungs- und Konkurrenzdruck erfolgt, sondern durch Beziehungskultur, soziale Bezogenheit, systemisches und ganzheitliches Denken,
freie kreative Entfaltung mit individueller Förderung
und gefühlsorientierter Achtsamkeit;7
• eine Gefühlskunde8 gelehrt und gefordert wird, und
zwar als eine selbstverständliche Kompetenz für alle
Menschen, besonders für jene, die später in der Verantwortung stehen: Eltern, Erzieher, Lehrer, Experten,
Journalisten und Politiker.
Gefühlskunde meint zunächst ein theoretisches Verständnis
der Bedeutung und Wirkung von Gefühlen, eine Kenntnis ihrer

Michael Hüter, „Kindheit 6.7“, Edition Liberi & Mundo, Melk an der Donau 2018.

Vivian Dittmar, „Kleine Gefühlskunde für Eltern“, Verlag VCS Dittmar,
Edition Est, München 2014.

elektrophysiologischen und biochemischen Wirkungen, ihres
wesentlichen Einflusses auf Gesundbleiben und Krankwerden,
ihrer sozialen Wichtigkeit und zentralen Kommunikations
bedeutung. Neben der Theorie aber sollte vor allem die Gefühlspraxis gelehrt und geübt werden:
• die Gefühlswahrnehmung mit den psychischen und
körperlichen Manifestationen;
• der Gefühlsausdruck mit dem Unterschied kontrollierter und vollständiger (ganzkörperlicher) Gefühlsentladung;
• die Gefühlskontrolle – es gibt natürlich Situationen, in
denen Gefühle zurückgehalten (z. B. beim Autofahren
und den meisten Arbeitsabläufen) oder deutlich gebremst werden sollten (z. B. im kommunikativen Bemühen um Verständigung), weshalb zu lernen wäre:
Wann und wie können Gefühle voll zum Ausdruck
gebracht, wann und wie sollten Gefühle zurückgehalten werden?
• die Unterscheidung zwischen echten Gefühlen als
psychosomatisches Erleben, das einen spontan erfasst, und den gemachten, produzierten Gefühlen, die
demonstrativ eingesetzt werden, einer Absicht folgen
oder jemanden betont ablenken sollen.
Echte Gefühle sind der Wahrheit und der Realität oft näher als
das Denken. Gefühle repräsentieren das leibseelische Innenleben. Das Denken ist stark abhängig von äußeren Einflüssen,
was man gelesen, gehört, gelernt hat, was richtig oder falsch sei,
was die Experten sagen, die Wissenschaft belegen könne, was
sozial erwartet, moralisch gefordert und politisch opportun ist.
42

Viele Menschen leiden häufig an einer „emotionalen Dissonanz“9, wenn sie nach außen etwas anderes zeigen (sollen,
müssen), als sie im Inneren erleben. Dann entscheiden sie sich
häufig für das Geforderte, das Erwartete und nicht für das Ehrliche, das wirklich Erlebte, und leiden darunter – bis sie ihre
Wahrheit gar nicht mehr wahrnehmen. Doch diese Entlastung
ist nur scheinbar, so dass sie schließlich an der verdrängten
Verlogenheit erkranken.
Ähnlich verhält es sich bei „kognitiver Dissonanz“.10 Dann
kämpfen Menschen innerlich mit unvereinbaren Gedanken,
Meinungen, Wünschen, Absichten und folgen schließlich dem
politisch geforderten Narrativ, den auferlegten moralischen
und religiösen Zwängen oder auch nur der Mehrheitsmeinung.
Deshalb fürchten und verachten viele Menschen ihre Gefühlswelt und erlauben sich kein eigenes freies Denken, sie unterdrücken oder verleugnen die Gefühle und handeln dann nach
dem Zurechtgedachten (für dessen vermeintliche Stimmigkeit
sie sich eine „Privatlogik“ zimmern) oder nach dem geforderten Denken. Natürlich gibt es soziale Situationen, in denen der
Dissens zwischen Fühlen, Denken und Handeln aus diplomatischen Gründen, zwecks Verständigung und Deeskalation, be-

Sebastian Mauritz, „Emotionale Dissonanz als Burnout-Treiber“, online:
<https://www.resilienz-akademie.com/emotionale-dissonanz>. Vgl. auch
Friedemann Nerdinger, Gerhard Blickl, Niclas Schaper, „Arbeits- und
Organisationspsychologie“, Springer Verlag GmbH, Heidelberg 2018.
Dort heißt es: „Emotionale Dissonanz liegt vor, wenn sich erlebte und
dargestellte Emotionen widersprechen. Emotionale Dissonanz ist die Folge
von Oberflächenhandeln als einer Form der Gefühlsarbeit und kann zu
negativen Konsequenzen, u. a. zu Burn-out, führen.“

10 Leon Festinger, „Theorie der kognitiven Dissonanz“, Hogrefe AG, Göttingen 2019.

wusst durch emotionsgebremstes Verhandeln und gezügeltes
Denken überbrückt wird.
Es empfiehlt sich deshalb immer, in wichtigen Angelegenheiten vor dem Denken und Handeln seine Gefühle zu befragen und bemüht zu sein, Gefühltes in Sprache und damit ins
Verstehen zu übersetzen. Das kann man lernen und üben.11
Häufig sind zwischenmenschliche Kontakte und spezifische soziale Situationen Trigger, dass sich aufgestaute Gefühle entladen. Dann reagiert man meistens wesentlich heftiger, als es der
Situation angemessen wäre. Bei solch heftigen Reaktionen hilft
Focusing nicht nur, sich vor weiterem Handeln abzureagieren,
also die affektive Spannung, mit der uns ein Gefühlsstau auflädt,
abzuleiten. Focusing bietet zudem eine gute Möglichkeit, die
Trigger erlebter Traumatisierung zu erinnern und gedanklichsprachlich zu erfassen und damit auch kognitiv zu verarbeiten.
Und kognitiv verarbeiten heißt, die möglichen eigenen Opfer-
Anteile (z. B. wie man den Täter provoziert hat) an einer verletzenden Situation verstehen zu wollen und natürlich auch die
Probleme und Motive des Täters zu erfassen. Ich betone, Verstehen heißt nicht Entschuldigen oder sogar Zustimmen, aber
erst nach emotionaler Entladung und kognitiver Verarbeitung
sind Verzeihen und Vergeben am ehesten wirklich möglich –
nicht nur als Lippenbekenntnis, aus moralischer Pflicht oder
religiösem Zwang.
Neben dem Focusing, mit dem der emotionale Untergrund
einer belastenden Lebenssituation erforscht werden kann, ist

11 Eugene T. Gendlin, „Focusing“, Rowohlt-Verlag, Reinbek 2012. Siehe auch
Ann Weiser Cornell, „Focusing – Der Stimme des Körpers folgen: Anleitungen und Übungen zur Selbsterfahrung“, Rowohlt-Taschenbuch, Reinbek 1997.

eine „gewaltfreie Kommunikation“, wie sie von Thomas Gordon12 in den Familienkonferenzen wunderbar entwickelt worden ist, eine hervorragende Möglichkeit, sich im friedfertigen
Verhalten zu üben.
Leider muss man auch sagen: Ohne Lüge oder zumindest
ohne Verschweigen von Wahrheiten wäre ein pflegliches Miteinander-Auskommen oft nicht gut möglich. Das gilt besonders
für normopathische Gesellschaften, die massenpsychologisch
im Gefühlsstau leben und wo jederzeit bei Konflikten und Krisen ein kollektiver affektiver Ausbruch möglich werden kann.
So haben z. B. auch die damalige Kanzlerin Merkel und ihr
Finanzminister Steinbrück in der Finanzkrise 2008 bewusst gelogen, um die Menschen zu beruhigen.13
Die Demokratie braucht zur Empathie fähige Menschen.
Empathie können nur gefühlsoffene Menschen aufbringen.
Eine Gefühlsoffenheit ist bei Gefühlsstau, da er alles weitere
Fühlen verhindert oder verfälscht, nicht mehr möglich. Ein
echter Demokrat kann nur ein Mensch sein, der für jeden anderen Menschen und für jede Situation zu einem einfühlenden
Verstehen in der Lage ist. Ebenso wenig, wie Verstehen Übereinstimmen oder Zustimmen heißt, bedeutet es, Fehlverhalten
zu entschuldigen. Empathie ist deshalb für eine Demokratie
zwingend, weil man für eine realitätsgerechte Beurteilung die
Motive, die soziale Situation, die Interessen, Zwänge und Persönlichkeitsbesonderheiten eines Gesprächs-, Verhandlungs-,
Konfliktpartners erfassen muss.
12 Thomas Gordon, „Familienkonferenz. Die Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind“, Wilhelm Heyne-Verlag, München 2012.
13 Merkel und Steinbrück im Wortlaut, „Die Spareinlagen sind sicher“, Spiegel.de am 05.10.2008, online: <https://www.spiegel.de/wirtschaft/merkelund-steinbrueck-im-wortlaut-die-spareinlagen-sind-sicher-a-582305.html>.

Demokratiespieler dagegen sind in aller Regel empathielos,
vor allem wenn sie mit narzisstischer Störung an die Macht
kommen. Sie fühlen ihre eigene innere Situation wenig, sind
im Gefühlsstau wegen einer Frühtraumatisierung durch Liebesmangel blockiert, mussten sich deshalb narzisstisch ein Größenselbst zur Kompensation aufbauen, das sie bei normopathischen
Verhältnissen in Führungspositionen bringt. Ihr Denken ist
ichbezogen, egoistisch, sich selbst überhöhend und auf Vorteile
bedacht und zugleich im Konkurrenzkampf fremdabwertend
(damit steht man schon immer in der Relation besser da!). Der
gefühlsblockierte Narzisst fühlt nicht, wie es einem anderen
geht, kann nicht einfühlend verstehen, sondern sucht nur nach
Möglichkeiten, wie er einen anderen für seine Bedürfnisse nutzen kann. Seine Gefühlsblockade verlangt nach Menschen und
Situationen, die er mit den eigenen verleugneten, nicht mehr
wahrgenommenen Gefühlen projektiv beladen kann – so entstehen die Feindbilder und Sündenböcke: Du bist schuld! Du
bist falsch! Du bist schlecht und böse!
Eine äußere Demokratie mit Demokratiespielern funktioniert nur so lange halbwegs gut, solange entfremdete, verstörte, kranke, korrupte, kriminelle Spieler von anderen oder den
Strafgesetzen und der Psychiatrie ausgebremst und in ihrer Geltung relativiert werden. Das setzt auch das Bestehen echter Liberalität und Meinungsfreiheit voraus. Der Pluralismus schützt.
Aber in der Krise des individuellen Lebens wird der narzisstisch Gestörte krank oder schwerer sozial auffällig und konflikt
erzeugend. Und wie hier im Einzelnen der belliphile Ungeist
sich regt, so wachsen in der Krise einer narzisstischen Gesellschaft ganz allgemein ein Bellizismus und konkrete Feindbildprojektionen. Eine normopathische Gesellschaft braucht nahezu gesetzmäßig einen „Bösewicht“, der kollektiv-projektiv
46

beschuldigt und bekämpft werden kann, um die Irrtümer und
die Schuld an der Gesellschaftsentwicklung zu verleugnen. So
erklärt sich auch gegenwärtig das belliphile Demokratie-Spiel
in Deutschland, in dem alles Schlechte auf eine verteufelte
Partei – die AfD – projiziert wird.14 Indem von politischen Inhalten durch belliphile Diffamierung abgelenkt wird, soll die
notwendige Erkenntnis schwerwiegender politischer Fehler, die
den Aufstieg der AfD überhaupt erst ermöglichten, verhindert
werden. In einer funktionierenden Demokratie wäre das undenkbar, da würde selbstverständlich der inhaltliche Disput uneingeschränkt stattfinden, um optimal auf die Realität reagieren
zu können und nicht Opfer der Macht- und Propaganda-Tricks
im Demokratie-Spiel zu werden.

14 Westdeutsche werden sich erinnern, dass die 1980 gegründeten Grünen
ebenfalls zunächst als Schmuddelkinder und „Chaotentruppe“ gemobbt
und vom Verfassungsschutz beobachtet wurden. Allerdings erntete die
Ökopartei immer wieder freundlich gesinnte Berichte auch in tonangebenden überregionalen Zeitungen und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Davon kann für die AfD nicht die Rede sein. Nicht einmal die Linkspartei,
als Erbin der SED belastet mit einer Diktatur-Vergangenheit, erfuhr in den
ersten Jahren der deutschen Einheit eine solche Stigmatisierung wie die
AfD im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens, indem der rechte Narrensaum
dieser Partei stärker ins Licht gerückt wurde als deren bürgerlich-konservative Programmatik.

Gefühlsstau

Wir haben keine Wahl, zu fühlen oder nicht. Wir denken und
fühlen immer und überall. Wir haben nur die Möglichkeit, Gefühle zu unterdrücken oder auszudrücken, unser Fühlen wahrzunehmen oder zu verleugnen oder ganz und gar abzuspalten.
Dann können Menschen sagen: Ich fühle gar nichts!
Die nationalsozialistische, die sozialistische und die kapitalistische Gesellschaft waren oder sind politisch, ideologisch,
ökonomisch und im Ausleben destruktiver Gewalt sehr unterschiedlich, doch hinsichtlich einer gefühlsfeindlichen Einstellung sehr ähnlich. Echte Gefühle sollen beherrscht und
unterdrückt werden – was immer dem gleichen Zweck dient:
Die Fehler der Erziehung und das Leben unter inhumanen
Verhältnissen sollen nicht empfunden werden. Es darf keine berechtigte Wut als Folge repressiver und manipulativer
Erziehung hochkommen, kein tiefer seelischer Schmerz früh
erfahrener Lieblosigkeit spürbar werden, keine Trauer um den
Verlust von Entwicklungschancen und Lebensmöglichkeiten
aufsteigen.
Die nationalsozialistische Ärztin Johanna Haarer (1900–
1988) hat eine kinderfeindliche, hochpathologische Erziehung
in Deutschland über Jahrzehnte geprägt. Sie hat großen Wert
darauf gelegt, dass ein Kind nicht „führerlos“ heranwachsen
dürfe, dass Zärtlichkeit, Wärme, Zuneigung und Liebe keine
wichtigen Beziehungsqualitäten zwischen Mutter und Kind
sein sollen, sondern dass die Mutter einen Mutter-Kind-Kampf
mit Härte und Bestimmtheit zu gewinnen habe. Ein schreiendes, also „ungezogenes“ Kind müsse z. B. in einen Raum ge49

sperrt und nicht beachtet werden, bis es sein Verhalten ändere.
Haarers Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“15 aus
dem Jahre 1934 ist noch 1987 in der BRD verlegt worden.
Dass die Maximen dieses Werks einen derart starken, die
mütterliche Erziehung der Kriegs- und Nachkriegsgeneration
nachhaltig bestimmenden Einfluss gewinnen konnten, zeigt,
was möglich wird, wenn ein Denken ohne Fühlen die Herrschaft übernimmt. Unsere Fähigkeit, die Natur der Dinge wahrzunehmen, ist dann wie abgeschaltet. Verbohrtheit des Verstandes macht blind für die einfachsten Evidenzen. Allein schon die
simple Beobachtung ihrer eigenen spontanen Fürsorge-Reflexe
und Zärtlichkeits-Impulse hätte Mütter damals über Haarers
kalten Irrsinn belehren können. Erst recht natürlich der Blick
auf andere Säugetiere: Keine Äffin lässt ihr Junges, keine Hündin ihre Welpen, keine Kuh ihr Kalb stundenlang ohne körperlichen Kontakt. Ganz zu schweigen vom Vorbild, das uns unsere
eigenen Artgenossen geben, sofern sie noch sogenannten Naturvölkern angehören. Der Psychotherapeut Steffen Oelsner hat
auf seinen Reisen durch die Urwälder Südostasiens wiederholt
Dörfer besucht, wo die Kinder selbst noch im zweiten Lebensjahr, wenn sie nach Nähe verlangten, beständig getragen wurden – mit besten Folgen für die psychische Gesundheit.16 Auch
Jean Liedloff, die zweieinhalb Jahre bei den Yequana-Indianern
15 Johanna Haarer, „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, J. F. Lehmanns
Verlag, München 1934.
16 Steffen Oelsner, „Fühlendes Erkennen. Theorie und Praxis emotionaler
Heilung“. Verlag Frank & Timme, Berlin 2022. Oelsner schreibt, die Kinder
seien im ersten Lebensjahr den ganzen Tag über von ihren Müttern getragen worden, erst am Leib, dann auf den Schultern. Im zweiten Lebensjahr
hätten dies vorzugsweise die Väter übernommen. Und Oelser vermerkt, er
habe auf seinen „Trekkingtouren durch etwa fünfzehn Dörfer Südostasiens
kein Kind unglücklich weinen“ hören (ebd., S. 265).

in Venezuela lebte, hat die Glücksfähigkeit des Menschen auf
eine gute frühe Mutter-Kind-Bindung durch Körperkontakt zurückgeführt.17 Aber wer an einer „Herrenrasse“ bastelt oder am
sozialistischen „neuen Menschen“ oder wer dem Kapitalismus
den passenden „flexiblen Menschen“18 verschaffen will, muss
natürlich sein Wahrnehmen, sein fühlendes Erkennen einfrieren, um das Zurechtgedachte umsetzen zu können.
Die Soziologin Eva Illouz hat ausführlich dargestellt, dass
der Konsumkapitalismus auch die Gefühle zur Ware gemacht
hat.19 Damit sei ein nicht mehr authentisches Gefühlsleben in
den westlichen kapitalistischen Gesellschaften forciert worden.
Es sei auch eine allgemeine Strategie des Kapitalismus, die Gefühle der Arbeitnehmer konsumfreundlich zu beeinflussen.
Gefühle würden gezielt durch Werbung, durch Musik und Filme „produziert“ und manipuliert. Waren bekämen emotionale
Eigenschaften zugeschrieben, die vor allem glücklich machen
sollen. So kaufen wir Musik, damit sie unsere Stimmung hebt,
sprühen uns mit Parfüm ein, um Sex-Appeal und Selbstwert zu
steigern, buchen Urlaube als Wohlfühlprogramme und bezahlen Psychotherapeuten, damit der Leidensdruck guten (nicht
länger störenden) Gefühlen Platz macht. Selbst die Liebe gehorcht Marktgesetzen, wenn in Partnerbörsen mit standardisierten Profilen die richtigen Partner gefunden werden sollen.
Indem sie feststellte, dass Gefühle zur Ware geworden sind,
musste sich Illouz auch mit der Frage der Authentizität aus17 Jean Liedloff, „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“, C.H.Beck,
München 2005.
18 Richard Sennett, „Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus“. Berlin Verlag, Berlin 1998.
19 Eva Illouz, „Wa(h)re Gefühle. Authentizität im Konsumkapitalismus“,
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.

einandersetzen und kam zu dem Befund, dass Authentizität
im Verlauf des Konsumierens von Gefühlswaren nicht „befreit“, „freigelegt“ oder „verwirklicht“ werde. Im Konsumieren werden Gefühle auch erzeugt, z. B. durch Rekonstruktion
der Vergangenheit (für eine aufwühlende Beschäftigung mit
der eigenen Biografie sorgen die auf dem psychoanalytischen
Markt angebotenen Therapien), durch kaufbare Erlebnisse
(wie etwa Erholung und Abenteuer im Urlaub, Genuss im
Restaurant, Rührung oder Erhebung im Konzert u. a.), durch
zukunftsorientierte Projekte in Selbsthilfegruppen und durch
Bemühungen zur Selbstoptimierung. Also Gefühle, erworben
auf dem Markt der Erinnerung, erzeugt von Events und durch
äußere Einflüsse, treten gegen die wirkliche emotionale Innenwelt an!
So hat der Kapitalismus dazu beigetragen, unser Innenleben
zu blockieren und von außen durch entsprechende Reize eine
emotionale Scheinwelt zu erzeugen.20 Am Ende soll der einzelne Mensch das reale Elend nicht mehr spüren können, sondern
durch permanente emotionsgeladene Reize des Konsums, der
Animation und medialen Propaganda beschäftigt, abgelenkt
und betäubt werden. Die echten Gefühle des innerseelischen
Erlebens kommen immer weniger zum Austausch, und die
künstlich erzeugten Gefühle, die kommerzielle Inhalte transportieren, machen den Menschen zum Objekt ökonomischer
Interessen. Nach meiner Erfahrung ist der damit verbundene
Gefühlsstau nicht gelebter authentischer Gefühle im Kapitalismus weitaus gefährlicher und hinterhältiger als ehemals in der
DDR, gerade weil er weniger auf offenkundigem Zwang beruht.
20 Eva Illouz, „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2008.

Das falsche Leben bleibt undurchschaut, es lässt sich als ein
doch buntes, gutes Leben fehldeuten. Die zur Ware entfremdeten Gefühle zeigen keinen Schmerz mehr an. Konsumsucht,
Werbeverheißungen und oberflächliche, sinnentleerte, aber
spannend aufgemachte Animationen verdecken das Negative.
Der eigentliche Gefühlsstau des entfremdeten Lebens wird also
gar nicht mehr erkannt, sondern erscheint in der Fülle psychischer und psychosomatischer Symptome und sozialer Konflikte
nur als Schatten des scheinbar so guten Lebens.
Ich habe mich in meinem Buch „Der Gefühlsstau“ ausführlich mit den Folgen einer repressiv-autoritären Erziehung in
der DDR auseinandergesetzt, welche die individuelle Gefühlswelt zugunsten geheuchelter, kommandierter Gefühle unterdrückte.21 So sollten die belastenden Gefühle des geografisch
und sozial eingeengten Lebens in eine zustimmende kollektive
Begeisterung für „Frieden und Sozialismus“, in Enthusiasmus
für die Herrschaft der Arbeiterklasse transformiert werden. Begeisterung auf Verlangen aber wird immer Pseudobegeisterung
bleiben.
Wie gesagt, halte ich den westlich-kapitalistischen Gefühlsstau für gefährlicher als den DDR-sozialistischen, weil
die westliche Konsumwelt die echten Gefühle praktisch durch
unendliche Warenfülle wie Drogen betäubt. Dagegen war die
politisch-
ideologische Propaganda der DDR primitiv und
plump und die geforderte Zustimmung zum Sozialismus wurde durch das Leben im Mangel und in Enge regelrecht konterkariert. Ich komme noch darauf zu sprechen, dass nach meiner Einschätzung die Anfälligkeit für Kriegslust im Westen
21 Hans-Joachim Maaz, „Der Gefühlsstau“, Argon-Verlag, Berlin 1990, spätere Ausgaben im Verlag C.H.Beck, München.

Deutschlands wesentlich höher ist als im Osten. Gegenwärtig
schwächeln die bisherigen „Drogen“: Konsum – Animation –
soziale Sicherheit. Es bietet sich daher an, den Gefühlsstau, der
in sehr vielen Menschen besteht, auf neue Weise zu deckeln
oder die nach Ausbruch drängenden Emotionen mit allfälligen
Mitteln zu kanalisieren. Angst ist eines dieser Mittel, und so
wird das Unbehagen, das eigentlich der Gefühlsstau erzeugt,
sehr geschickt auf die ängstigenden Probleme der Pandemie,
des Klimawandels und des Ukraine-Krieges projiziert.
Diese Gefühlsablenkung scheint in der alten Bundesrepu
blik wesentlich besser zu gelingen als in den neuen Bundesländern. Der Gefühlsstau aus dem DDR-Leben hat sich teilweise
in der „friedlichen Revolution“ entladen, ist aber leider auch
zu schnell durch eine Wiedervereinigung, die bloß im Beitritt
zur BRD bestand, ausgebremst worden. Zu einer angemessenen Abreaktion von Wut und Schmerz hätte eine juristische
Verfolgung und Bestrafung der führenden Parteigenossen und
Stasi-Mitarbeiter gehört, und zwar aus ostdeutscher Kraft und
mit eigenem Personal. Die hat es nicht gegeben. Auch ist die
individuelle Scham und Schuld der Mitläufer und Denunzianten im Westrausch weggeschwemmt worden. So konnten die
ideologischen Phrasen der DDR-Staats- und Parteiführung
schnell in die Verheißungen der Warenwelt des Westens getauscht werden – zunächst ja auch sehr erfolgreich. Die Verheißungen verhinderten die notwendige Gefühlsarbeit an
der erlittenen und geduldeten Repression: Dem Gefühlsstau
wurde praktisch das Maul gestopft. Aber die Erfahrung, dass
bestimmt Gefühle propagandistisch verlangt werden, hat viele
Ostdeutsche dann doch gegenüber verführerischer Werbung
und geheuchelter bzw. ideologisch verzerrter Politik allergisch
werden lassen.
54

Die Wege in den Gefühlsstau mögen verschieden sein:
autoritär, repressiv, verführend, manipulierend – das schädigende Ergebnis ist das Gleiche: Gefühlsstau macht krank oder
böse! Aufgestaute, nicht wahrgenommene und angemessen
ausgedrückte Gefühle bedeuten Stress, der dann energetisch
in psychischen und psychosomatischen Symptomen abgeführt wird – z. B. als innere Spannung, Unruhe, Erschöpfung,
Kopfschmerzen, hoher Blutdruck, Atemeinschränkung, Herz-
Kreislauf- und Magen-Darm-Beschwerden, Muskelverspannung mit folgenden Rücken- und Gelenkbeschwerden u. a. m.
Auch psychische Symptome wie Ängste und Phobien, Zwänge, aggressive Entladungen sind Folge des Gefühlsstaus. Eine
Depression kann die Erschöpfungsfolge einer ständig zur Einschränkung der Lebendigkeit verbrauchten Energie sein: Die
aufgestaute emotionale Energie wird selbstzerstörend, selbstbremsend verbraucht. Es ist sozial gesehen überhaupt eine sehr
destruktive Gefahr, dass Menschen im Gefühlsstau Gründe suchen, um sich zu erregen, und Opfer brauchen, um sich abzureagieren. Gefühlsstau bildet die energetische Basis für Streitlust,
Gewalt und Kriegsbegeisterung.
Der gefühlsgestaute, nicht mehr mit seinem eigentlichen
Fühlen verbundene Mensch produziert Empfindungen nach
Maßgabe äußerlicher oder fremder Interessen. Er folgt dabei
den Interessen der Macht, des Profits, der Moral, der Ideologie
oder Religion. Menschen mit Zugang zu ihren echten Gefühlen werden immer im Kontakt zu fühlenden Anderen stehen.
Sie lassen sich von Emotionen entsprechend „anstecken“ und
fühlen empathisch mit. Aufgesetzte, gemachte Gefühle hingegen empfinden sie als lästig, störend und peinlich. Durch
massenpsychologische Propaganda lassen sich allerdings auch
gelenkte, suggestiv manipulierte Emotionen verbreiten, was
55

zu hysterischen Massenreaktionen führen kann. Eine wichtige
Möglichkeit, um zwischen echt und hysterisch zu unterscheiden, ist für die Menschen, die darin nicht sicher sind, sich an
der Dauer eines Gefühlsausdruckes zu orientieren. Echte Gefühlsexpressionen sind eher kurz, dauern nie länger als etwa
zwanzig Minuten und enden in der Regel mit körperlicher Entspannung und in seelischer Heiterkeit. Dagegen finden hysterisierte Gefühle häufig kein Ende und ermöglichen keine echte
Entspannung oder leibseelische Zufriedenheit.
Emotionen ohne tiefere seelische Beteiligung sind, wie
schon erwähnt, entweder politisch gefordert, um einem politisch-ideologischen Narrativ zu huldigen. Oder fremde Interessen verführen zu Gefühlen, die durch Werbung (Waren sollen
glücklich machen), durch moralische und religiöse Forderungen (sei ein begeisterter Anhänger von …) manipuliert werden.
Aber es gibt auch ganz persönliche Interessen, oberflächlich
mit sich umzugehen. Bei Selbstentfremdung helfen gemachte
Gefühle, sich von den tiefen schmerzlichen und bedrohlichen
Inhalten des Gefühlsstaus abzulenken, um möglichst nicht an
die frühe Traumatisierung erinnert zu werden. So werden aufgestaute echte Gefühle in Ersatzgefühle umgewandelt, die zwar
eine relative Abfuhr erlauben, wobei aber die Expression nie
wirklich entlasten oder beruhigen kann. Sportereignisse (besonders Fußball), Musik (besonders als Massenveranstaltung),
Filme, Demonstrationen, Kundgebungen, Protestaktionen,
Trauerinszenierungen beim Tod berühmter Persönlichkeiten
oder die Feiern von Prominenten bieten Gelegenheit für Ersatzgefühle – also eine angemessene Gefühlsintensität, aber eben
für ein unpersönliches Ereignis.
Nur so kann man die Riesenbegeisterung für ein Fußballtor
oder erlebtes Leid beim Tod einer prominenten Persönlichkeit,
56

die man gar nicht persönlich kannte, verstehen. So kann auch
Hass auf ein Feindbild geschürt werden, indem politische Interessen propagandistisch ganz individuelle Aggressionen aus
dem Gefühlsstau als Transportmittel missbrauchen. Kein Krieg
ohne massenhaften Gefühlsstau!
Aber besonders tragisch ist, dass auch positive, die Lebensqualität verbessernde Emotionen wie Freude, Glück, Lust im
Gefühlsstau steckenbleiben, weil sie durch frühe Erfahrungen
von Gewalt, Kränkung, Ablehnung unmöglich gemacht worden
sind. Gute Gefühle, die beim Erwachsenen nicht aufkommen,
weil er sie als Kind nicht erleben konnte. Die Tragik besteht
darin, dass ein frühtraumatisierter Mensch, auch wenn er später
Liebe erfährt und Gelegenheit zur Freude und Anlass für glückliche Augenblicke bekommt, die Erfüllung nicht zulassen mag.
Denn das aktuell Gute emotional zu feiern, würde heißen, an das
abgelagerte, unterdrückte, ins Unbewusste verbannte Schlechte
erinnert zu werden. So werden mögliche gute Erfahrungen unbewusst gemieden oder durch Zweifel und Misstrauen zunichte
gemacht. Jeder Therapeut kennt wahrscheinlich Schilderungen
von zerstrittenen Paaren, wo der eine Partner sich auf den anderen zubewegt und Versöhnung zwischen ihnen möglich scheint,
der andere Partner aber auf die freundlichen Signale mit Abwehr reagiert – lieber, als die Chance für bessere Stimmung zu
ergreifen, geht er in den inszenierten Konflikt.
Im Gefühlsstau sind am häufigsten Wut und Schmerz aufgestaut und nicht gelebt worden. Dafür ist eine weitverbreitete
Erziehungsnorm verantwortlich mit den Inhalten: Beherrsche
dich, sei ruhig, werde ja nicht frech, sei nicht so laut, jammere
hier nicht rum, ist ja nicht so schlimm, das bildest du dir ja
nur ein usw. usw. So werden Gefühle unterdrückt, abgewertet,
in Abrede gestellt und übergangen oder schnell weggetröstet.
57

Wut ist ein berechtigtes Gefühl bei Mutterbedrohung,
Mutterbesetzung, Muttervergiftung, bei Vaterterror, Vatererpressung und Vatermissbrauch. Seelischer Schmerz ist die
Folge vor allem von Muttermangel und Vaterflucht.22 Nicht
gelebte Wut aus früher Traumatisierung ist die dann zumeist
unbewusst gewordene Quelle für ein Leben als reizbare Persönlichkeit, als ein Mensch, der sich schnell aufregt über alles
Mögliche oder Unmögliche, der Konflikte inszeniert und Streit
sucht, schlimmstenfalls zu Gewalt und Brutalität neigt und Begeisterung für einen Krieg entwickeln kann. Berechtigte Wut
aus erlittener seelischer Verletzung kann zwar unterdrückt,
aber nicht vermieden werden. Und wenn die Aggression nicht
situationsgerecht angemessen gezeigt und ausgedrückt werden
darf, taucht sie später, transformiert, wieder auf: in Form psychosomatischer Symptome oder als Affinität für psychosoziale
Gewalt.
Der unterdrückte seelische Schmerz aus Kränkung und
Lieblosigkeit ist eine Quelle für ungestillte Sehnsucht und Bedürftigkeit, die am häufigsten zur Verliebtheit oder Verehrung
führt mit der illusionären Erwartung, jetzt doch noch von einem Menschen geliebt oder bestätigt zu werden. Aber fehlende Elternliebe ist durch nichts und niemanden nachträglich zu
befriedigen, es bleibt ein Mangelschmerz, der nur gezeigt und
zum Ausdruck gebracht werden kann, und zwar immer mal
wieder, wenn im realen Leben der Wunsch nach Anerkennung
und Bestätigung unerfüllt angewachsen ist. Frühe Lieblosig-

22 Hans-Joachim Maaz, „Das falsche Leben“, darin das Kapitel „Das falsche
Selbst begründet falsches Leben“, Verlag C.H.Beck, München 2017. Vgl.
auch ders., „Angstgesellschaft“, darin das Kapitel „Die Differenzierung der
Ängste“, Verlag Frank & Timme, Berlin 2022.

keit erschwert die spätere Liebes- und Friedensfähigkeit erheblich. Aber Liebe zwischen Erwachsenen, die dann nicht mehr
bedingungslos sein kann, sondern im liebevollen Geben und
Nehmen besteht, wird möglich, wenn der Gefühlsstau unerfüllt
gebliebener Liebessehnsucht immer mal wieder abgeführt werden kann.

Zur Therapie des Gefühlsstaus

Die Therapie des Gefühlsstaus ist zugleich eine Therapie zur
Friedensfähigkeit. Ohne Gefühlsstau will kein Mensch Krieg,
weder die in Deckung befindlichen Befehlshaber noch die bedauerlichen Soldaten und Offiziere, die ihr Leben opfern sollen.
Aus langer Erfahrung als Psychotherapeut – praktizierend
und lehrend – muss ich bekennen, dass in den allermeisten
Therapien der vorliegende Gefühlsstau nicht angemessen oder
ausreichend behandelt wird. Die besten Möglichkeiten für eine
gute Therapie eines Gefühlsstaus fand ich in der Körperpsychotherapie. Die wesentlichen Ursachen für gravierende Gefühle
der Wut und des Schmerzes liegen in der allerersten Lebenszeit
(vor, während und nach der Geburt und in den ersten Lebensjahren), und ebenso finden sich die Ursprünge der Gefühlsblockade in einer gefühlsunterdrückenden Erziehung am Anfang des Lebens. Es ist vor allem die Zeit, in der das Baby, das
Kleinkind für seine Gefühle noch keine Sprache hat. Aber die
Körpererfahrungen, mit denen Gefühle wahrgenommen und
zum Ausdruck gebracht werden, sind gespeichert und wiederbelebbar. Wenn, so die klassische Psychoanalyse, der Traum
die Via Regia zum Unbewussten23 ist, dann bietet der Körper
den königlichen Weg zum präverbalen Unbewussten.24 Damit
23 Stefan Goldmann, „Via Regia zum Unbewussten“, Psychosozial-Verlag,
Gießen 2003; Sigmund Freud, „Die Traumdeutung“ (Studienausgabe),
Bd. 2, Verlag S. Fischer, Frankfurt/Main 1989.
24 Hans-Joachim Maaz, „Körperpsychotherapie bei Frühstörungen“, in: Marlock/Weiss „Handbuch der Körperpsychotherapie“, Schattauer-Verlag,
Stuttgart 2006.

wird verständlich, dass die Erfahrungen und Erinnerungen des
Körpers therapeutisch erreicht werden müssen, um die Frühtraumatisierung mit dem Gefühlsstau abreagieren und dann
auch in Sprache übersetzen zu können.
Die Körperpsychotherapie bietet dazu sehr gute Möglichkeiten: Meist auf einer Bodenmatte liegend, die freie Bewegung
erlaubt, durch spezielle Atemtechniken, durch Berührungen
und Massagen, durch muskuläre Stresspositionen, körperliche
Ausdrucksübungen und körperlich übermittelte Unterstützung
oder auch durch gegebenen körperlichen Widerstand können
frühe Gefühle aktiviert werden.25 Am wichtigsten sind eine
intensivierte und vertiefte Atmung und die Öffnung des Kehlkopfes durch „Ton geben“. In der weiteren körpertherapeutischen Arbeit wird darauf geachtet, dass aktivierte Gefühle sich
möglichst ganzkörperlich entwickeln können:
• z. B. Schmerz: Die Augen röten sich, Tränen steigen
auf und beginnen zu fließen, die Lippen zittern und
die Wangen beben, aus der Kehle kommen Schmerzlaute, der Brustkorb schmerzt und bebt, das Zwerchfell
„hüpft“, die Arme suchen Halt, Schutz, Umarmung,
der Körper rollt sich in eine Embryonalstellung und
ein tiefes Weinen, Schluchzen und Schreien lässt den
ganzen Körper zittern, vibrieren und beben.

25 Hans-Joachim Maaz, „Integration des Körpers in eine analytische Psychotherapie“, in: Maaz/Krüger (Hrsg.), „Integration des Körpers in die
analytische Psychotherapie“, Pabst Science Publishers, Lengerich 2001,
S. 17–28; ders., „Fokussierte Regression mit köperpsychotherapeutischen
Interventionen im psychoanalytischen Prozess“, in: „Psychoanalyse und
Körper“, 1. Jg., Heft 1, 2002, S. 119–129.

• z. B. Wut: Die Augen blitzen, das Gesicht wird hart
und wütend verzerrt, die Zähne fletschen, die Kiefer
wollen beißen, aus dem Kehlkopf kommt Knurren
und schließlich wütende Empörung, die Hände wollen krallen, die Arme zuschlagen, die Beine treten und
stoßen, der ganze Körper zeigt eine heftige Abreaktion
durch Beißen, Treten, Schlagen und entsprechende
Wut- und Hassäußerung.
Solche intensiven Gefühlsentladungen sind für Patient und
Therapeut sehr belastend, oft mehr noch für den Therapeuten,
denn der Patient ist nach einer Gefühlsentladung in aller Regel
entspannt und auffällig heiter („auffällig“ deshalb, weil wenige
Minuten zuvor noch schlimmste, bedrohlichste Gefühlsreaktionen den Therapieraum gefüllt haben). Der Therapeut ist unweigerlich von echten Gefühlen „infiziert“, kann sie aber nicht
sogleich abführen. Er sollte sich waschen oder duschen, damit
aktivierte Gefühlsenergie mit Wasser abgeführt werden kann.
Auch empfiehlt es sich für ihn, um für die eigene Psychohygiene
zu sorgen, immer mal wieder auf seine Gefühlsmatte zu gehen.
Wichtig bei solcher therapeutischen Arbeit ist die nachfolgende Integration des Gefühlten in ein Verständnis der Ursachengeschichte: Was hat mich – tatsächlich oder mutmaßlich –
wann und warum so wütend gemacht oder schmerzlich berührt?
So kann auch die vorsprachliche Entwicklungszeit allmählich
mit sprachlicher Bedeutung gefüllt werden. Eine derartige therapeutische Arbeit vermag nur zu leisten, wer seine eigene Frühtraumatisierung kennt und emotional verarbeiten gelernt hat.
Ein Therapeut, der keine Frühstörung erlitten hat (wenn es
denn solche Therapeuten überhaupt gibt) oder der sie abwehrt
und kompensiert (die unvermeidbare Machtposition eines
63

Therapeuten macht’s möglich!), wird immer die spontan auftretenden oder durch die Erinnerungsarbeit aktivierten frühen
Gefühle beruhigen, ablenken und trösten wollen, um den tiefen
Gefühlsausdruck (mörderische Wut, herzzerreißender Schmerz,
abgrundtiefe Trauer) zu begrenzen oder zu verhindern. Häufig
geschieht das dann auch rationalisierend: Man könne das dem
Patienten nicht zumuten, das sei zu viel und könne eine Retraumatisierung bedeuten. Ein therapeutisch begleiteter, voller Gefühlsausdruck jedoch ist nie retraumatisierend. Wohl aber kann
das geschehen, wenn durch Erinnerungsarbeit frühe Gefühle
aktiviert werden, aber erneut zurückgehalten werden müssen,
weil keine Entladung ermöglicht wird.
Frühtraumatisierung mag immer wieder rein familiär
bedingt sein, oft genug aber ist sie politisch-ideologisch gewollt, wirtschaftlich erzwungen und gesellschaftlich organisiert. Beispielsweise soll die emanzipierte, selbstverständlich
berufstätige Frau nach der Geburt ihres Kindes rasch wieder
arbeiten gehen, und anstatt ihr ein längeres Daheimbleiben zu
ermöglichen, etabliert die Politik einen Rechtsanspruch auf
Krippenplätze schon ab dem 1. Lebensjahr, damit sie ihrem
Arbeitgeber schnell wieder zur Verfügung steht. Gepriesen
wird das als Beitrag zur weiblichen Unabhängigkeit und als
sozialpolitische Wohltat. Für das Kind indes kommt die Trennung von der Mutter zu früh und ist oft traumatisierend. Auch
der Betreuungsschlüssel in den Kitas ist alles andere als optimal: Es sollte idealerweise eine Betreuerin für zwei bis drei
Kinder zur Verfügung stehen. In den meisten Fällen ist die
Frühbetreuung personell wesentlich schlechter ausgestattet
und eine Erzieherin muss zwölf Kinder oder mehr betreuen.
Überforderung der Bezugsperson und Vernachlässigung der
Kleinkinder gehen hier Hand in Hand.
64

Durch die zu frühe Trennung von Mutter und Kind, durch
Zerstörung elterlicher und familiärer Strukturen, durch defizitäre Beziehungen und entfremdende (narzisstisch betonte)
Erziehung werden leider Persönlichkeitsstörungen bei Kindern
massenhaft erzeugt. Und bei viel zu wenig therapeutischen
Möglichkeiten wird verständlich, dass sehr viele Menschen gemäß ihrer strukturellen Entwicklungsstörungen weder liebesnoch friedensfähig sind bzw. sein können, dagegen aber infolge ihres Gefühlsstaus durchaus für Krieg begeistert werden
können. Die Chance, im Frieden leben oder leicht in den Krieg
geführt werden zu können, entsteht in der Kinderstube.
Ist eine Politik, die das frühe Kindeswohl nicht fördert oder
sogar störend belastet, nur die Folge narzisstisch gestörter Politiker, die es aus eigener Verstörung nicht besser wissen, oder ist
es eine dunkle Absicht, um Kinder für potentielle Kriege heranwachsen zu lassen? An der häufigen Empathielosigkeit der
Verantwortlichen habe ich keinen Zweifel, weil im Konkurrenzkampf des Demokratie-Spiels die narzisstisch Gestörten und
Bedürftigen am ehesten an die Macht kommen. Bei „dunkler
Absicht“ denke ich an den Gefühlsstau der Befehlsgeber, die
ihre Belliphilie in perfider Projektion durch die Befehlsempfänger ausleben lassen und dann an Tod und Zerstörung des
Feindes pervertierte Lust empfinden. Und natürlich wird die
Machtpolitik in einer Normopathie immer auch die Herrschaft
über die Kinderstube anstreben, um die späteren Erwachsenen
dann entsprechend leichter manipulieren zu können.

Der Ursprung des Bösen

Wenn ich über menschliche Friedensfähigkeit oder Kriegslust schreibe, resultieren meine Analysen und Deutungen aus
meinem über 50-jährigen Erfahrungswissen. In so langer Zeit
bildet sich eine reife Erkenntnis über das, was zutage tritt, wenn
Menschen aus psychosozialer Not heraus bereitwerden, auch
in ihrem unbewussten seelischen Erleben nach Ursachen ihres
Leidens zu forschen, was sie wegen der wirklich großen und
schmerzlichen Bemühungen um sehr belastende Wahrheiten
sonst niemals ohne Unterstützung wagen würden.
Aber ich habe auch in Aus- und Fortbildungen Menschen
kennengelernt, die ohne individuelle Not, aus Interesse und aus
Entwicklungs- und Erkenntnisbedürfnis oder auch aus beruflicher Verantwortung heraus (das betrifft vor allem Psychologen, Psychotherapeuten, Ärzte, Seelsorger, Berater, Führungspersönlichkeiten u. a.) einen tieferen Selbsterkenntnisprozess
gewagt haben. In allen therapeutischen Fällen stießen wir auf
frühkindliche Beziehungserfahrungen und soziale Entwicklungsbedingungen als wesentliche Quelle von Not und Konflikten, von seelischer und psychosomatischer Symptomatik und
Erkrankung. Sie waren zu eruieren und therapeutisch zu beeinflussen. Auch bei den ebenfalls ohne akute Not begonnenen
Lehranalysen und freiwilligen Selbsterkenntnisbemühungen
fanden sich regelmäßig innerseelische Konflikte und persönlichkeitsstrukturelle Eigenarten aus den frühen Entwicklungsbedingungen, die für Symptome und soziale Konflikte – noch
ohne Krankheitswert – verantwortlich waren.

Ungeklärte Lebensfragen, ethische Konflikte, Beziehungsprobleme, sexuelle Schwierigkeiten, Fragen der Berufswahl und
der Berufsausübung und ganz häufig Partnerschaftskonflikte
waren im Zusammenhang mit prägenden frühen Beziehungsstörungen zu klären. Häufig war das persönliche Lebensschicksal auch mit der transgenerationalen Weitergabe von Erfahrungen auf die nächste und übernächste Generation verbunden.
Dabei spielten traumatische Erfahrungen der Eltern und Großeltern eine wesentliche Rolle für gestörte Entwicklungen in der
Kinder- und Enkelgeneration.26
Inwieweit potentielles Fehlverhalten – z. B. die Unfähigkeit,
in Frieden mit sich und anderen Menschen leben zu können
oder eine Neigung zum Bösen, zur Kriegslust – zum genetischen Erbe des Menschen gehöre, war allenfalls ein philosophisches Thema, nicht aber von praktisch-therapeutischer Relevanz. Bei der unmittelbaren Zusammenarbeit mit Theologen
und Seelsorgern im diakonischen Krankenhaus der psychotherapeutischen Klinik, die ich von 1980 bis 2008 als Chefarzt
leitete, drehten sich natürlich Fragen auch um die sogenannte
Erbsünde des Menschen: Sind wir von Geburt an heillos mit
dem Unheil dieser Welt verstrickt?
Die Bibel lehrt: Mit der Ursünde von Adam und Eva, von
der Schlange verführt, gegen Gottes Gebot von den verbotenen Früchten vom Baum der Erkenntnis gegessen zu haben,
habe sich der Mensch von Gott getrennt. Die christliche Theo26 Viel empirisches Material zu diesem Thema bieten die Bücher von Sabine
Bode „Die vergessene Generation“ (2004), „Kriegsenkel“ (2013), „Nachkriegskinder“ (2011). Mit psychischen Erkrankungen, denen traumatische
Erlebnisse zugrunde liegen, die bereits Eltern oder Großeltern gemacht
haben, befasst sich Franz Ruppert in „Trauma, Bindung und Familienstellen“ (2005). Alle Titel sind im Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, erschienen.

logie hat daraus gemacht, ein jeder lebe durch diesen Abfall
grundsätzlich in einem Unheilszustand und sei der Erlösung
bedürftig. Von hier war es nur noch ein kleiner Schritt zu der
Auffassung, zum Menschsein gehöre der Trieb zum Bösen. Daraus ist eine wesentliche Begründung für den christlichen Glauben erwachsen: Da der Mensch alleine nicht die Kraft habe,
die Gemeinschaft mit Gott wiederherzustellen, habe sich Jesus
Christus zur Versöhnung Gottes mit den Menschen und zur
Vergebung der Erbsünde geopfert.
Dieser Auslegung ließ sich in meiner therapeutischen Arbeit empirisch nicht folgen. Ich kann meine Erfahrungen so
zusammenfassen: Der Mensch ist weder gut noch böse. Er ist!
Zu seiner genetischen Ausstattung gehören die Möglichkeiten,
sich so oder so zu verhalten, er kann in Liebe sein und in friedlicher Gemeinschaft leben oder er kann Hass empfinden und
Gewalt ausüben und Krieg führen. Einen Destruktions- oder
Todestrieb, den Freud27 als Regression in den Mutterleib mit
totaler Versorgung und darüber hinaus in die Zurückführung
des Lebens in den anorganischen Zustand des Unbelebten, der
Starre und des Todes verstand, konnte ich bei meiner Arbeit
nicht bestätigen. Vielmehr waren das individuelle Leid als eine
Autoaggression und die sozialen Konflikte als Fremdaggression
immer auf frühkindliche Beziehungsstörungen, auf seelische
Verletzungen, Kränkungen, Abwertungen, auf soziale Lieblosigkeit und Verlassenheit und auf körperliche Gewalt zurückzuführen.28 So gründen Leid und Unheil dieser Welt nach

27 Sigmund Freud, „Jenseits des Lustprinzips“, in: Studienausgabe, Band III,
„Psychologie des Unbewussten“, Verlag S. Fischer, Frankfurt/Main 1975.
28 Vgl. auch Franz Ruppert, „Frühes Trauma“, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart
2014.

meiner Auffassung nicht in einer unhintergehbaren Erbsünde
oder triebhaften Destruktionsneigung, sondern die Kausalität
könnte auf die Formel gebracht werden:
Frühstörung ⟹ Gefühlsstau ⟹ Erkrankung (Auto
aggression) und/oder Bösartigkeit (Fremdaggression)
Die Frage, wann ein frühverletzter Mensch in der Folge eher
krank oder eher böse wird, war im Wesentlichen mit den sozialen Verhältnissen zu erklären, in denen sich Frühtraumatisierte weiterentwickeln konnten oder mussten. Ein bürgerlich-
wohlhabendes Milieu hat eher zu Erkrankungen geführt und
ein gewaltaffines, sozial offen gestörtes Milieu hat eher wieder
das „Böse“ gefördert.
Meine therapeutisch-geistige Heimat fand ich dann leichter bei Erich Fromm und Wilhelm Reich.29 Fromm hat einen
„autoritären Charakter“ identifiziert, der durch Erziehung
zur Unterwürfigkeit gezwungen wird und dann folgerichtig
Aggressionen entwickelt, die er aber nicht ausleben darf und
deshalb aufstauen30 muss. Damit hatte Fromm auch die soziale
Genese des „Bösen“ aufgezeigt. Ganz ähnlich wie Reich, der vor
allem die sexualökonomische Unterdrückung für Charakterzüge des „Bösen“ verantwortlich macht.
Ich sah die Forschungsergebnisse von Fromm und Reich
in meiner Arbeit immer wieder bestätigt und habe deshalb
die frühen Beziehungsqualitäten, die Kinder von Müttern und
29 Erich Fromm, „Anatomie der menschlichen Destruktivität“, Rowohlt Verlag,
Reinbek 1977. Wilhelm Reich, „Charakteranalyse“, Fischer Taschenbuch-
Verlag Frankfurt/Main 1973.
30 Hans-Joachim Maaz, „Der Gefühlsstau“, Argon-Verlag, Berlin 1990 und
Verlag C.H.Beck, München 2010.

Vätern erfahren, zum zentralen Anliegen meiner empirischen
klinischen Forschung gemacht. Ich spreche von „Müttern“ und
„Vätern“ im Plural, um deutlich zu machen, dass damit nicht
nur die leiblichen Eltern, sondern alle frühen Betreuungspersonen und Autoritäten mit ihren mütterlichen und väterlichen
Fähigkeiten oder Störungen gemeint sind. Einbegriffen sind
darüber hinaus die „elterlich“ wirksamen politischen und ideologischen Manipulationen und ökonomischen Zwänge.
Im Grunde genommen gilt eine einfache Formel für ein
allerdings sehr komplexes Geschehen: Jedes Kind ist anders,
und bei Geschwistern sind Eltern oft ganz erstaunt bis irritiert
über die Unterschiedlichkeit ihrer Kinder trotz gleicher Abstammung. Und immer werden sie mit einem Kind besser und
mit einem anderen weniger gut zurechtkommen. So treffen
von Anfang an unterschiedliche Persönlichkeiten aufeinander,
die sich kennenlernen und aufeinander abstimmen müssen:
Dieser prägende Beziehungsprozess wird nachhaltig beeinflusst
von den gesunden oder gestörten Charaktereigenschaften der
Eltern, vor allem, inwieweit sie Andersartigkeiten ihrer Kinder – anders zu sein und sich zu verhalten, als sie es selbst kennen – annehmen können und verstehen lernen, immer auch
mit Blick auf familiär-traditionelle Werte und gesellschaftlich-
soziale Zwänge. Zu den unvermeidbaren, weil angeborenen
Verschiedenheiten zwischen Kind und Eltern hinsichtlich
Charakter und Verhalten kommen weitere Faktoren, die eine
besondere Herausforderung und Belastung für die Entwicklungsbetreuung des Kindes bedeuten. Etwa: Welches Ausmaß
an Verstörung und Entfremdung bringen Eltern aus ihrer eigenen Sozialisation mit? Welche angeborenen krankheitswertigen
Auffälligkeiten und Störungen eines Kindes bestehen?

Mit der Qualität der mütterlichen und väterlichen Beziehungsangebote an das Kind wird dessen Entwicklung zum
„Guten“ oder „Bösen“ entscheidend beeinflusst. Dabei ist es
für mein Verständnis unerheblich, ob ich irre, wenn ich eine
genetisch verankerte Natur menschlicher Destruktivität bestreite, denn auf jeden Fall entscheiden die Qualität der frühen
Betreuung und die sozialen Verhältnisse über die Entwicklung
des Kindes und seine späteren Verhaltensmöglichkeiten. Für
die letztlich ungelöste Frage, inwieweit ist Verhalten angeboren
oder aber erworben, folgt daraus: Selbst wenn es das „Böse“
als genetische Last des Menschen gäbe, bliebe die Hauptverantwortung bei den Eltern und den sozialen Verhältnissen, ob
das Kind friedensfähig sein oder kriegslüstern werden kann.
Natürlich gibt es Charaktereigenschaften, die ebenso wie
die Augen-, Haar- und Hautfarbe, die Körperform oder die
Geschlechtsteile genetisch bedingt sind. Politisch-ideologische
Herrschaftsansprüche haben daran auch übelste inhumane
rassistische Bewertungen geknüpft, und die darauf reagierende Gegenbewegung, die einen Rassismus des Geschlechtlichen
fürchtet, schießt nun ihrerseits übers Ziel hinaus: Gegenwärtig
wird die absurde Illusion als Wirklichkeit behauptet, dass der
Mensch sein Geschlecht wählen könne. Was für ein gefährliches Missverständnis, wenn die Schwierigkeiten, die heute sehr viele Menschen haben, mit ihre Körperlichkeit, ihrer
Geschlechtsidentität, ihrer Sexualität und Beziehungsfähigkeit
klarzukommen, in einem politisch-ideologischen Kampf zur
Entscheidungsfreiheit erklärt werden. So werden biologische
Besonderheiten und die Symptome der Entwicklungsstörungen zu normopathischen Werten der Gesellschaft transformiert
und den mit Frühentfremdung und biologischen Abweichungen Belasteten wird nicht nur angemessene Hilfe verweigert,
72

sondern sie werden zu einer oft tragischen Fehlentwicklung
verführt.
Ich halte den gefährlichen Unsinn, der Kindern hinsichtlich der geschlechtlichen Vielfalt eingeredet wird, für eine strafrechtlich relevante Kindeswohlgefährdung. Die Folgen zeigen
sich bereits in den schwerwiegenden Verstörungen von Jugendlichen auf der vermeintlichen Suche nach ihrem Geschlecht
mit schwersten körperlichen Eingriffen durch Hormone und
Operationen. Es sind aber junge Menschen, die Hilfe brauchen
wegen der Identitätsstörungen durch frühe Beziehungsstörungen, Erziehungsfehler und abnorme (normopathische) gesellschaftliche Werte. Es gibt, wie in allen Dingen der Natur, statistische Normabweichungen, die als interessante Besonderheit,
als Bereicherung – oder aber als krankhaftes Leid und soziale
Belastung erlebt werden. In einer wirklich demokratischen Gesellschaft würde das Besondere gut toleriert und gegebenenfalls
beschützt werden, und alles Leid aus körperlicher, psychischer
oder sozialer Problematik würde durch hilfreiche Behandlung
der Ursachen gemildert und nicht auf Symptomebene ideologisch missbraucht werden.
Der propagandistische Kampf um Geschlechtlichkeit, Geschlechterrollen, Sexualerziehung der Kinder, um das Familienbild, um die Frühbetreuung von Kindern, um das Gendern
trägt Verunsicherung, Spaltung und Feindseligkeit in die Gesellschaft. Die selbstverständlichen biologischen Unterschiede
zwischen Mann und Frau nicht friedfertig annehmen zu können und das Familienbild ideologisch zu verzerren, verrät weitverbreitete Identitätsstörungen und familiäre Traumatisierungen. Für mich sind das ausgesprochen belliphile Bemühungen
zur Abwehr bitterer Wahrheiten. Und Ressentiments gegen die
traditionelle, im Kern von Mutter-Vater-Kind gebildete Familie
73

– diese sei „nicht mehr zeitgemäß“ – bezeugen eine traurige
Wahrheit sozialer Verstörung.
Interessant ist zu sehen, wie ein ehemaliger namhafter Kritiker der Familie sich von der Geschichte hat belehren lassen:
Hielt der Philosoph Max Horkheimer, einer der Köpfe der
Frankfurter Schule, die bürgerliche Kleinfamilie zunächst für
eine Brutstätte autoritärer Charaktere und gab ihr eine Mitschuld am Nationalsozialismus, so revidierte er nach dem Zweiten Weltkrieg sein Urteil nahezu vollständig. In einer Studie
von 1949 unterschied er die „Familie im echten Sinn“ von der
zeitgenössischen „Familie in der Krise“. Letztere sei durch Rationalismus und Individualismus ausgezehrt, so dass Mütter,
selbst wenn sie nicht berufstätig seien, eine „berufsmäßige“
Einstellung zum Kind entwickelten und dessen Anpassung an
die harte Realität betrieben, anstatt dem Nachwuchs „seelische
Obhut“ zu gewähren. Die nach Horkheimer „echte“ Familie
hingegen steht genau dafür ein: für Liebe, Zuwendung, Schutz,
Rückhalt. Als solche sei sie „die verlässlichste und erfolgreichste
Gegeninstanz gegen den Rückfall in die Barbarei“31.
Der späte Horkheimer hatte erkannt, dass die Forderung an
die Familie, sie möge bitteschön „zeitgemäß“ sein, Mütter zu
Vollstreckerinnen funktionaler gesellschaftlicher und ökonomischer Imperative macht. Ich kann nur sagen: All das Gerede
vom Zeitgemäßen hebt doch nicht die psychosoziale Notwendigkeit auf, dass jedes Kind für eine gesunde Entwicklung beste Mütterlichkeit und Väterlichkeit braucht. Alleinerziehende
Mütter und Väter, sowie homosexuelle Paare mit Kindern tragen eine besondere Verantwortung, ihren Kindern mütterliche
31 Zitiert nach Wolfgang Brezinka, „Die Pädagogik der Neuen Linken“, Ernst
Reinhardt Verlag, München/Basel 1981, S. 124 f.

und väterliche Beziehungsqualitäten zur Verfügung zu stellen.
Wenn das „Mütterliche“ und das „Väterliche“ aus politischen,
ideologischen oder ökonomischen Machtinteressen infrage
gestellt wird, halte ich das für eine schwere Gefährdung des
Kindeswohls – praktisch für eine „Kriegserklärung gegen Kinder!“32
In der deutschen Geschichte ist das Kindeswohl noch nie
wirklich verstanden und liebevoll beachtet worden.33
Die autoritär-repressive Erziehung des Nationalsozialismus
war in der DDR nahezu ungebrochen fortgeführt worden, nur
die politisch-ideologische Farbe hatte man von Braun auf Rot
umgestellt. In der BRD gab es wenigstens die 68er „antiautoritäre“ Bewegung, die das vorherige Erziehungsideal infrage stellte,
aber leider ohne Verständnis für die frühen Beziehungsqualitäten, womit sie praktisch nur eine gegenteilige Entwicklungsstörung der Kinder etabliert hat. Das war eine sogenannte Reaktionsbildung: von der Gehorsams-Unterwerfungs-Erziehung
zum Zwang „freiheitlicher“ Beliebigkeit.
Enkel dieses abnormen Unverständnisses, was Kinder
wirklich brauchen, sind die Fridays-for-Future-Jugendlichen.
In der Forderung „Verbietet uns endlich etwas“ und in ihrer
Begeisterung für den Ausruf des „Klimanotstandes“ durch
das EU-Parlament (am 28.11.2019) zeigten sie ihre Sehnsucht

32 Nicht immer brauchen Kriege eine Kriegserklärung. Die gravierenden Verletzungen des Kindeswohls ohne eine solche Erklärung beschreibt Michael
Hüter. Ders., „Corona oder der erste Krieg gegen Kinder“, The Epoch Times
(Wochenzeitung), Ausgabe Nr. 13 vom 18.12.2021, online: <https://www.
epochtimes.de/meinung/essay/corona-oder-der-erste-krieg-gegen-kindera3665770.html>.
33 Ders., „Kindheit 6.7“, Edition Liberi & Mundo bei Michael Hüter, Melk an
der Donau 2018.

nach Verboten als Folge innerseelischer Halt- und Orientierungsstörung durch antiautoritäre Beziehungsdefizite. Auch
die „Klimakleber“ der Gegenwart haben mit Gefühlsstau zu
kämpfen. Gekränkt von einer grundsätzlichen Beziehungsverweigerung als Folge der 68er Symptomrevolution (nur äußere
Veränderungen ohne innere Entwicklung) und geängstigt von
der Krise der finanzkapitalistischen Normopathie, brechen sich
ihre Verletzungen nun eine Rache-Bahn vor allem gegen Autofahrer statt gegen Verantwortliche der Beziehungsdefizite ihrer
Entwicklung. In nahezu typischer Weise führen die erlernbaren
ideologischen Kompensationen der strukturellen Persönlichkeitsstörungen der „Klimaaktivisten“ in einen belliphilen Geschwisterkrieg, statt den Aufstand gegen die verantwortliche
finanzkapitalistische Macht zu wagen, was ja immer auch eine
ganz persönliche Auseinandersetzung mit Eltern, Erziehern
und Lehrern bedeuten würde. Berichte darüber, dass die individuelle Not und berechtigte Zukunftsangst der „Klimaaktivisten“ aus machtpolitischem Interesse instrumentalisiert und
finanziell geschürt wird, würden sehr gut zu einer belliphilen
Perversion passen, die auftritt, wenn „Eliten“ ihre Macht um
jeden Preis retten wollen.
Hinsichtlich der sexualökonomischen Forschung von Wilhelm Reich besteht heutzutage sehr oft die irrige Überzeugung,
die sexuelle Not vieler Menschen sei mit der „Sexuellen Revolution“ der 68er bestens aufgelöst worden. Man darf aber nicht
denken, dass Libertinage die zentralen Fragen der sexuellen
Lustfähigkeit (Orgasmusfähigkeit) und sexuellen Beziehungsdynamik hilfreich beantwortet. Eine äußerliche sexuelle Liberalität, alles sei gut und erlaubt, was gefällt und einvernehmlich geschieht, bis zur Akzeptanz einer „Ehe für alle“ und einer
polyamoren Freizügigkeit, berührt nur Symptome. Dass Kinder
76

heute in der Kita, in der Schule und am besten natürlich auch
von den Eltern sexualpädagogisch begleitet werden, halte ich
einerseits für einen großen Fortschritt und andererseits für
eine große Gefahr. Gut ist, wenn Wissen über Sexualität im
Zusammenhang von Biologie, Beziehung und Liebe – im Zentrum steht dabei das Zusammenspiel von Körperlust und Beziehungslust34 – vermittelt wird. Natürlich gehören dazu auch
gemäß eines altersgerechten Interesses Informationen über
Geschlechtsunterschiede, unterschiedliche sexuelle Orientierung, über sexuelle Praktiken und Störungen, über Gewalt,
Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaftsverhütung.
Allerdings wird eine Sexualpädagogik sehr bedenklich mit
der Gefahr, erhebliche Identitätsstörungen zu erzeugen oder zu
befördern, wenn vermittelt und behauptet wird, es gäbe eine
Vielzahl zu findender Geschlechtsidentitäten und sexueller
Orientierungen. Dann werden die immer vorhandenen entwicklungspsychologischen Unsicherheiten der Geschlechtsidentität und sexuellen Entwicklung nicht mehr als ein normaler innerseelischer Erfahrungsprozess verstanden, sondern
durch ideologische Konstrukte einer Geschlechtervielfalt auf
äußere Vorgaben missbrauchend abgelenkt. Geschlecht und
Sexualität sind ein komplexes Geschehen aus Biologie, psychischer Entwicklung, aus kultureller, religiöser, politischer und
ideologischer Beeinflussung. Und jede Geschlechtsidentität
und sexuelle Orientierung kann „normal“ wie auch ein Symp
tom leichter bis schwerer Persönlichkeitsstörung aus Frühtraumatisierung und äußerer Beeinflussung sein.

34 Hans-Joachim Maaz, „Die neue Lustschule“, Verlag C.H.Beck, München
2012.

Darüber hinaus gibt es in unterschiedlichen Kulturkreisen
und zu unterschiedlichen historischen Zeiten auch eine unterschiedliche Bewertung, was sexuell normal oder eine Perversion sei. In unserem Kulturkreis waren Homosexualität und
Masturbation sehr lange geächtete sexuelle Praktiken, und mit
der Ächtung wurde Herrschaft über viele Menschen ausgeübt.
Heute wird Macht über Kinder nicht mehr durch Verbote und
moralische Tabus ausgeübt, sondern durch eine Art Gebot, die
geschlechtliche Identität nach äußeren Vorgaben zu bestimmen. Es ist sicher gut, darauf hinzuweisen, dass jeder Mensch
auf der Suche ist, seine Identität als Persönlichkeit, seine Beziehungsfähigkeit und seine sexuelle Orientierung und Praxis
zu finden und dass dieser Prozess von vielen Faktoren abhängt,
namentlich und ganz wesentlich von der Liebe und Freiheit
in der Frühentwicklung. Dabei kann es hilfreich sein, Kinder
und Jugendliche einfühlsam zu begleiten, um eine individuell
befriedigende somato-psycho-soziale Identität zu finden – und
„individuell befriedigend“ heißt: Die Heranwachsenden sollten
sich bei ihrer Suche von innerseelischer Wahrnehmung und
Erkenntnis leiten lassen.
Das ist etwas völlig anderes, als Heranwachsende von der
notwendigen Selbsterkenntnis all ihrer erlittenen Verstörungen
abzuhalten und sie glauben zu machen, es sei möglich und zeitgemäß, das Geschlecht und die sexuelle Orientierung beliebig
nach äußerlichen Zuschreibungen zu bestimmen. Die ehemals
autoritäre Sexualunterdrückung wird damit nur zu einer ideologischen Sexualverwirrung geführt. Die Folgen zeigen sich
bereits in der wachsenden Zahl von Störungen der Geschlechtsidentität und der Vervielfachung von Geschlechtsumwandlun-

gen, welche wiederum die Sterblichkeitsrate erhöhen.35 Da war
ein Masturbationsverbot vergleichsweise noch sehr harmlos.
Aus meiner Perspektive ist es leicht nachvollziehbar, dass
sich Geschlechtsidentitätsstörungen als Folge früher Traumatisierung mit allgemeinen Identitäts- und Bindungsstörungen
häufen, wenn die vorliegende Störung durch eine politischideologische Manipulation missbraucht wird. Die erlittene
frühe psychosoziale Beschädigung wird dann auf Geschlechtlichkeit fokussiert und gegebenenfalls durch medizinische Eingriffe symbolisch „materialisiert“. Mit zunehmender Propaganda entwickelt sich der ideologisierte Wahn zu einer belliphilen
Kraft gegen Jugendliche.
Sexualunterdrückung war jahrhundertelang ein sehr wirkungsvolles Herrschaftsmittel. Wenn die friedensschaffende
entspannende sexuellen Lustfähigkeit behindert wird, kann der
Gefühlsstau für alle Interessen der Mächtigen missbraucht werden. Am leichtesten für Kriegslust, wenn Aggressionen gestaut
sind. Auch die strukturelle Gewalt kapitalistischer Herrschaft
ermöglicht es, den Gefühlsstau im Wachstumswahn und im
belliphilen Konkurrenzkampf menschen- und naturfeindlich
35 Institut für Ehe und Familie vom 18.02.2020: In einer schwedischen Studie
des Zentralamtes für Gesundheits- und Sozialwesen werde aufgezeigt, dass
die Geschlechtsidentitätsstörung bei Mädchen um das 15-fache und bei
jungen Männern um das 4-fache gestiegen sei, und dass die Sterblichkeitsrate nach einer Geschlechtsumwandlung erhöht sei.
Statista vom 24.10.2022: Die Anzahl der Operationen zur Geschlechtsumwandlung sind in Deutschland von 883 im Jahr 2012 auf 2598 im Jahr
2021 gestiegen.
Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages WD9-3000-079/
N9: Es werde eine Zunahme der Störungen der Geschlechtsidentität und
Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen festgestellt. Dazu lägen Daten aus den entsprechenden Sprechstunden und Zentren vor, aber
noch ohne eine umfassende Studie dazu.

abzureagieren, ohne je zu echter Befriedigung zu gelangen.
Heute wird das scheinbare Gegenteil von Repression, nämlich
eine angebliche sexuelle und geschlechtliche „Freiheit“, zum
Herrschaftsmittel, wenn mit einer ideologisch gefeierten Diversität auf Symptomebene von der traurigen und bitteren Realität
der Frühstörungen mit den nachfolgenden Identitätsstörungen
abgelenkt wird.
Jeder Mensch hat Schwierigkeiten, seine Identität zu finden,
abhängig von seiner körperlichen und hormonellen Ausstattung, von der Qualität der Frühbetreuung und den sozialen
Verhältnissen – also abhängig vom Zusammenspiel von Genetik und Sozialisation. Meistens spürt er seine Probleme bekanntlich in der Pubertät, einer Phase des hormonellen und
neuronalen Umbaus, welche die Publizistin Katharina Rutschky
einmal pointiert als „Jugendirresein“ bezeichnet hat. In der Regel durchlaufen wir diese Etappe mit Stimmungsschwankungen, Selbstzweifeln und Verwirrungen („Wer bin ich eigentlich?“), ohne größeren Schaden zu nehmen. Aber es gibt auch
Menschen, deren Geschlecht von Geburt an biologisch eindeutig war, und die dennoch mit stärkeren seelischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Solche z. B., die sich schon als Kind
in ihrem Körper fremd gefühlt haben und dies irgendwann
umso deutlicher spüren. Hier halte ich eine Psychotherapie für
zwingend und eine Operation im gelindesten Fall für voreilig,
im schlimmsten für ein Verbrechen. Darüber belehren uns die
Suizidfälle nach Geschlechtsumwandlung.
Daneben existiert ein geringer Prozentsatz an biologischen
Zwittern, die sich nach Eindeutigkeit sehnen und denen vielleicht allein mit einem Therapeuten nicht geholfen ist, sondern
die überdies medizinischer Hilfe bedürfen, um eine sie befriedigende geschlechtliche Eindeutigkeit herzustellen.
80

Bei beiden Gruppen erachte ich es für falsch, ihre Leiden zu
ideologisieren, anstatt sie in ihren Möglichkeiten und Grenzen
zu verstehen und zu erkennen, was daran Abweichung und/
oder Störung ist. Ideologisiert wird dabei auch die Hilfe. Denn
es ist ideologisch, die Erdichtung zusätzlicher Geschlechter als
Ausweg aus identitären Problemen zu verkaufen. Schon jetzt
sieht man, dass die Gender-Diskussion sich nicht damit begnügt, zusätzlich zu „weiblich“ und „männlich“ noch „divers“
als dritte Kategorie durchgesetzt zu haben. Die Ausrufung
weiterer Geschlechter steht auf dem Programm. Glaubt man
ernsthaft, individuelles Leiden zu heilen, indem alles, was die
Sexualität betrifft, als „freie Entscheidung“ fehlgedeutet wird?
Eher, und damit komme ich zum Hintergrund dieses Buches
zurück, wird die Fähigkeit eines derart ideologisierten Opfers
zum Frieden verhindert und seine ungelöste psychosoziale
Problematik in Kriegslust verwandelt, besonders bitter auch in
Selbstbeschädigung.
Wir kennen das millionenfache Unglück durch eine christliche Sexualunterdrückung, die vor allem in der katholischen
Kirche mit dem Zölibat bis zu kriminellen Folgen durch den
erschreckend häufigen sexuellen Kindesmissbrauch geführt
hat. Wir wissen um das Milliardengeschäft mit Pornografie
und Prostitution, die eine massenhafte sexuelle Notlage signalisieren. Wir müssen aber auch den Blick auf den traurigen
sexuellen Alltag vieler Menschen (einer Mehrheit?) richten,
die trotz sogenannter Freizügigkeit unter einem tragischen
Unwissen und einer fehlenden praktischen Lehre und Übung
für orgastische Lust leiden.36 Eine gute ganzkörperliche Orgas36 Wilhelm Reich, „Die Entdeckung des Orgons/Die Funktion des Orgasmus“, Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt/Main 1972.

musfähigkeit ist der natürlichste und angenehmste Weg, Gefühlsstau abzuführen und zu vermindern, um damit tatsächlich etwas für Friedensfähigkeit und gegen Kriegslust tun zu
können. Dass dieses Grundlagenwissen politisch-medial nicht
verbreitet wird, aber die entwicklungspsychologische Unsicherheit in der sexuellen Selbstfindung brutal mit ideologischer Indoktrination ausgenutzt wird, zählt zu den gravierenden Fehlentwicklungen normopathischer Gesellschaften.
Ich fasse zusammen:
Die frühen Beziehungsqualitäten und die sozialen Verhältnisse entscheiden über Gesundbleiben oder Krankwerden
und über Friedensfähigkeit oder Kriegslust. Menschen sind
prinzipiell fähig, im Frieden zu leben und auch einen Krieg
zu führen. Die Sehnsucht und Fähigkeit, in friedfertigen Verhältnissen zu leben, dominiert bei gesunden Menschen, wobei
aggressives Schutzverhalten und Gewalt bei persönlicher Bedrohung selbstverständlich möglich sind. Zu einer individuellen Notwehr ist der Mensch entsprechend ausgestattet – das
ist aber keine belliphile Gewalt. Reale Bedrohung löst einen
Schutzreflex mit der Potenz für Kampf oder Flucht aus. Bei der
Wahl des Verhaltens dominiert der (Über-)Lebenswille. Nur
psychosoziale Verstörung opfert das eigene Leben und ist in
der Lage zu töten. Das Problem frühgestörter Menschen besteht
einerseits darin, dass sie keinen äußeren Bedrohungsanlass
brauchen, um sich zu verteidigen, weil die Bedrohung bereits
als permanente innere Realität vorliegt, so dass sie andererseits
gerne jede politisch-ideologische Verführung annehmen, um
in irgendeinen Krieg zu ziehen. Äußere Bedrohungen werden
dann auch gerne behauptet oder sogar provoziert, um der Belli
philie endlich einen Anlass zu geben, gestaute Aggressionen
abzuführen. Das ist die Psychodynamik jedes Feindbilddenkens
82

und des Sündenbockmechanismus. Und eine reale Bedrohung
ist erst recht ein willkommener Anlass für dann erlaubte bis
gewünschte Aggression und Gewalt. Um Kriege führen zu können, braucht es viele Frühgestörte, und jeder Deserteur ist einer
unerwünschten psychischen Gesundheit verdächtig.
Bei psychischer Gesundheit, also bei fehlender Frühtraumatisierung, liegt auch keine innerseelische Bedrohungs- und
Verletzungserfahrung vor. Das ist die Basis für Resilienz – also
für eine gute Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne wesentliche Folgen und Feindseligkeit bestehen zu können. Das
bedeutet im besten Sinne Friedensfähigkeit, die immer um
Verstehen bemüht bleibt und im Konfliktfall verhandelt und
Kompromisse findet. Bei realer persönlicher Bedrohung ist eine
angemessene Verteidigung selbstverständlich, die auch die Familie und eine unmittelbare Lebensgemeinschaft einschließen
kann. Das ist etwas völlig anderes, als wenn Mächtige für ihre
Interessen Menschen in den Krieg schicken.
Leider existieren in vielen Ausgestaltungen seit Jahrtausenden Theorien, die den Krieg als etwas Unvermeidbares,
sozusagen Naturwüchsiges behandeln. Sogar zum Motor des
Fortschritts haben ihn Philosophen gemacht. Berühmt wurde
der Spruch des antiken Denkers Heraklit von Ephesos, Krieg
sei „der Vater aller Dinge und der König aller. Die einen macht
er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven,
die andern zu Freien“. Georg Friedrich Wilhelm Hegel schrieb
dem Krieg „die höhere Bedeutung“ zu, „die sittliche Gesundheit der Völker zu bewahren“ und wollte von Immanuel Kants
Idee eines „ewigen Friedens“ nichts wissen. Frieden führe, so
Hegel, auf die Dauer zum „Versumpfen des Menschen“.37 Nicht
37 G. F. W. Hegel, „Grundlinien der Philosophie des Rechts“, § 324 (Zusatz).

allein, dass Kampfeslust und Härte als Tugenden galten, verklärt wurde der im Krieg zu zahlende Blutzoll gern auch als
Revitalisierung eines Volks und seiner Kultur. Zivilisationskritiker und Untergangspropheten wie Friedrich Nietzsche oder
Oswald Spengler, der den Krieg als „Urpolitik alles Lebendigen“38 pries, assoziierten Frieden und Wohlstand negativ: mit
Materialismus, Erschlaffung, Banalität, Stagnation und Ödnis.
Kriegstreiber finden auf diese Art höhere ideologische Weihen.
Die psychologische Wahrheit jedoch lautet: Im Kriegsfall
dominiert die belliphile Psychopathologie der Befehlshaber
und einiger „Krieger“ über die Mehrheit von unschuldigen
Opfern. Deshalb ist Krieg immer Pathologie!

38 Oswald Spengler, „Der Untergang des Abendlandes“, Bd. I, S. 73. Wien/
Leipzig 1919.

Elternrollen

Der Schweizer Psychoanalytiker, Ethnologe und Schriftsteller
Paul Parin wurde in Slowenien geboren. Im Zweiten Weltkrieg
hat er beobachtet, wie jugoslawische Partisanen, die gegen Hitlers
Wehrmacht kämpften, eine außerordentliche Selbstständigkeit
an den Tag legten. Die meist jungen Männer und Frauen hatten
überwiegend keine militärische Ausbildung genossen, daher
fehlte ihnen der Kadavergehorsam. Wenn sie sich Befehlen klaglos unterordneten, dann freiwillig. Parin, zu diesem Zeitpunkt
noch Chirurg, hat berichtet, wie die jungen Soldaten, die damals
sein Spital bewachten, nach der Beruhigung der Lage dann doch
anfingen, Drill einzuführen – „mit Anbrüllen, Gehorchen und
allem was dazugehört“. Und dann kommt die für mein Thema
interessante Bemerkung Parins: „Es waren übrigens nicht die
Offiziere, die damit anfingen. Die Neigung zu abhängiger Unterordnung, zum Gehorchen und Befehlen hatten die Burschen
und Mädchen von ihrer Erziehung in den patriarchalisch autoritären Familien Montenegros mitgebracht. Sobald die brüderliche
Partisanengruppe sie nicht mehr trug, kam die ursprüngliche
Sozialisation dem Bedürfnis der regulären Armee entgegen.“39
Familie, Erziehung und ursprüngliche Sozialisation, das
sind hier die Stichworte. Über das Rollen-Verhalten von Eltern
wird viel geschrieben und diskutiert. Es wird dabei vor allem
ihr Erziehungsstil in den Blick genommen, aber kaum ihre Beziehungsfähigkeit. Vor allem die Folgen der Beziehungsstörun39 Paul Parin, „Die Seele des Soldaten“, in: „Psychoanalyse im Widerspruch“,
Psychosozial-Verlag, Heft 8/1992, S. 64 f.

gen in der Frühbetreuung für die Persönlichkeitsentwicklung
des Kindes werden öffentlich selten diskutiert. Mit dem tiefenpsychologischem Wissen um die Bedeutung elterlicher Beziehungsqualitäten gehören alle politischen, ideologischen, moralischen, religiösen und nicht zu vergessen die ökonomischen
Einstellungen von Eltern auf den Prüfstand für das gesetzlich
verankerte Kindeswohl.
Gegenwärtig gibt es eine politisch-ideologisch gewollte
Abwertung einer elterlichen Verantwortung als Mutter und
Vater, wenn vorgeschlagen wird, nur noch von „Elternteil 1“
und „Elternteil 2“ zu sprechen oder selbstverständliche Begriffe
wie „Muttermilch“ zur absurden Wortschöpfung „Menschenmilch“ zu pervertieren. Entwicklungspsychologisch gibt es
keinen Zweifel, dass Kinder „Mütterliches“ und „Väterliches“
brauchen. Das ist nicht gebunden an das Geschlecht der Eltern. Es geht um die differenzierte mütterliche und väterliche
elterliche Fähigkeit, das Kind in seiner Identitätsentwicklung
zu fördern und dabei freizulassen. Homosexuelle Paare haben
wie alle Elternpaare und auch die mit den Aufgaben der Elternschaft besonders belasteten alleinerziehenden Mütter und Väter
eine besondere Verantwortung zu tragen und zu verstehen, was
Kinder für eine freie und gesunde Entwicklung brauchen und
wie groß die Gefahr ist, mit den eigenen Beziehungsstörungen
die Kinder zu belasten und zu schädigen. Es ist heute ein großer freiheitlich-liberaler Gewinn, wenn Kinder nicht mehr in
einem homophoben sozialen Milieu aufwachsen. Aber es wäre
eine neue schwere frühe Beziehungsstörung, wenn spezifische
Elternfunktionen ideologisch verwässert und entehrt werden
oder sogar eine heterophobe Beeinflussung der Kinder erfolgt.
Zum Rollenverständnis von Eltern gibt es eine schon absurde
Vielzahl von Bezeichnungen. So hat Katja Fischer ein Lexikon
86

der Elterntypen zusammengestellt, die mit einem spezifischen
Verhalten ihren Kindern gegenüber auffallen.40 Am bekanntesten sind dabei wohl die „Helikopter-Eltern“ geworden.41 Mit
weiteren Bezeichnungen wie Rasenmäher-Eltern, Taxi-Eltern,
Schneepflug-Eltern, Flugzeug-Eltern, U-Boot-Eltern u. a. wird
unterschiedliches Eltern-Verhalten beschrieben. Diese Typisierungen, so amüsant sie sind, fokussieren auf symptomatische
Besonderheiten und lenken ab von der eigentlichen Bedeutung
der Beziehungsqualität. Mit meiner therapeutischen Erfahrung
stelle ich die elterlichen Beziehungsqualitäten mit ihren entwicklungspsychologischen Folgen in den Mittelpunkt. Dabei sind die
konkreten elterlichen Beziehungsstörungen ebenfalls eng verbunden mit einem spezifischen Elternverhalten. Aber dessen Typisierungen führen zu gänzlich anderen Begrifflichkeiten. Nach
der Psychodynamik elterlichen Verhaltens für Friedensfähigkeit
oder Kriegslust differenziere ich folgende Elterngruppen:

1. Die Mitläufer-Eltern
Das ist das häufigste Elternverhalten. Wenn Eltern zum ersten Mal ein Kind bekommen und damit unerfahren, unsicher
sind, beruflich und partnerschaftlich vor neuen Aufgaben
stehen, suchen sie Rat und Unterstützung. Sie lesen und studieren Ratgeber, befragen Experten, um die eigene Verunsi40 Katja Fischer, „Abschlepper-Mütter bis Zeppelin-Väter: Das Lexikon der
Elterntypen“, online: <https://galaxus.de/de/page/abschlepper-muetterbis-zeppelin-vaeter-das-lexikon-der-elterntypen-25825>.
41 Wendy Mogel, „The Blessing of a Skinned Knee: Using Jewish Teaching to
Raise Self-Reliant Children“, Scribner New York, London, Toronto, Sydney,
Singapore 2001.

cherung zu dämpfen. Und wenn die jungen Eltern selbst wenig gute Mütterlichkeit und Väterlichkeit erfahren haben, fehlt
ihnen eine spezifische Elternfähigkeit – eine Struktur für Empathie –, dann folgen sie im besten Bemühen den Ratgebern,
aber sie fühlen es nicht. Sie handeln gemäß der Beratung oder
dem Angelesenen, aber nicht aus einer selbstverständlichen
Empathie, nicht aus von innen kommender Emotionalität.
Diese Eltern können durchaus Gutes tun und hilfreich für die
Entwicklung ihrer Kinder sein, aber nicht selten kommt es zu
chronischen Missverständnissen mit ihren Kindern. Sie haben
gelernt – oft im Vertrauen auf „wissenschaftliche“ Belege – wie
sich gute Eltern verhalten sollen und tun ihr Bestes. Aber da sie
ihre Kinder und ihre Elternfunktion nicht wirklich fühlen, können sie oft auch nicht verstehen, dass das Gut-Gemeinte bei den
Kindern nicht ankommt, nicht die erwartete gute Wirkung hat,
sondern sogar das Gegenteil bewirk kann: Frust, Ärger, Enttäuschung, Kränkung beim Kind, das sich nicht verstanden fühlt
oder sich mit „guten“ Ratschlägen geplagt erlebt. Eltern übersehen dabei auch, dass ihr Beziehungsverhalten nur angelernt
ist und das Bemühte dabei vom Kind durchaus als unecht erlebt
werden kann und deshalb abgelehnt wird – was wiederum die
Eltern frustriert. Und wenn darüber nicht klärend gesprochen
wird, sondern nur beidseits Kränkung und Unverständnis erlebt
werden, wird das Eltern-Kind-Verhältnis konflikthaft gestört.
Das ist eine besondere Tragik: die Dissonanz zwischen bestem
Wollen für das Kind und dem erlebten Gegenteil beim Kind.
Das Versagen der Mitläufer-Eltern besteht darin, dass sie als Opfer eigener früher Defizite und Traumatisierung sich als Eltern
zu Tätern machen. Sie laden Schuld auf sich, wenn sie nur die
zeitgemäße Erziehungseinstellung übernehmen, aus Selbstunsicherheit zur kritischen Distanz nicht ausreichend fähig sind und
88

damit ihr Kind nach „besten Wissen und Gewissen“ für eine gesellschaftliche Normopathie zurichten. Wo bleibt der Aufschrei
der Eltern gegen eine zu frühe Fremdbetreuung in der Kinderkrippe? Selbst wenn die Mitläufer-Eltern das Unglück ihrer Kinder bei zu früher und nicht optimaler Fremdbetreuung erkennen
können, halten sie an der Gefährdung des Kindeswohls fest, weil
es doch „alle“ so machen, weil es „zeitgemäß“ sei und sogar eine
frühe Bildung unterstützen würde. Sie sind dann Opfer der Ideologie: Bildung statt Bindung. Eine zu frühe Trennung von Mutter
und Kind mag aus ökonomischer Notwendigkeit geschehen, aber
oft leider auch aus einer Überforderung in der Elternfunktion, so
dass eine Fremdbetreuung als Entlastung erlebt wird, weil eine
natürliche Empathie für die Kindesbetreuung durch den Gefühlsstau der eigenen Frühentfremdung behindert ist. Die Tragik
der Mitläufer-Eltern besteht darin, dass sie, ohne es bewusst zu
wollen, ja oft genug, ohne es wirklich zu verstehen, ihren Kindern
keine gute Friedensfähigkeit ermöglichen, weil die Kinder ein
Leben lang mit der ungelösten Spannung zwischen dem, was gut
und richtig für sie sein soll, und ihrer eigenen unterdrückten Lebensform belastet sind. Und jeder innere Stress verführt leicht zur
belliphilen Entladung. Wenn man, ohne sein Inneres wirklich zu
fühlen, eine Meinung hat oder haben muss, wird diese Meinung
leicht zur Lanze und Keule oder zu einem Verteidigungspanzer,
so dass Liebe und Frieden bei der inneren Konflikthaftigkeit oder
Strukturschwäche kein wirkliches „Zuhause“ finden können.
Bei Mitläufer-Eltern finden sich vor allem Eltern mit „Muttermangel“, „Muttervergiftung“, „Vatererpressung“ und „Vaterflucht“.42
42 Eine Erläuterung dieser und anderer Psychopathologien sowie meiner Begrifflichkeit folgt in Kapitel 6.

2. Die autoritär-manipulativen Eltern
Deutschland hat eine lange Geschichte mit autoritärer Erziehung, die ja auch zu Recht „schwarze Pädagogik“ genannt
wird. Die Folgen dieser repressiven Erziehung aus dem „Dritten
Reich“ und aus der DDR sind noch wirksam. Die antiautoritäre
Bewegung in der Bundesrepublik war keine Befreiung aus dem
Autoritarismus, sondern nur das ideologisierte Gegenteil („Wir
müssen jetzt tun, was wir dürfen“) und der massive Einstieg in
eine manipulierende Erziehung, die Freiheit, Demokratie und
Liberalität zum selbstverständlichen Auftrag machte, ohne die
innerseelischen Voraussetzungen und Fähigkeiten zu verstehen
und zu bedenken, die dafür entwickelt werden müssen. Das ist
aber notwendig, um aus einem Demokratiespieler einen wirklichen Demokraten zu machen, aus einem Freiheitskämpfer einen
von seelischer Entfremdung befreiten Menschen und aus einer
liberalen Beliebigkeit und Grenzenlosigkeit eine beziehungs
kulturelle Verantwortlichkeit. So haben auch unlängst die jungen
Menschen von „Fridays for Future“ ihre Not mit der plakativen
Aufforderung „Verbietet uns endlich was!“43 hinausgeschrien.
Es gibt leider immer noch viele Eltern, die ausgesprochen autoritär erziehen, Gehorsam erwarten und davon ausgehen, dass
Kinder den elterlichen Forderungen folgen müssen. Diese Eltern sind unfrei, gefangen in ihren Kindheitserfahrungen, die
sie nie wirklich infrage gestellt haben. Deshalb können sie auch
nur das an ihre Kinder weitergeben, was sie selbst erfahren und
43 Das Plakat ist ungefähr seit 2019 immer wieder auf Demonstrationen zu sehen. Ein jüngeres Foto vom „Klimastreik in München“ am 3. März 2023, gepostet von der Teilnehmerin Katharina Horn, findet sich auf Twitter, s. online: <https://twitter.com/hoernchen4000/status/1631691019635814400>,
abgerufen am 28.07.2023.

schließlich auch akzeptiert haben. Solche Eltern halten ihre Erziehungspraxis selbstverständlich für gut und notwendig und,
wenn sie selbst durch Anpassung und Gehorsam erfolgreiche
Karriere gemacht haben, auch für zweifelsfrei richtig.
Es sind Eltern mit „Muttermangel“, „Muttervergiftung“,
„Vatererpressung“ und „Vatermissbrauch“ (vgl. Kap. 6). Eltern
mit diesen Beziehungsstörungen haben keinerlei Verständnis
dafür, dass sie damit „Kriegslust“ begünstigen, denn ihr eigenes
autoritäres Verhalten verstehen sie natürlich nicht als grundsätzliche Gewalt, die Gefühlsstau produziert. Ihren eigenen Gefühlsstau arbeiten sie ja permanent in Form von Autoritarismus
ab.
Heutzutage ist die autoritative Manipulation viel häufiger als
die direkte Unterwerfung. Dann heißt es: „Wir wollen nur das
Beste!“, „Dir soll es mal besser gehen!“, „Wenn du erfolgreich
sein willst, musst du …!“, „Streng dich an, setz dich durch, sei
kein Verlierer, sei stark und tüchtig“ u. a. Mit diesen manipulierenden Forderungen und Erwartungen werden die Kinder auf
die normopathischen Werte einer narzisstischen Gesellschaft
eingestellt und trainiert. Das Verhängnisvolle dabei ist, dass
man, indem man der elterlichen Beeinflussung folgt, tatsächlich
sehr erfolgreich werden kann, aber es ist entfremdetes falsches
Leben, zwangsläufig mit Gefühlsstau verbunden, der, wie wir
wissen, am Ende doch krank oder böse macht, oder beides.

3. Die destruktiven Eltern
Das sind die wirklich bösen Eltern, die eine Frühtraumatisierung ihrer Kinder bewirken, die bereits strafrechtlich relevant
sein kann. Sie gefährden nicht nur das Kindeswohl, sondern
91

sie beeinträchtigen schwerwiegend die Entwicklung des Kindes und verursachen krankheitswertige körperliche, seelische
und soziale Beschädigungen mit schwerster Persönlichkeitsstörung. Es sind vor allem Eltern, die mit „Mutterbedrohung“
und „Vaterterror“ die Gesundheit des Kindes somato-psychosozial zerstören. Das Kind erleidet offene körperliche Gewalt,
Vernachlässigung, Ablehnung und Abwertung. Es wird nicht
gut versorgt und bleibt oft sich selbst überlassen. Ernährung,
Körperpflege, soziale Fürsorge, Schutz und Trost werden vernachlässigt. Manchmal wird die körperliche Gewalt an den
äußerlichen Symptomen erkennbar, aber als Unfallverletzung
interpretiert, da die Eltern natürlich bestreiten, ihre körperliche
„Züchtigung“ könne solche Folgen haben. Noch viel schwerer
sind die psychische und soziale Gewalt zu erkennen, mit der
Kinder gefoltert werden: „Wir wollen Dich nicht! Du bist nichts
wert! Du kannst nichts! Du bist ein Versager! Du solltest gar
nicht kommen!“
Das Alleinbleiben und Verlassen-Sein, die Missachtung,
Abwertung und Bedrohung, die Einschüchterung, die Androhungen und realen Strafen behindern die Entwicklung,
hinterlassen einen unsicheren, instabilen, beziehungsgestörten Menschen, der aus gutem Grund voller Empörung, Wut
und Hass ist – was einen gewaltigen Gefühlsstau bedeutet,
denn der Protest kann ja nicht gezeigt und gelebt werden,
denn dann wäre noch mehr Gewalt in aller Regel die Antwort. Allenfalls, dass sich der Gefühlsstau Ventile sucht:
Dann verschiebt sich die emotionale Abfuhr auf häufige Erkrankungen, Unfälle und anwachsende Verhaltensstörungen.
Es kommt zu sichtbarer Unruhe, sozialem Störverhalten, zu
Protesten, Widerspruch, provozierten Konflikten, störrischer
Verweigerung, Trotz und Gewalt gegen Tiere und Menschen
92

und Beschädigung von Sachen. Die emotionale Instabilität
und heftigen Impulsdurchbrüche machen auf die schwere
strukturelle Beschädigung der Regulationsfähigkeit aufmerksam, die für den Betroffenen eine große Not bedeutet und für
die soziale Umwelt zur schwer erträglichen Herausforderung
wird. Das soziale Schicksal ist meist ein Außenseiterdasein mit
Ablehnung und Verfolgung, wobei Gewalt, kriminelles Verhalten, Drogen, Alkohol, Prostitution häufig die innere seelische Zerstörung auf eine destruktive soziale Bühne bringen.
Als Folge destruktiver Eltern ist eine Kriegslust bei sehr schwer
persönlichkeitsgestörten Menschen eine zwar verständliche,
aber eben auch sehr bittere und dramatische Folge. Die vorhandene Zerstörungswut, die aufgestaute Gewalt als Folge
schwerster Frühtraumatisierung macht sie nicht nur leicht
kriegsbereit, sondern nahezu zu idealen Söldnern und Vollstreckern der schmutzigsten Befehle. Sie sind auch die begeisterten Täter der Selbstjustiz bei chaotischen sozialen Verhältnissen.
Die Kinderstube bei destruktiven Eltern schafft die besten
Voraussetzungen für ein später begeisterungsfähiges Klientel
einer bellizistischen Gesellschaft. Ein Krieg bietet ihnen die
beste Chance, nicht nur erlaubt, sondern sogar befohlen zu
töten und zu zerstören. Kinder von Mitläufer-Eltern dagegen
ziehen ohne besondere belliphile Ambitionen oder auch ohne
wesentliche Verweigerung in den Krieg, es reicht, wenn er von
„allen“ gewollt und von oben angeordnet wird. Sie hoffen zu
überleben und zeigen in aller Regel keinen gesteigerten Heldenmut. Die Nachkommen autoritär-repressiver Eltern werden
ihre versteckte Kriegslust als gehorsame Pflicht empfinden, Argumente für eine Unvermeidlichkeit des Krieges suchen und
Pazifisten verachten und diffamieren. Nur die Kinder guter
93

Eltern44 werden keinerlei Kriegslust empfinden können, sie
werden sich widersetzen, sich für Frieden engagieren und bei
Kriegspflicht sich verweigern oder desertieren, wobei Desertation weder strafrechtlich noch als Schmach akzeptiert wird,
sondern als eine moralische Pflicht, weil sie einen jeden Krieg
als Verbrechen empfinden.

44 Siehe dazu das nächste Kapitel, „Der Einfluss der Persönlichkeitsstruktur
auf die Friedensfähigkeit oder Kriegslust“.

Der Einfluss der Persönlichkeits
struktur auf die Friedensfähigkeit
oder Kriegslust

In meiner psychotherapeutischen klinischen Arbeit hatte ich
mich mit meinem Team auf die Behandlung der sogenannten Frühstörungen spezialisiert. Frühstörungen oder Frühtraumatisierung sind die Ursachen für Strukturstörungen der
Persönlichkeit. Schwangerschaft, Geburt, Stillzeit und die Entwicklungsbedingungen in den ersten drei Lebensjahren entscheiden über die Gesundheit oder Gestörtheit (Entfremdung)
der Persönlichkeit, bezogen auf die wesentlichen Persönlichkeitsstrukturen der Identität (wer bin ich, wer bin ich nicht?),
des Selbstwertes (bin ich o.k. – gut und richtig oder bin ich’s
nicht?), der Bindung (kann ich Beziehung halten und sie mit
Anpassung und Abgrenzung leben?), der Nähe (kann ich zwischen mir und anderen ausreichend sicher unterscheiden?) und
der Autonomie (kann ich selbstständig sein oder bleibe ich abhängig?).45 Menschen mit Strukturstörungen der Persönlichkeit
sind zur Liebe und damit zum Frieden nicht wirklich in der
Lage, dagegen aber wegen des mit der Strukturstörung immer
verbundenen Gefühlsstaus für Streit, Gewalt und Krieg anfällig.
Zum Verständnis noch einmal eine einfache, verständliche
Differenzierung zwischen Selbst und Ich. Frühstörungen beeinträchtigen die Gehirnentwicklung der Selbst-Strukturen nach45 Vgl. Gerd Rudolf, „Strukturbezogene Psychotherapie“, Schattauer-Verlag,
Stuttgart 2004.

haltig für das ganze Leben so sehr, dass die Fähigkeit zu Nähe,
Bindung und Autonomie und die Stabilität der Identität und
des Selbstwertes für immer eingeschränkt bleiben (letztlich unheilbar). Jedoch können mit späteren Ich-Leistungen die SelbstDefizite etwas kompensiert werden. Anders ausgedrückt: Was
nicht selbstverständlich als psychische Fähigkeit entwickelt
werden konnte und zur Verfügung steht, das kann durch spätere bewusste und gezielte Bemühungen und Übungen etwas
ausgeglichen werden. Wenn ich also z. B. nicht wirklich weiß,
was ich will und kann, dann kann ich mir etwas ausdenken,
vornehmen oder einreden lassen und durch Übungen erlernen.
Der wahrnehmbare Unterschied zwischen Selbst und Ich
besteht in der fraglosen Selbstverständlichkeit einer strukturell
(neurophysiologisch) verankerten Selbst-Fähigkeit und den
immer mit Anstrengungen verbundenen Ich-Leistungen des
Lernens und Übens. Der seiner selbst Gewisse weiß, dass er
o.k. ist, der strukturell Selbstwert-Gestörte muss sich immer anstrengen, um sich zu beweisen, dass er o.k. sei, wobei der Leistungserfolg unsicher und labil bleibt und keine anhaltende Entspannung und Zufriedenheit ermöglicht. Nie verschwindet der
Stachel, sich weiter anstrengen zu müssen, um sich Erfolg und
Bestätigung zu sichern. Die so wünschenswerte Anerkennung
bleibt vom Außen abhängig und ruht nicht im Inneren. Natürlich wird auch ein Selbst-Gewisser an sich arbeiten und seine
Begabungen entwickeln und Kompetenzen üben und erweitern,
aber das wird überwiegend als interessant, spannend und sogar
vergnüglich erlebt, weil es eine Realisierung der im Selbst vorhandenen Möglichkeiten bedeutet und keine quälenden Mühen
zur Betäubung des tiefen Minderwertigkeitsgefühls. Wohlgemerkt: Die erlebte Minderwertigkeit ist erzeugt worden durch
Lieblosigkeit, fehlende Unterstützung und erlebte Abwertung.
96

Das ist der Unterschied zwischen Begabung/Talent und narzisstisch motivierten Erfolgen, zwischen dem Selbst und seiner
natürlichen Mitgift und dem Ich mit seinen durch große Leistungsbemühung ertrotzten Triumphen.
So ist es auch bei einer strukturellen Unfähigkeit, eine Bindung zu halten und zu gestalten. Ersatzweise kann man durch
sekundäre Ich-Leistungen Vereinbarungen treffen, Verträge
schließen und darauf achten, dass es ausreichend Vorteile gibt,
an einer Bindung festzuhalten.
Strukturstörungen können reale Verhaltensdefizite bedeuten, so dass dem Betreffenden ein gewünschtes oder gefordertes
Verhalten wirklich nicht möglich ist. Ihm erscheint diese Unmöglichkeit nicht als Sache seines Willens („ich will nicht“),
sondern als tatsächliches Unvermögen („ich kann nicht“).
Dagegen besteht bei den innerseelischen Konflikten, sich so
oder anders zu verhalten, nur eine Entscheidungsstörung. Das
nennen wir dann „Neurose“ im Unterschied zur Persönlichkeitsstörung (oder auch Psychopathie). Eine Behinderung, sich
für etwas entscheiden zu können, ist erziehungsbedingt durch
Gebote, Verbote, durch Tabuisierung oder Moralisierung von
Verhaltensmöglichkeiten erzeugt worden.
Beispiele:
1. „Ich habe Appetit auf … aber das ist nicht gesund.“
Der Neurotiker wird sich schließlich für eine Seite
entscheiden und den Verzicht bedauern oder sich
wegen seiner „Schwäche“ Gewissensbisse machen.
Der Psychopath wird bedenkenlos „fressen“ oder
fanatischer Veganer werden.

2. „Ich habe Lust auf Sex – aber die Gelegenheit ist
nicht gerade günstig!“
Der Neurotiker wird verzichten, verschieben, verhandeln, um sein Bedürfnis und die Gelegenheit
besser zusammenzuführen oder er wird verzichten
und leiden. Der Psychopath wird zur Gewalt und
Vergewaltigung neigen oder den potentiellen Geschlechtspartner abwerten, beschimpfen.
3. „Bleibe ich lieber allein oder lass ich mich zu einem
Treffen einladen? Ablehnen kann ich schlecht, aber
rechte Lust habe ich keine!“
Der Neurotiker wird Vor- und Nachteile abwägen und mit Widerwillen so oder so entscheiden
oder eine Ausrede benutzen. Der Psychopath kann
schlecht allein sein, hasst aber die erbetene Geselligkeit, er wird deshalb lieber saufen gehen oder doch
der Einladung folgen und dort stören und Konflikte
provozieren.
In meinen Büchern über das falsche Leben, die narzisstische
und die Angstgesellschaft46 habe ich sehr ausführlich die wesentlichen Mutter-Vater-Kind-Beziehungsformen im Guten
wie im Schlechten dargestellt. Das Verständnis für Friedensfähigkeit und Kriegslust lässt sich mit den frühen elterlichen
Beziehungsqualitäten gut begründen.
Es sind mütterliche und väterliche Beziehungsqualitäten
zu differenzieren. „Mütterlich“ ist Gebären, Gewähren, Stillen,
Versorgen, Behüten, Beschützen, Trösten und vor allem, sich
in das Kind einzufühlen und es verstehen zu wollen. Der ent46 Vgl. das Literaturverzeichnis am Ende dieses Buches.

scheidende Unterschied ist: Will die Mutter ihr Kind entdecken
und begreifen oder erwartet sie (ggf. unbewusst), dass allein
das Kind die Mutter verstehen lernt und sich nach ihren Bedürfnissen richtet?
Mutterliebe ist bedingungslos: Ich liebe dich, wie du bist
und werden möchtest, weil du mein Kind bist!
„Väterlich“ ist Fördern und Fordern, Unterstützen, Begleiten, Probieren, Riskieren, Begrenzen, Herausfordern, Bestärken, Loben. Dazu gehört, Pflicht, Verantwortung, Struktur und
Moral zu vermitteln. Auch hier ist es ein entscheidender Unterschied, ob der Vater die Fähigkeiten und Begrenzungen seines
Kindes erkennen lernt und akzeptieren kann oder ob der Vater
erwartet, dass das Kind die väterlichen Ansprüche erfüllt. Soll
das Kind ihm nur gehorchen, oder will er eine wohlwollende,
ehrliche und anregende Unterstützung für das eigene Leben des
Kindes sein. Die wichtigste Aufgabe des Vaters ist, das heranwachsende Kind allmählich aus dem sicheren, versorgenden
mütterlichen „Hafen“ in ein beschwerliches und schönes Leben
auf „offenem Meer“ zu führen.
„Vaterliebe“ ist Fürsorge, Ermutigung, Auseinandersetzung
und Anerkennung: Ich engagiere mich aus Liebe für dich, mein
Kind, damit du deinen Weg im Leben finden und bestehen
kannst.
Die Mutter schafft aus Liebe die Lebensgrundlagen, die
strukturellen Möglichkeiten der Persönlichkeit. Der Vater hilft,
diese Möglichkeiten zu entwickeln und zu gestalten.
Das Mütterliche und das Väterliche sind nicht zwingend
an das Geschlecht gebunden – es gibt väterliche Frauen und
mütterliche Männer. Aber die unterschiedlichen mütterlichen
und väterlichen Beziehungsangebote braucht jedes Kind, um
sich gut und sicher entwickeln zu können. Alleinerziehende
99

Mütter und Väter haben es besonders schwer, beide spezifischen Beziehungsqualitäten zur Verfügung zu stellen oder Verantwortung dafür zu tragen, dass das Kind sowohl mütterliche
als auch väterliche Unterstützung erfährt.
Mit der wahnwitzigen, politisch-ideologisch behaupteten
Geschlechtervielfalt wird eine schwerwiegende Verstörung des
Kindeswohls geschürt. Man kann und darf doch eine biologisch oder psychologisch begründete Identitätsstörung, wie sie
Transsexualität sein kann, nicht ideologisch für die Ausrufung
diverser Trans-Geschlechter missbrauchen. Stattdessen muss
ein Verständnis mit Hilfe für biologische Besonderheiten und
verwirrende Entwicklungsstörungen der Frühtraumatisierung
aufgebracht und zur Verfügung gestellt werden. Die unsägliche Diskussion um Geschlechtervielfalt geht fast vollständig
auf Kosten des Mütterlichen und Väterlichen, die dem Kind
die beste biopsychosoziale Orientierung und Entwicklungshilfe
geben könnten.
Die Zukunft einer Gesellschaft wird in der Kinderstube programmiert. Deshalb ist es oberste Pflicht und Verantwortung
einer Regierung, für beste mütterliche und väterliche Beziehungschancen in der Frühbetreuung zu sorgen. Real ist das
Gegenteil der Fall: Eine Familie aus Mutter-Vater-Kind wird als
nicht mehr zeitgemäß delegitimiert, zu frühe Fremdbetreuung
der Kinder wird aus ökonomischen und ideologischen Gründen favorisiert, Eltern werden finanziell, sozial und in ihrer
Elternfunktion nicht hinreichend gut unterstützt. So dominieren leider frühe elterliche und durch Fremdbetreuung bedingte
Beziehungsstörungen, die spezifische Fehlentwicklungen der
Selbstentfremdung bewirken, die ich im Folgenden für die Belliphilie beschreiben will.

100

A. Kriegslust als Folge der
Mütterlichkeitsstörungen
1. Bei Mutterbedrohung wird dem Kind von Anfang an vermittelt, dass es nicht gewollt und im Grunde genommen gar nicht
wirklich lebensberechtigt ist. Die im Leben anhaltende Grunderfahrung ist: „Mein Leben ist bedroht!“ Das wird gerne, damit
es wenigstens ein bisschen erträglicher wird, umgewandelt in:
„Das Leben ist prinzipiell bedrohlich.“
Diese Grunderfahrung schafft den größten Druck für
„Kriegslust“. Die prinzipielle Ablehnung und Nicht-Lebens-
Berechtigung löst völlig berechtigt größte Empörung, Wut und
Hass aus.
Das „Gottesgeschenk“ des Lebens, das unbedingte Recht
auf Leben wird durch schwer gestörte Eltern infrage gestellt,
wofür sie zu Recht zu verurteilen sind. Ich habe unzählige Male
mörderischen Hass erleben müssen, der in der Therapie für
die Bearbeitung der Frühbedrohung aktiviert werden musste.
Das ist therapeutisch auch sehr schwer auszuhalten und bedarf
einer sicher erarbeiteten Vertrauensbeziehung mit einem entsprechenden therapeutischen Schutzraum, wo keine Menschen
angegriffen oder Gegenstände zerstört werden können.
In der klinischen Bezeichnung sprechen wir von Borderline-
Syndromen bei Patienten, die durch emotionale Instabilität,
Triebdurchbrüche, Gewaltexzesse und Streitlust zumeist ein
sehr konflikthaftes und belastendes Leben führen (müssen).
Frühbedrohte sind sehr an Möglichkeiten der Aggressionsabfuhr
interessiert, z. B. in Kampfsportarten, in Berufen, die Gewalt
oder hartes, entschlossenes Handeln erlauben oder fordern,
wie etwa Polizei, Armee, Feuerwehr, Security-Dienste. Selbst in
der Medizin ist kultivierte, sublimierte Gewalt (Zahnarzt, Chi101

rurg) zur Aggressionsabfuhr möglich. Das kann auch Politiker,
Richter, Behördenangestellte betreffen, die sich mit ihren Entscheidungen und Maßnahmen unbewusst aggressiv entladen.
Für den Krieg und als Söldner eignen sich Borderliner am
besten, aber nicht jeder Mensch mit einer Borderline-Problematik will auch Krieg! Oft genügt ihnen – wie oben beschrieben – eine sublimierte Form der Aggressionsabfuhr.
2. Mit Muttererpressung bezeichne ich eine Mütterlichkeits
störung, bei der die Mutter das Kind für sich haben möchte, es
praktisch nicht loslassen mag. Das Kind wird zu einem ausgelagertem Selbst-Anteil der Mutter. Alles, was das Kind will und
tut, wird von der Mutter kontrolliert, manipuliert, in Besitz genommen. Das Kind kann keine Selbst-Anteile entwickeln und
als eigene, ganz individuelle Erfahrung zu sich nehmen. Immer
ist die Mutter mit ihrer Meinung und Bewertung dabei und vor
allem mit dem Anspruch, alles vom Kind wissen zu wollen – es
darf kein Geheimnis vor der Mutter haben. Die Mutter erhebt
sich zu einem Besitz- und Machtanspruch, so als wäre das Kind
selbstverständlich nur ein Teil von ihr, gehöre ihr und könne
deshalb kein eigenes Leben haben. Ich habe auch schon mal den
Begriff „Vampirmutter“ benutzt, um den energetischen Aspekt
zu betonen, wie die Mutter am Kind „saugt“ und sich durch die
Energie des Kindes beleben lassen möchte.
Es ist verständlich, dass derart besetzte Kinder eine Mordswut haben, da sie sich permanent beraubt fühlen, aber für ihren
Protest kein Verständnis finden können. So ist ihr häufigster
Schutzweg der innere Rückzug: möglichst wenig von sich zeigen und erzählen, um der Mutter kein Material für ihren Missbrauch zu geben. Das Ergebnis ist eine schizoide Verweigerung
des Kindes, ein In-sich-Verstecken, dabei aber voller Empörung
102

und Wut, weil es ja seiner eigenständigen Existenz beraubt ist.
Bezogen auf die Kriegslust sind die Erpressten (die Schizoiden)
niemals aktive Gewaltträger oder Kriegstreiber, aber wenn sie
Gelegenheit bekommen, endlich und richtig aus sich herauszukommen, dann erkennt man sie in ihrem heftigen Zorn nicht
wieder. Und bei einer Befehlslage, die Gewalt nicht nur erlaubt,
sondern fordert, und wenn Gruppendruck sie mitreißt, gehören sie leider in das Lager der Belliphilen.
Der Borderliner drängt eher mit Begeisterung in den Krieg,
der Schizoide lässt sich dazu verführen und muss angestachelt
werden.
3. Muttermangel ist in einer finanzkapitalistischen Gegenwart
die häufigste Mutter-Kind-Beziehungsstörung. Zur gesellschaftlichen Normopathie passt sie am besten. Es betrifft die
Mütter, die arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt selbstständig zu verdienen, die ein zu geringes Familieneinkommen
aufbessern müssen, und vor allem jene, die am Arbeitsplatz
präsent sein müssen oder wollen, um keine Nachteile für
ihre berufliche Entwicklung und Karriere im Konkurrenzkampf zu erleiden. So stehen sehr viele Mütter nicht ausreichend für die Frühbetreuung ihrer Kinder zur Verfügung.
Oder sie sind mit ihrem Kopf ständig beim Job, und Stress
und Unzufriedenheit schränken ihre Empathie für die kindlichen Bedürfnisse ein. Nicht wenige setzen transgenerational die selbst erlittene Lieblosigkeit ihres Muttermangels fort.
Das ist besonders tragisch, weil sie es aus eigenen Liebesdefiziten nicht besser wissen und so leicht einer kinderfeindlichen
feministischen Propaganda und kapitalistischen Zwängen zum
Opfer fallen. So wird die dann erlebte Verzweiflung der Mutter
über ihre oft so ausweglose Notlage das Mutter-Kind-Verhältnis
103

noch mehr negativ belasten: Mutter und Kind – zwei Menschen
im wechselseitig sich verstärkenden Stress.
Ich halte eine Sozialpolitik, die eine zu frühe Fremdbetreuung in einer Kinderkrippe fördert, für menschenfeindlich und
kindeswohlgefährdend. Die zwingende Alternative ist eine
ausreichende finanzielle und psychologische Unterstützung
für eine gute Mütterlichkeit, damit Mütter die Frühbetreuung
selbst gut gestalten können. Die aktuelle Realität einer politisch-
ideologischen Kindesmisshandlung ist die entscheidende Brutstätte für spätere Belliphilie.
Muttermangel ist in gewisser Hinsicht noch schlimmer als
Mutterbedrohung und Mutterbesetzung, weil sich in aller Regel
das Kind für schuldig an seinem schmerzlichen Schicksal hält.
Bei einer spürbar schlechten Mutter, wo es Gewalt, Vernachlässigung, Kränkung und Bedrohung zu spüren bekommt, erkennt
das Kind instinktiv das Böse. Aber bei Muttermangel – erst
recht, wenn die Mutter an ihrer Situation spürbar leidet – wird
das Kind sich als Belastung und Grund für die Überforderung
der Mutter erleben und am häufigsten zwei Verhaltensweisen
entwickeln: sich pflegeleicht machen, um die Mutter zu entlasten
– das lässt das Größenklein entstehen –, oder sich anstrengen,
um Mutters Aufmerksamkeit, Zuwendung und Liebe doch noch
zu erlangen – was sich allmählich zum Größenselbst entwickelt.
In beiden Fällen handelt es sich um eine narzisstische
Grundstörung mit Minderwertigkeitsgefühl, lädiertem Selbstwert, Selbstunsicherheit, prekärer Identität; eine Beschädigung,
die das Kind zu kompensieren versucht, indem es entweder
seine Bedürfnisse völlig zurücknimmt oder sich permanent
anstrengt: Beides sind Versuche, sich „Liebe“ zu ergattern.
Da man sich Liebe aber nicht verdienen kann – sie wird geschenkt oder nicht – entwickelt sich ein zunehmend süchtiges
104

Bemühen, das zwar Anerkennung, Erfolg, Karriere, Reichtum
ermöglichen, aber niemals die eigentliche Liebessehnsucht stillen kann. Deshalb ist narzisstischer Größenwahn eine Suchterkrankung. Auch das Größenklein kann zur Sucht hin konditioniert werden. Das geschieht durch alle Helferberufe („ich
opfere mich gern auf “) wie auch durch Sozialleistungen („ich
bin so schwach, ohne Hilfe komme ich nicht durchs Leben“).
So bildet sich in einer narzisstischen Normopathie leicht eine
Kollusion zwischen dem Größenselbst der Eliten und dem Größenklein der abhängig Gebliebenen.
Auf jeden Fall bedeutet Narzissmus eine tiefe seelische
Kränkung und Traumatisierung durch frühen Betreuungsmangel. Die erlittene Lieblosigkeit verhindert die Entwicklung von
Empathie und zwingt in ein Ersatzleben durch anstrengende
Ich-Leistungen. Der ungeliebte Narzisst will dann wenigstens
Anerkennung, Macht und Geld. Die zwangsläufige Kränkungswut der frühen Verlassenheit wird in unendliche Leistungswut
gepackt. Deshalb führt eine narzisstische Gesellschaft als Suchtgesellschaft zur Zerstörung der menschlichen Verhältnisse und
der Natur. Als Normopathie, also wenn sie zur gesellschaftlichen Regel geworden ist, wird die Destruktivität nicht mehr
wahrgenommen. Aber gesellschaftliche Fehlentwicklung führt
unvermeidlich in die Krise, und dann entblößen die nun erfolglos gewordenen oder als schädlich erkannten Ersatz-Bemühungen ihren Kern psychosozialer Gewalt.
Narzisstische Selbstüberhöhung (Größenselbst) oder
Selbstabwertung (Größenklein) waren die Überlebens-Strategien bei Strukturmangel des Selbstwertes – immer verbunden
mit einem Gefühlsstau aus schmerzlich unerfüllter Liebessehnsucht und erheblicher Kränkungswut. Wenn in der Krise der
Gefühlsstau zum Ausdruck drängt, befeuert der unterdrückte
105

Schmerz die Wut bis zum Hass, die im Außen nach Schuldigen
und bekämpfbaren Feinden sucht. Das projektive Sündenbockdenken – „Du bist schuld!“ statt „Ich habe falsch gelebt!“ – ist
charakteristisch für eine kapitalistische Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft. Ohne Feindbild von der Konkurrenz und ohne
Feindschaft zum politischen Gegner und zu Andersdenkenden
würde dem aufgeblähten falschen Leben die Überlebenskraft
ziellos verglühen.
Eine Gesellschaft, die elterliche Liebe erschwert oder gar
ideologisch zerstört, garantiert praktisch durch ein belliphiles
Erkrankungspotential vieler den Bellizismus einer Gesellschaft
in der Krise.
Das ist bis heute bitterste Realität in Deutschland.
Die Psychodynamik einer nationalsozialistischen und einer
DDR-sozialistischen Normopathie sind in ihren frühkindlichen Ursachen niemals wirklich heilsam aufgelöst worden.
4. Muttervergiftung ist eine strukturschädigende Mütterlichkeit,
die die Autonomie des Kindes erschwert bis verhindert und das
Kind auf Abhängigkeit programmiert. Die „Vergiftung“ besteht
darin, dass die Mutter ihr Interesse am und ihre Zuneigung
zum Kind davon abhängig macht, ob das Kind lernt, sich auf
ihre Interessen einzustellen und nach ihren Bedürfnissen zu
leben. Die mütterliche Botschaft lautet: „Ich habe dich (nur)
gern, wenn du so bist, wie ich mir dich wünsche!“ Das kann
die Mutter tatsächlich direkt verbal vermitteln: „Mach dies …!“
oder „Lass das …!“ oder „Sei so …!“ oder „Sei auf keinen Fall
so …!“ Noch viel häufiger und nachdrücklicher aber vermittelt
die Mutter ihre Erwartungen an das Kind mimisch und gestisch, vor allem auch durch ihre Stimmung. Jedes Kind möchte
eine entspannte, heitere Mutter haben. Es wird bei mütterlicher
106

Verstimmung befürchten, es sei daran schuld und wird – solange es noch gesund ist – bemüht sein, alles zu tun, um seine
Mutter aufzuheitern und zufriedenzustellen. Erst wenn es im
Laufe mütterlicher Beziehungsstörungen im Gefühlsstau leben
muss, kann es auch gezielt oder auch unbewusst Dinge tun,
die die Mutter verletzen oder ihr Muttersein erschweren. Eine
solche Art „Rache“ ist die Folge schlechter Mütterlichkeit und
praktisch der Beginn einer belliphilen Entwicklung.
Muttervergiftung führt dazu, dass Kinder von Anfang an
lernen müssen, auf ihre Mutter zu achten, statt auf die eigenen
Bedürfnisse. So wird Autonomie verhindert und Abhängigkeit
anerzogen. Ein gesundes Gefühl dafür, wo und wann man gern
und sicher sich abhängig machen kann – weil man ja sowieso
nicht alles alleine gut verstehen und bewältigen kann – und
wann man besser selbstständig entscheiden muss und auch gut
eigenständig und selbstverantwortlich zu handeln versteht, geht
verloren. Das ist leider sehr weit verbreitet! So entsteht ein Heer
abhängiger Menschen, die dann schnell und leicht Opfer von
Suggestionen, Werbung und Propaganda werden, die leichtfertig politischer Führung vertrauen, die glauben, was in der
Zeitung steht oder im Fernsehen vermittelt wird.
Obwohl dem Alter nach erwachsen, handeln sie immer
noch wie in den frühen mütterlichen Diensten, übernehmen gewünschte Meinungen und Erwartungen, um berechtigt auf der
Welt und nach dem Urteil der anderen richtig zu sein und „geliebt“ zu werden. Eine eigene Position gegen die „Macht“ – und
sei es nur der Mainstream – bedeutet tiefreichende Bedrohung,
nämlich abgelehnt, ausgestoßen zu werden. Solche heftigen
emotionalen Empfindungen bei real nur geringen Abweichungen von der Meinung des Partners, Freundes, Vorgesetzten oder
einem politischen Narrativ sind nur zu verstehen, wenn die frühe
107

Dramatik der Abrichtung auf Mutters Willen bedacht wird. Ein
eher harmloses Abgelehnt-Werden durch Meinungsabweichung
bekommt dann eine existentielle Bedeutung. Muttervergiftete,
abhängige Persönlichkeiten stecken natürlich auch in einem Gefühlsstau gekränkter, aggressiver Gefühle, die ihren Anfang bei
der prinzipiellen mütterlichen Traumatisierung nahmen: „So
wie du bist, will ich dich nicht!“, „Nur wenn du so bist, wie ich
es möchte und brauche, kann ich dich annehmen und mögen!“
Das Schicksal des abhängigen Menschen hängt entscheidend davon ab, unter welchen sozialen Bedingungen, in welcher Peergroup der Muttervergiftete dann weiter aufwächst. Er
kann dann ein absolut treuer Partner und Freund und loyaler
Mitarbeiter oder Anhänger werden oder ein willfähriger Mitläufer in jeder Normopathie, und sei es, dass er mitschwimmt
im politischen, moralischen, religiösen Extremismus einer
pathologischen Gemeinschaft. Nur so ist die starrsinnige, irrationale Überzeugung eines „Endsieges“ bei erkennbar schon
längst bestehender Niederlage zu verstehen. Gegenwärtig halte
ich den wachsenden Bellizismus deutscher Politiker47 für ein

47 „In Deutschland hat sich ein Bellizismus ausgebreitet, der riskant ist“, urteilte der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily im Juli 2022 gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. „Ausgerechnet bei den Grünen“ gebe
es, so Schily weiter, „eine große Einseitigkeit“. Ohne Namen zu nennen,
dürfte Schily damit u. a. Annalena Baerbock gemeint haben. Die amtierende Außenministerin hatte zuvor Kriegsmüdigkeit beklagt („Wir haben
einen Moment der Fatigue erreicht“; zit. in der FAZ vom 25.05.2022). Später forderte sie: „Ja, wir müssen mehr tun, denn wir kämpfen einen Krieg
gegen Russland.“ Die Äußerung, die Baerbocks Geisteshaltung verrät und
wie eine Kriegserklärung an Russland klang, wurde im Nachgang vom
Auswärtigen Amt als ein „verrutschter“ Satz bezeichnet). Zit. nach ZDF
heute vom 26.01.2023, online: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/
annalena-baerbock-kriegserklaerung-ukraine-krieg-russland-100.html,
abgerufen am 29.07.2023.

108

Symptom des aktivierten Gefühlsstaus der Machteliten bei
schwerer narzisstischer Verunsicherung durch eine grundsätzliche Krise der narzisstischen Normopathie. Die damit provozierte Kriegsgefahr wird leider auch im kollusiven Zusammenspiel mit einer großen Zahl abhängiger Menschen geduldet,
sogar gefördert und damit gefährlich verstärkt. Muttervergiftete
Mitläufer folgen den Autoritäten, weil sie zu einer eigenen, geschweige denn zu einer vom machtpolitischen Narrativ abweichenden Meinung nicht in der Lage sind. Ihre Lebensform ist
Abhängigkeit: von den Eltern, einem Partner, von Freunden,
von Beratern und Experten, von allen Mächtigen.
Eine solche destruktive Kollusion hat schon den Umgang
mit den irrealen Corona-Maßnahmen geprägt, jetzt betrifft es
den irrwitzigen Größenwahn einer „Klimarettung“ und die
todbringende Propaganda eines „Siegfriedens“ der Ukraine.
Das sind Symptome unfähiger Friedensfähigkeit und einer entfesselten Kriegslust, projiziert auf Viren, Klimaveränderungen
und das Feindbild Russland.
Wir erleben das historisch vielfach bekannte Phänomen,
wie das Ende eines politisch-ökonomischen Systems in den
Krieg führt, weil die für die Entwicklung verantwortlichen
Eliten nicht demütig und friedfertig abtreten können und die
vielen, die bereit sind, in den Krieg zu ziehen, ihre schuldhafte
Beteiligung an einem falschen Leben verleugnen wollen und
dafür lieber der Feindbild-Propaganda verfallen. Es handelt
sich dann um die Entscheidung, die eigene Selbstentfremdung
schmerzlich erkennen zu müssen oder angebliche oder real
Schuldige auszumachen, gegen die man den Gefühlsstau kriegerisch abreagieren kann. Das kann dann in pervertierter Form
als Entlastung erlebt werden, wenn die psychosomatische und
konfliktreiche Selbstbeschädigung in einen „Kampf gegen …“
109

umgewandelt wird. Diese mögliche Entlastung ist dann auch
ein unbewusstes Motiv für belliphile Gelüste. Doch die Selbsterkenntnis zu verweigern, lässt die Persönlichkeit nicht reifen,
und die erzielte Entlastung bleibt schimärisch. Vor allem führt
die Projektion auf fremde Täter – selbst wenn sie real Verbrecher sind – in einen sinnlosen Stellvertreterkrieg, weil es,
bezogen auf die wirklichen ehemaligen Verursacher des vorhandenen Gefühlsstaus, die falschen Täter sind.

B. Kriegslust als Folge von
Väterlichkeitsstörungen
1. Vaterterror ist eine sehr destruktive Ablehnung des Kindes
durch den Vater: „Ich will dich nicht!“ „Du störst nur!“ „Ich
lehne dich ab!“ „Du taugst nichts, du kannst nichts! Du bist
nichts wert! Du bist nicht o.k.!“ Es sind in ihrem Selbstwert
schwer gestörte Männer (Borderliner, Narzissten), die sich in
ihrer Entwicklung und eigenen Lebensgestaltung durch die
Verantwortung für ein Kind behindert bis schwer beeinträchtigt erleben. Männer, die gegen ihren Willen Väter wurden;
emotional instabile Männer, die selbst Halt brauchen und bei
einer Übertragung solcher Erwartungen an ihre Partnerin im
Kind nur einen lästigen Konkurrenten um die Gunst mütterlicher Versorgung erleben. Sie treten offen gegen das Kind an
durch Strenge, Härte und Gewalt. Sie neigen dazu, ihr Kind zu
kränken, abzuwerten und seelisch zu verletzen. Der seelische
Terror wird auch mimisch-gestisch übermittelt oder indirekt
durch fehlendes Interesse, mangelnde Fürsorge und eine prinzipiell kinderfeindliche Einstellung.

110

Das Kind wird sich abgelehnt und bedroht erleben. Es wird
eingeschüchtert und traut sich nichts mehr zu. Eine natürliche Neugier wird verstört, das Kind entwickelt Bestrafungsangst und verliert die Fähigkeit zu probieren, zu riskieren.
Es entsteht der „gehemmte Mensch“ mit einer permanenten
innerseelischen Konfliktdynamik zwischen Wollen und NichtDürfen, zwischen Expansionsdrang und Bestrafungsangst, zwischen aktiver Lebensgestaltung und angstvoller Einschüchterung. Der Gehemmte befindet sich in einem schwerwiegenden
Gefühlsstau aus Kränkung, Wut, Empörung, Hass. Der zum
Gehorsam gezwungene Mensch ist ein widerwilliger Gefolgsmann – immer auch mit einem „Dolch im Gewand“ –, so dass
er anfällig für Revolten, Proteste und selbst für einen Amoklauf
ist. Eine bisher scheinbar loyale Gefolgschaft kann von einem
Tag zum anderen in Verachtung und Lynchjustiz umschlagen,
wenn die Machtverhältnisse sich ändern.
Der gehemmte Mensch ist besonders für die Kriegslust zu
begeistern. Als Soldat bekommt er nicht nur die Erlaubnis und
Gelegenheit zu töten, sondern sogar den Befehl dazu und kann
damit seinen beträchtlich aggressiven Gefühlsstau schuldfrei
abreagieren. Und da die Kriegshandlung nur Ersatz für den
wirklichen Verursacher von Wut und Hass sein kann, wird
auch das belliphile Töten und Zerstören süchtig vollzogen, ohne
Interesse an schnellstmöglicher Waffenruhe und Friedensverhandlungen.
Eine Gesellschaft kann jederzeit bellizistisch pervertieren,
wenn die Kinder autoritär-repressiv wie in der DDR oder
propagandistisch-manipulierend, wie in einer narzisstischen
Gesellschaft mit „westlichen Werten“, erzogen werden. Mit
„westlichen Werten“ sind ja in der Regel Freiheit, Demokratie
111

und Rechtsstaatlichkeit gemeint, ohne zu berücksichtigen, ob
innerseelische Freiheit und Demokratie tatsächlich vorliegen
oder nur mit Ich-Leistungen vorgespielt werden.
Zu denken wäre an William Calley, der im Vietnamkrieg am
Morgen des 16. März 1968 als US-amerikanischer Leutnant mit
seinen Leuten die Einwohner des Dorfes My Lai massakrierte.
Fünf Dorfbewohner überlebten das Blutbad; 507 starben an
jenem Morgen, unter ihnen 173 Kinder, 76 Babys und 60 Greise. Auf Calleys Konto gingen allein 102 Opfer. Im offiziellen
Gefechtsbericht spielte die Kompanie das Gemetzel herunter:
„128 Gegner im Kampf getötet, 13 Verdächtige festgenommen
und drei Waffen erbeutet.“ Der Oberbefehlshaber über die
US-Streitkräfte telegrafierte den Offizieren und Mannschaften
Glückwünsche zum „ausgezeichneten Gefecht“, die US-Presse
jubelte über den großen Schlag gegen den Vietcong. Dem Journalisten John Sack, der mit ihm sprach und daraus ein Buch48
machte, sagte Calley: „Ich habe an diesem Tag in My Lai keinen
Menschen getötet, nicht ich als Person tat es. Ich tat es für die
Vereinigten Staaten von Amerika, mein Land. Und wir waren
nicht da, um menschliche Wesen zu töten. Wir waren da, um
eine Ideologie zu töten. Um den Kommunismus zu zerstören.“49
So können westliche Werte also auch verteidigt werden.

48 William Calley, „Ich war gern in Vietnam“. Aufgezeichnet von John Sack.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1972.
49 Hierzu und zu weiteren Details, namentlich zum Prozess gegen Calley
und zu seiner Verurteilung, die seinem Aufstieg zum Volkshelden nichts
anhaben konnte, siehe Cordt Schnibben: „My Lai – die Karriere eines
Kriegsverbrechers“, in: Die Zeit vom 12.09.1986. Schnibbens Reportage
ist dankenswerterweise frei zugänglich im Archiv des Reporter-Forums,
online: <https://archiv.reporter-forum.de/fileadmin/pdf/Egon-ErwinKisch-Preis/My_Lai_-_Die_Karriere_eines_Kriegsverbrechers.pdf>.

112

2. Vatererpressung ist eine väterliche Gewalt, die davon ausgeht, dass das Kind selbstverständlich dem väterlichen Leben
widerspruchslos folgt, dass der Vater der zu bewundernde Held
bleibt, dem anfangs in allen alltäglichen, ethischen und religiösen Ansichten bedingungslos zu folgen sei und dessen politische
Ansichten und ökonomische Prinzipien später zu übernehmen
seien. So wird in Familien-Unternehmen die Übernahme des
Geschäftes als nahezu selbstverständlich vorausgesetzt. Und die
alten Chefs, die ganz schwer abtreten können, mischen sich
auch gerne in die Angelegenheiten der familiären Nachfolger
ein, so dass die väterliche Erpressungsmacht auch nach dem
Generationswechsel eingesetzt werden kann. Der alte Chef ist
eben der Vater, dem nie zu widersprechen ist, da dies eine prinzipielle Entmachtung bedeuten würde, die natürlich gescheut
wird, erst recht, wenn finanzielle Abhängigkeiten fortbestehen.
Aber eine Unternehmensnachfolge kommt sicherlich eher
selten vor. Zu groß ist der Druck vieler Väter, die am liebsten ihr
ganzes Ensemble an Lebenseinstellungen vererben möchten.
Eine solche erpresserische Erwartung und Einstellung geht vor
allem von Vätern aus, die sich im „falschen Leben“ eingerichtet
haben, das entlarvt werden könnte, wenn die Kinder andere
Wege gehen, die große Teile des Väterlichen als falsch, behindert
oder gestört erkennbar machen würden. Das ist sicher der häufigste Grund bestehender Familienkonflikte, wenn die Eltern
nichts von ihren Ansichten, ihrer entfremdenden Erziehung
erkennen wollen – weil das ja auch ihr ganzes bisheriges Leben
als falsch infrage stellen könnte. Und die psychisch-moralisch
erpressten Nachkommen verzweifeln, dass sie mit ihren neuen
und anderen Lebenseinstellungen nicht verstanden und vor allem nicht anerkannt werden. In der Therapie erkennen vierzigbis fünfzigjährige Patienten an diesen aktuellen Unversöhnlich113

keiten erstmals, dass sie noch nie von ihrem Vater (den Eltern)
in ihrer individuellen Eigenart gewürdigt wurden, sondern nur
Anerkennung bekamen, wenn sie den väterlichen Prinzipien
und Erwartungen gefolgt waren. An dieser emotionalen Dissonanz zwischen individuellen Lebensformen und väterlichen
Forderungen sind sie schließlich auch erkrankt. Die Einengung
und Erpressung sind anfangs oft hilfreich, aber bald dann ein
Zwang, der Empörung auslöst und zu einer Quelle der Kriegslust werden kann.
3. Vaterflucht: Gemeint sind die Väter, die in ihrem falschen
Leben alles für wichtiger halten als die Betreuung ihrer Kinder.
Arbeitspflichten, Karriereziele, narzisstische Bestätigung durch
äußere Erfolge, die Verantwortung eines Amtes und bedeutsame Aufgaben im Beruf, in Wissenschaft, Kultur und Politik sind dann die Begründung für die Vernachlässigung der
Kinder. Geld und Anerkennung sollen das narzisstische Defizit füllen und stillen – Kinder dagegen fordern Versorgung,
Betreuung und Unterstützung, wofür sie weder bezahlen und
auch nicht sicher Bestätigung schenken. Es ist eine tragische
Realität, dass viele Eltern nicht empathisch für ihre Kinder da
sind, sondern Opfer ihrer eigenen Bedürftigkeit bleiben und
dann erwarten, dass die Kinder sie ehren und bestätigen oder
pflegeleicht bleiben und keine Probleme machen. Die Väter, die
das Familienleben und die engagierte Betreuung ihrer Kinder
fliehen, erzeugen eine tiefgehende Kränkung beim Kind: „Ich
bin nichts wert!“ – natürlich mit berechtigter Empörung über
das väterliche Desinteresse und die Vernachlässigung. Aber
diese verständliche Wut wird erstickt mit dem Hinweis, dass
der Vater ja die Familie versorgen müsse oder ganz wichtige

114

Aufgaben zu erfüllen habe. Freilich kann das auch stimmen,
aber es macht die Situation für das Kind nicht besser.
Die Vaterflucht entzieht dem Kind zentrale väterliche Funktionen, auf die ich bereits weiter oben verwiesen habe: Anregen,
Ermutigen, Unterstützen, Probieren, Riskieren, Sich-Anstrengen, kreativ Kämpfen, Durchhalten, Pflichten und Verantwortung verstehen und übernehmen. Der Vater vermittelt Struktur – allgemeine Lebens- und Aufgabenstruktur und emotional
„gesponserte“ Energie für die ganz individuellen Potenzen und
Kompetenzen des Kindes. Sollten die Väter meistens abwesend
sein, bleiben die Kinder Abhängige von Mutters Versorgung
und Bedürftigkeit oder passiv Betreute im „Hotel Mama“.
Im Vatermangel aufgewachsene Kinder sind einerseits im
aggressiven Gefühlsstau der Kränkung und andererseits steckengeblieben im vorwurfsvollen Leben, nie genug Förderung
bekommen zu haben. Mit Passivität, Ziellosigkeit, Null-BockEinstellung sind sie immer in Gefahr, im Kriegsherren endlich eine väterliche Zuwendung zu erleben: endlich gebraucht
zu werden, wichtig zu sein, Aufgaben und Ziele vermittelt zu
bekommen und zugleich die aufgestaute Kränkungswut in
kriegerischer Gewalt abreagieren zu können. Für die väterlich
Vernachlässigten sind militärische Ordnung und Disziplin nahezu eine Erfüllung und die Befehlslage schenkt Aufgaben und
Struktur, sogar mit der Chance auf „väterliche“ Orden und Beförderung durch Tötungsleistung. So pervertiert „Vaterflucht“
zur Kriegslust.
4. Vatermissbrauch: Gemeint ist der permanente Leistungsanspruch ehrgeiziger Väter. Diese Väter überziehen, was eine
sinnvolle Lehre und Unterstützung sein könnte. Bei ihnen wird
das zu gnadenloser Antreiberei und sie machen sich wie im
115

Leistungssport zu Trainern ihrer Kinder. Sie akzeptieren keine Leistungsgrenze und fordern permanent Höchstleistungen
mit einem nie endenden Ehrgeiz. Sie setzen ihre Kinder unter
Dauerstress. Entspannung ist eher verpönt. Bequemlichkeit
bleibt ausgeschlossen und Begrenzung des Ansporns ist unbekannt. Das Tragische daran ist, dass selbst großartige Erfolge
keine wirkliche Befriedigung bringen können, weil ja schon der
Druck besteht, nicht nur den Erfolg zu halten, sondern – eigentlich ohne Ende – immer weiter auszubauen. Ein Sieg ist weniger
echte Freude als eine weitere Herausforderung. Die manchmal
zu beobachtenden Siegestränen sind keine Freudenträngen,
sondern ein momentanes Ventil für die jahrelang aufgestauten
Gefühle von Angst, Anspannung und Frust aus dem Leistungsterror. Die Unterwerfung des Erfolgreichen unter den grenzenlosen väterlichen Anspruch erzeugt unvermeidbar aggressive
Gefühle, die natürlich nicht gezeigt werden dürfen, aber in abnorme Leistungsenergie transformiert werden können.
Alle Leistungsmenschen aus Vatermissbrauch erleiden
eine schwere Krise, wenn die gewohnten Erfolge durch Alter,
Krankheit, Pech und Unglück und siegreiche Konkurrenten
verlorengehen. In der kapitalistischen Normopathie ist ja mitunter schon ein 2. Platz scham- und schuldbehaftet. Das Verhältnis von Anspannung und Entspannung, von Leistung und
Erholung, von Egoismus und Gemeinschaft, von geforderten
Ergebnissen und realen Möglichkeiten ist einseitig auf den Anspruchspol ausgerichtet. Der damit verbundene Stress ist die
Quelle für einen aggressiven Gefühlsstau, der einerseits durch
Überforderung selbstverletzend ist und andererseits feindselige
Einstellungen zu allen Konkurrenten aufbaut. Der Weg in die
Kriegslust ist dann nicht mehr weit, wenn die aufgenötigten
Erfolgsbemühungen durch „Feinde“ behindert werden. Dann
116

ergeben sich mögliche „Objekte“ oder Situationen, gegen die
man seinen aufgestauten Anspruchsfrust abreagieren kann.
Und ein vatermissbrauchter Soldat findet im Offizier und in
einer Befehlslage die Verhältnisse wieder, die seiner abnormen
Lebenserfahrung entsprechen: Siegesehrgeiz – schonungslose
Selbstopferung – gnadenloser Konkurrenzkampf, der im Krieg
sogar Töten und Zerstören ermöglicht.
Zusammenfassung: Die durch Väter erzeugten Konflikte sind
Gefühlsstau-Produzenten. Hemmung, Erpressung, Vernachlässigung und Überforderung schufen ein aggressives Potential,
das jeder Kriegsherr als Vaterersatz mit Eifer gegen einen erklärten Feind führen kann – mit doppeltem Gewinn für den
Geführten: aggressive Abfuhr unter Schonung des eigentlichen
Verführers.
Wer Entfremdung und Gefühlsstau durch elterliche und
fremderzieherische Beziehungsstörungen versteht, der wird
sich nicht mehr wundern, wie aus gehemmten, ergebenen,
passiven und erfolgsgestressten Menschen belliphile Monster werden können. Das staunende öffentliche Entsetzen über
einen Amoklauf oder eine unerwartete kollektive Kriegsbefürwortung – trotz jahrzehntelanger Beschwörung „Nie wieder
Krieg!“ – verweist auf den Mangel an Beschäftigung mit den
Ursachen. Man könnte es durchaus besser wissen – wenn man
denn wissen wollte, wie versteckte belliphile Verstörung durch
Frühtraumatisierung entsteht. So aber bezeugt das verständnislose Entsetzen über Gewalteruptionen die tragische, aber
destruktive Abwehr des Wissen-Wollens.

117

Friedensfähigkeit
durch gute Eltern

In meiner psychotherapeutischen Arbeit sind die frühen elterlichen Beziehungsstörungen zum Kind zentraler Inhalt der therapeutisch notwendigen Analysen. Ihren Einfluss auf Kriegslust
habe ich ausführlich dargestellt. Die Beziehungsqualitäten, die
Kinder friedensfähig machen und die sich Menschen rückblickend auf ihre Kindheit wünschen, lassen sich als das Gegenteil
der frühen Beziehungsstörungen definieren:
statt Mutterbedrohung
statt Mutterbesetzung
statt Muttermangel
statt Muttervergiftung
statt Vaterterror
statt Vatererpressung
statt Vaterflucht
statt Vatermissbrauch

⟹
⟹
⟹
⟹
⟹
⟹
⟹
⟹

Mutterannahme
Mutterfreiheit
Mutterliebe
Mutterbestätigung
Vaterannahme
Vaterfreiheit
Vaterförderung
Vaterverständnis

Diese hilfreichen, bestätigenden und entwicklungsfördernden
Beziehungsfähigkeiten habe ich schon ausführlicher beschrieben.50

50 Hans-Joachim Maaz, „Hilfe gegen Selbstentfremdung“: in „Angstgesellschaft“, Verlag Frank & Timme, Berlin 2021. Ders., „Mütterliche und väterliche Beziehungsqualitäten als Grundlage der Entwicklungspsychologie“,
in: Inés Brock (Hrsg.) „Wie die Geburtserfahrung unser Leben prägt“,
Psychosozial-Verlag, Gießen 2018.

119

Ich will begründen, weshalb die positiven mütterlichen und
väterlichen Beziehungsqualitäten nicht nur die Grundlage für
eine gesunde Entwicklung der Kinder sind, sondern auch die
Voraussetzung für eine prinzipielle Friedensfähigkeit fürs ganze
Leben.

C. Friedensfähigkeit als Ergebnis
der guten Mütterlichkeit
1. Mutterannahme vermittelt dem Kind vom Lebensanfang
an: Du bist willkommen! Du bist berechtigt! Dein Leben ist
gewollt und prinzipiell gewürdigt! Ein Mensch mit dieser sicheren Lebensbasis wird alle Lebensbelastungen mit Optimismus und Hoffnung bestehen. Er ist grundsätzlich mit sich im
Frieden und damit selbstverständlich auch mit allen anderen
Menschen, auch mit allen Tieren und Pflanzen und allen natürlichen Verhältnissen. Menschen, die etwas Böses tun, werden
nicht verurteilt und bekämpft, sondern offen befragt, was sie
wohl so negativ, destruktiv handeln lässt, denn das muss eine
Ursache haben. Der lebensbejahende Mensch ist überzeugt,
dass ein Mensch, der feindselig ist, Opfer sein muss und Hilfe
und Verständnis braucht. Tätern wird allerdings auch die Verantwortung für böses Handeln zuerkannt, die nur bei schwerer
psychischer Erkrankung eingeschränkt oder aufgehoben ist.
Ein Leben im Bemühen, mit der Natur im Einklang zu leben,
natürliche Lebensbedingungen für das Tierwohl zu fordern, soziale menschliche Konflikte lösen zu wollen, soziale Ungerechtigkeit aufzulösen, systemisches Denken, Naturmedizin und ein
Interesse an energetischen, informativen und spirituellen Prozessen sind Selbstverständlichkeiten. Erlebte Mutterannahme
120

ist die wichtigste Basis für Friedensfähigkeit. Eine Kriegslust ist
grundsätzlich ausgeschlossen.
2. Mutterfreiheit: Das Kind erlebt von Anfang an einfühlendes
Verständnis, es sieht sich gespiegelt und erkannt und in seinem
unverwechselbaren Sein grundsätzlich bestätigt. Die besondere
Herausforderung an die Mutter ist, dass sie auch zu einer akzeptierenden Resonanz für Fremdes in ihrem Kind fähig ist. Es geht
dabei um die prinzipielle Bejahung von Andersartigkeit durch
die Mutter, was aber nicht ihre Verunsicherung, ihre Kritik
fähigkeit, ihre Bereitschaft zur Auseinandersetzung ausschließt.
Eine ungeprüfte Zustimmung für unbekanntes bis befremd
liches Verhalten ohne Verstehen kann ebenso entwicklungs
störend sein wie eine grundsätzliche Ablehnung kindlicher
Eigenheiten. Andersartigkeiten sind immer eine Herausforderung, das Besondere und Einmalige daran verstehen zu lernen
oder darin auch ein frühes Symptom einer bereits erfolgten
Frühstörung zu erkennen.
Die erlebte Freiheit für die eigene Existenz bedeutet ja auch
die Bestätigung einer Einmaligkeit. Ein solcher Mensch hat keine Angst vor anderen „Einmaligkeiten“, sondern ist neugierig,
bestätigend, hegt Anerkennung für anderes, weil er es selbst
auch so erfahren hat. Damit ist Friedfertigkeit gesichert und
Kriegslust ausgeschlossen. Es besteht die Überzeugung – aus
eigener tiefer Erfahrung – von der Möglichkeit einer Welt freier
Menschen: gleichberechtigt, einzigartig, andersartig und friedfertig.
3. Mutterliebe: Mutterliebe ist die einzige bedingungslose Liebe:
Ich liebe dich, weil du mein Kind bist! Mutterliebe vermittelt:
Ich bin für dich da! Ich versorge dich zuverlässig! Ich bin be121

müht, dich zu verstehen! Ich bestätige deine Einzigartigkeit!
Ich akzeptiere deine Besonderheiten, auch das mir Fremde! Ich
beschütze dich! So erfährt das Kind Bestätigung, Anerkennung,
Versorgung, Schutz und Trost nur für seine Existenz, nicht für
Leistungen oder muttergefälliges Verhalten. Das Kind macht
die Erfahrung, es muss nicht für die Mutter da sein, sondern die
Mutter ist selbstverständlich für das Kind da. Das heißt auch,
das Kind ist nicht zur Dankbarkeit für Mutters Dienste und ihre
Aufopferung verpflichtet, sondern die Mutter dankt dem Kind
ihre Mutterschaft als wesentliche Sinnerfüllung.
Die biblisch-mythologische Gestalt der Lilith steht für Kinderfeindlichkeit. Mit dem „Lilith-Komplex“51 will ich darauf
aufmerksam machen, dass Mütterlichkeit immer auch begrenzt
ist, weil jede Mutter natürlich auch noch egoistische, partnerschaftliche, sexuelle, arbeitsbedingte und berufliche Bedürfnisse und Interessen hat. Am Anfang ihrer Mutterschaft wird sie
allerdings durch eine sogenannte „Mutterschaftskonstellation“52
auch hormonell, z. B. durch Oxytocin, das auch als Liebes- und
Bindungshormon53 bezeichnet wird, unterstützt, ihre komplexe
neue Situation leichter kindorientiert annehmen zu können.
Der Lilith-Komplex meint die Verleugnung der Grenzen der
Mütterlichkeit: sich nicht einzugestehen und abzustreiten, dass
der Anspruch, nur noch zu 100 Prozent Mutter zu sein, viel zu
absolut ist. Damit einher geht die Unfähigkeit oder moralische
51 Hans-Joachim Maaz, „Der Lilith-Komplex“, Verlag C.H.Beck, München
2003. Den Lilith-Mythos greife ich weiter unten im Kapitel über „feministische“ Kriegslust noch einmal auf.
52 Daniel Stern, „Die Mutterschaftskonstellation“, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1998.
53 Louanne Brizendine, „Das weibliche Gehirn“, Goldmann-Verlag, München
2008.

122

und ideologische Scheu, dem Kind die eigene Begrenzung der
Mütterlichkeit zu gestehen.
Die gute Mutter wird dem Kind aber ihre mütterliche Begrenztheit als ihr Problem liebevoll vermitteln und damit das
wesentliche Lebensthema der Begrenzung als natürlich und
selbstverständlich erfahren lassen. Der „Lilith-Anteil“ der
Mütterlichkeit sollte in Ich-Botschaften mit Erklärungscharakter vermittelt werden: „Ich kann jetzt nicht, weil …!“ „Ich
bin jetzt überfordert, weil …!“ „Ich muss jetzt mal an mich
denken, weil …!“ Stattdessen wird das Kind häufig mit Schuldzuweisungen belastet: „Du bist unmöglich!“ „Du willst zu viel!“
„Das musst du doch einsehen!“ „Du musst auf deine Mutter
Rücksicht nehmen!“ Solche Du-Botschaften verletzen das Kind,
dagegen vermitteln Ich-Botschaften dem anderen, schuldlos zu
sein, und sie sind frei von Aggressivität. Wahrheiten und Realitäten der mütterlichen Begrenzung, die das Kind sowieso erleiden wird, sind leichter nachvollziehbar. Wenn sodann auch
die Gefühle der Enttäuschung und Empörung des Kindes bei
unvermeidbar begrenzter Mütterlichkeit zugelassen werden,
muss es keinen Gefühlsstau entwickeln, wie er aber unweigerlich entsteht, wenn das Kind eine Begrenzung erfährt, an der es
schuld sein soll. So entscheidet auch der Lilith-Komplex über
Friedensfähigkeit oder Kriegslust.
Mütterliche Einstellung für Friedensfähigkeit: „Ich bin jetzt
leider nicht ganz für dich da, das tut mir leid und es ist in Ordnung, wenn du traurig und ärgerlich bist: Weine, mein Kind;
schimpfe, mein Kind!“ Das Kind bleibt mit der Gefühlsent
ladung zur unvermeidbaren Bedürfnisbegrenzung realitätsverbunden, psychisch gesund und friedensfähig.
Mütterliche Einstellung, die zur Kriegslust führt: „Du bist
mir jetzt zu viel. Du bist lästig! Nimm gefälligst Rücksicht! Das
123

musst du einsehen! Du verlangst zu viel! Sei nicht so anspruchsvoll! Heul nicht, brüll nicht rum – das bringt sowieso nichts,
sondern macht nur alles noch schwerer!“ Das Kind fühlt sich
schuldig, abgewiesen und belehrt. Das Kind muss glauben, es
sei nicht richtig und darf sich in der Regel auch emotional nicht
entladen bzw. wird noch zusätzlich verletzt, wenn seine Gefühle
nicht akzeptiert werden. Mit der Kränkung und dem Gefühlsstau wird die Grundlage für Kriegslust erzeugt.
Ganz anders die von der Mutter vermittelte Liebe: „Ich sorge dafür, dass es dir gut geht!“ Durch sie erfährt das Kind, was
Liebe bedeutet: einfühlen, verstehen, bestätigen, befriedigen
und – bei unvermeidbarer Begrenzung – die eigene Begrenztheit erklären und entschuldigen und die emotionale Realität
akzeptieren.
So wird die prinzipiell vorhandene Liebesfähigkeit erweckt,
gelehrt und geübt. Ein geliebtes Kind erfährt eine grundsätzliche Lebensbefriedigung und wird dadurch selbst liebesfähig
und damit prinzipiell friedensfähig. Mutterliebe sättigt das narzisstische Grundbedürfnis: ich bin o.k., ich bin wertgeschätzt,
so wie ich bin! Damit kann sich keine ewige Suche nach dem
Glück, keine unendliche Sehnsucht nach dem liebenden Partner kompensatorisch entfalten und schließlich immer wieder
nur Enttäuschung provozieren. Liebes-Sehnsucht heißt zu
Recht „Sucht“!
Der liebesgesättigte Mensch aber liebt sich selbst und
kennt realitätsgerechte Begrenzungen und eröffnet damit eine
Chance, bei anderen Menschen Liebe zu erfahren und zu erwidern. Leider gibt es auch ungeliebte Menschen, die zu verhindern wissen, geliebt zu werden, um nicht an ihre Verletzung des ungeliebten Lebens erinnert zu werden. Liebes- und
Friedensfähigkeit sind allerdings keine Garantie für liebevolle
124

Beziehungen oder erfolgreiche Friedensgespräche, denn dazu
gehören zwei, und es wird schwierig, wenn der Beziehungsoder Verhandlungspartner auf Kriegspfaden ist. Aber die eigene
Friedensfähigkeit eröffnet eine entscheidende Chance, dass unbefriedigte Beziehung oder erfolglose Friedensverhandlungen
nicht in Kriegslust münden, denn der Liebende hat für Gewalt
keinen Gefühlsstau.
4. Mutterbestätigung: Eine bestätigende Mutter will nicht, dass
ihr Kind nach ihrer Pfeife tanzt. Sie ist interessiert und neugierig, wie ihr Kind ist und sich entwickeln möchte; sie sieht
und akzeptiert auch Seiten an ihrem Kind, die ihr selbst nicht
gefallen. Natürlich ist es mitunter schwierig, originäre Eigenarten und Besonderheiten des Kindes von bereits gelernten
Fehlhaltungen und Manipulationsbemühungen gegenüber
der Mutter zu differenzieren. Die mütterliche Grundhaltung
ist: Sei, wie du wirklich bist, und werde, wer du sein kannst
und willst. Sie vermittelt keine vergiftete Botschaft: „Ich hab
dich (nur) gern, wenn du spürst, was ich brauche, wenn du tust,
was ich dir sage, und dich auf meine Wünsche, Bedürfnisse und
Möglichkeiten einstellst.“ Sondern das Kind soll sich verstehen
lernen und in seinem Sosein bestätigt werden, um sich gut nach
seinen Möglichkeiten entwickeln zu können. Das Kind wird
in seiner Selbsterkenntnis gefördert und bestätigt, es soll kein
Mutterversteher werden. So lernt das Kind gut, wer es ist, was
es will und kann und was nicht, es erwirbt eine notwendige
Selbstorientierung für sein Leben und ist nicht mehr abhängig
davon, fremden Einfluss zu brauchen, um sich im Leben zurechtzufinden. Mit der Selbstbestimmung korreliert auch der
Schutz vor Manipulationen. Werbung und Propaganda haben
dann wenig Chancen.
125

Ein gesundes Leben entfaltet sich immer in Autonomie
und Abhängigkeit. Die Selbstständigkeit wird bei früh mutter
bestätigten Kindern später überwiegen. Aber auch, sich ein- und
unterzuordnen oder Rat und Hilfe anzunehmen ist überhaupt
kein Problem, weil die selbstbewusste Autonomieerfahrung
sicher ist und von daher Gemeinschaft oder Beziehung nicht
als Einengung erlebt werden, sondern als Ergänzung und Bereicherung. Die Zweisamkeit zweier autonomer Menschen ist
Freiheit und Ergänzung, Erweiterung und Rücksichtnahme.
Die Partnerschaft oder Freundschaft autonomer Menschen ist
übertragungsarm, d. h. man kann gut alleine leben, kann gut
selbstständig sein und überträgt auf einen Partner oder Freund
weder unerfüllte Sehnsüchte noch übertriebene Enttäuschungen.
Allein-Sein und Zusammen-Sein sind zwei unterschied
liche Bedürfnisse, die beide nach individuellem Bedarf gewählt werden sollten. Bleibe nicht allein, weil du Beziehung
scheust und Verletzung, Kränkung, Manipulation fürchtest.
Und halte nicht an einer Beziehung fest, weil du bedürftig-
abhängig geblieben bist oder Streit brauchst und deshalb nicht
alleinbleiben magst. In beiden Fällen ist Beratung oder Therapie zu empfehlen. In Helferberufen sind nicht selten „Mutterversteher“ tätig. Mit der aufgenötigten Orientierung auf Mutters Bedürfnisse ist die damit erworbene „Einfühlung“ keine
wirkliche Empathie, die ja eine gute Selbstwahrnehmung
bräuchte. Ein „Mutterversteher“ steckt immer im Gefühlsstau
und ist unter der sozialen Maske des Helfers in der eigenen
seelischen Tiefe belliphil. So entartet die Zuwendung gerne
in besitzergreifende Manipulation und erzeugt Abhängigkeit:
Der hilfsbedürftige Mensch kann/soll nicht wirklich reifen
und selbstständig werden. Oder für den Helfer müssen immer
126

wieder viele und neue Menschen in Not gefunden werden,
um die eigene unerfüllte Muttersehnsucht als „Mutterbediener“ unendlich auszutragen. Das ist auf Dauer selbstschädigend (mit einem „Burn-out“ als Folge) und fremdschädigend
(der Befürsorgte bleibt abhängig und erfährt keine Hilfe zur
Selbsthilfe). Der im Helfen häufig unterdrückte und kompensierte Gefühlsstau macht Helfer mitunter zu ideologisch-
moralischen Kämpfern aus versteckter Belliphilie, wenn ihre
Rettungsbemühungen kritisch befragt werden. Wird beispielsweise die humane Seenot-Rettung darauf hingewiesen,
dass sie eine ausgesprochen inhumane Schleuser-Kriminalität
befördert, oder wird gefordert, dass das großartige Asylrecht
vor einem umfangreichen Missbrauch geschützt werden muss,
dann gibt es schnell böses Blut.
Die Gefühlsstau-Energie wird vor allem von Angst und
Ideologie wie ein Schwamm aufgesaugt und pathologisch transformiert. So kann Angst zu irrealen Verteidigungsanstrengungen führen (siehe Anti-Corona-Maßnahmen) und Ideologie als
eine moralisierende Keule gegen Kritiker eines realitätsfernen
Verhaltens (siehe Migrationspolitik) benutzt werden.
Dagegen ist der mutterbestätigte Mensch ein Friedensmensch. Er kennt und schätzt seine Selbstständigkeit, die ihm
emotionale Freiheit sichert, und wünscht sich den bereichernden Kontakt zu ebenso autonomen Menschen. Das Bedürfnis
zu manipulieren, zu beherrschen oder andere zu unterdrücken
bleibt ihm fremd. Es gibt keine Chance, in ihm Kriegslust zu
entfachen.
Ich fasse zusammen. Die gute Mütterlichkeit vermittelt und
ermöglicht:

127

• Du bist berechtigt.
• Du bist frei.
• Du bist geliebt.
• Du bist selbstständig.
Das sind Grundlagen für eine prinzipielle Friedensfähigkeit. Sie
schaffen auch die Bereitschaft, sich für Frieden zu engagieren.
Kriegerische Bedrohungspropaganda, die Furcht vor Besatzung
oder Unterdrückung, die Angst vor Ablehnung, die Drohung,
abhängig gemacht zu werden, mögen das Leben belasten und
einschränken, können aber nicht wirklich belliphile Gelüste
auslösen, sondern höchstens eine äußere Anpassung erzwingen. Die innere Unabhängigkeit bleibt bewahrt. Eine Chance
für kleinste und subversive Freiheiten bleibt immer.

D. Friedensfähigkeit als Ergebnis
guter Väterlichkeit
1. Vaterannahme: Hier ist der Vater grundsätzlich dafür, dass ein
Kind kommt. Er will das Kind – egal, ob es gewollt gezeugt oder
die Partnerin unerwartet schwanger geworden ist. Er will das
Kind. Ob es ein Mädchen oder ein Junge wird, muss ihm nicht
egal sein, aber er hat eine positive Einstellung: Neues Leben und
Vaterschaft sind wichtiger als das Geschlecht des Kindes. Er bereitet sich innerlich auf die Vaterrolle vor, verschafft sich über
die finanziellen Möglichkeiten einen Überblick, macht sich Gedanken über die veränderten Lebensbedingungen und partnerschaftlichen und familiären Verhältnisse. Er übermittelt dem
Kind Vaterinteresse und Vaterfreude. Er spielt und scherzt mit
dem Kind und macht Angebote, damit das Kind Neues kennen128

lernen, probieren und riskieren kann. Der Vater will sein Kind
in seinen Möglichkeiten, Talenten und Begrenzungen kennenlernen, um es bestätigend und förderlich zu unterstützen.
Die Bedeutung der Väterlichkeit wächst mit dem Heranwachsen des Kinders. Der Vater kann natürlich die Mutter auch
durch eigene Mütterlichkeit unterstützen und ergänzen, aber
die eigentlichen väterlichen Aufgaben sind der primären Mütterlichkeit entwicklungspsychologisch nachgeordnet mit der
spezifischen Aufgabe, das Kind aus dem sicheren mütterlichen
„Hafen“ allmählich in die Welt zu führen und auf die Stürme
und Belastungen des Lebens gut vorzubereiten. Das vom Vater gewollte und angenommene Kind wird nicht durch den
Konflikt – Behinderung, Abwertung, Einschüchterung durch
den Vater und des eigenen Expansionswillens – in seiner Entwicklungspotenz eingeschränkt, sondern zur Entdeckung und
Entfaltung seiner Möglichkeiten ermutigt.
Die potentielle Belliphilie aus dem Gefühlsstau eines Vaterterrors kann sich nicht herausbilden, stattdessen aber das
Friedensinteresse für eine freie Expansionslust. Vaterannahme
vermittelt den Wunsch nach freiem Wachstum mit kreativen
Entwicklungschancen und ist Friedensarbeit.
2. Vaterfreiheit: Der Vater lässt das Kind frei, seinen Lebensweg zu finden und zu gehen. Natürlich ist der Vater beispielgebend, ein Vorbild, das man nachahmen möchte. Der Vater
übermittelt ganz selbstverständlich seine Lebensform mit all
den alltäglichen, aber auch moralischen, religiösen, ökonomischen, politischen und ideologischen Implikationen – ob
er dies will oder nicht. Das Kind lernt sprechen durch die
„Muttersprache“ und lernt das Leben verstehen und gestalten durch „Vaterhandeln“. So übernimmt das Kind nicht nur
129

den Dialekt, sondern auch elterliche Fähigkeiten, desgleichen
ihre Störungen und Eigenarten. Das Lernen durch Imitation
ist eine große Entwicklungshilfe. Die guten Eltern werden
immer auch ihre eigenen Behinderungen beachten. Und der
gute Vater wird mit der Überzeugung, sein Kind sei neues
und somit immer auch andersartiges Leben, seine Einstellungen zur Diskussion bringen und auch infrage stellen lassen.
Vaterfreiheit geht von einem freien Vater aus, der seine Überzeugungen und Lebenseinstellungen selbst immer wieder prüft
und gegebenenfalls korrigiert. Er weiß, dass es keine absoluten
Wahrheiten gibt und dass Meinungen von verborgenen seelischen Bedingungen und sozialen Einflüssen beeinflusst werden. So wird er nicht Entscheidungen und Verhaltensweisen
beim Kind erzwingen wollen, aber eine redliche, gewaltfreie
Auseinandersetzung zu allem anregen und ermöglichen. Damit
kann er selbst sein Kind besser kennenlernen, für sich selbst
neue Erfahrungen machen und die subjektive Dynamik allen
Seins vermitteln. Das Kind bleibt frei für seinen Lebensweg,
zugleich aber unterstützt, ermutigt und zur kritischen Auseinandersetzung ermächtigt. Das Kind lernt Demokratie als freie
Kommunikation – kein Demokratie-Spiel, bei dem Positionen
übernommen werden müssen. Vaterfreiheit lehrt Demokratie,
und damit Friedensfähigkeit – Vatererpressung zwingt in eine
Rolle im Demokratie-Spiel und damit immer auch in eine reaktive Kriegslust. Vatererpressung zwingt mit dem Gefühlsstau
das Kind in den ständigen Konflikt zwischen Gehorchen, Folgen und Sich-Befreien, Ablösen und Eigene-Wege-Gehen. Dieser Konflikt ist belliphil. Vaterfreiheit erzeugt keinen solchen
Konflikt, sondern ermutigt zu dem Bemühen, das Eigene zu finden und zu gestalten – und das braucht Friedensbedingungen.

130

3. Vaterförderung: Auch der Vater steht in der Verantwortung,
Beruf und Familie gut zusammenzubringen. Das Väterliche ist
in seiner Bedeutung für das Kind auf der Zeitachse der Entwicklungspsychologie zwar dem Mütterlichen nachrangig, aber
inhaltlich sind mütterliche und väterliche Aufgaben natürlich
gleichrangig. Und eine zentrale väterliche Verpflichtung besteht
darin, die Möglichkeiten und Begrenzungen seines Kindes, die
Begabungen und Abneigungen zu erkennen und das Mögliche
optimal zu fördern, aber auch das Notwendige zu vermitteln.
Der gute Vater regt an, ermutigt, macht Vorschläge, unterstützt,
übt, bietet verschiedene Wege, zeigt Alternativen, nennt angemessene Ziele, bestätigt, kritisiert und lobt. Es geht um lebenspraktische Aufgaben, um Wege und Möglichkeiten, um
Verantwortung und Pflicht, um Programme und Strukturen.
Der Vater spiegelt die Möglichkeiten des Kindes, hilft beim
Trainieren, bei der Schulung der Kompetenzen und Lebensnotwendigkeiten.
Der Vater ist unvermeidbar – ob er es will oder nicht – ein
Vorbild, ein Lehrer, die Autorität für das Kind. Eine Vorbildfunktion umfasst automatisch das Gute wie das Schlechte, das
sollten Väter immer bedenken. Und wenn sie in der „Vaterflucht“ zwar die Welt retten wollen54 und deshalb wenig Zeit
54 Der Singer-Songwriter Tim Bendzko hatte sicherlich nicht an die Beziehung eines Vaters zu seinem Kind, sondern an Mann und Frau gedacht,
als er „Nur noch kurz die Welt retten schrieb“ (2011). Aber sein Song
bringt den männlichen Flucht-Modus wunderbar auf den Punkt. Hier
nur der Anfang: „Ich wär so gern dabei gewesen / doch ich hab viel zu
viel zu tun / lass uns später weiterreden / Da draußen brauchen sie mich
jetzt / […] Muss nur noch kurz die Welt retten / danach flieg ich zu dir /
Noch 148 Mails checken / wer weiß / was mir dann noch passiert.“ Immer
wieder hörenswert, online etwa auf Youtube: https://www.youtube.com/
watch?v=4BAKb2p450Q.

131

und Interesse an „Vaterförderung“ haben, wird ihr schlechtes
Vorbild ein Kränkungspotential, dem Vater nichts wert zu
sein, entstehen lassen, das auch alle Mühen notwendiger bis
lustvoller Lebensgestaltung entwertet. Der durch „Vaterflucht“
Enttäuschte und Alleingelassene wird passiv „abhängen“ und
sich gelegentlich Vorbilder suchen, die etwas fordern und am
besten sogar befehlen. Ein solches belliphiles Risiko wird ein
väterlich gut gefördertes Kind nie erleiden, da die unterstützte
Ausgestaltung der Talente und Lebensnotwendigkeiten eine
positive Sinnerfahrung bedeutet, die dem eigenen Leben eine
erfüllende Einordnung in Soziales und Gemeinschaftliches ermöglicht. Der geförderte Mensch will und braucht Frieden,
um das Gefundene, Gewonnene und Entwickelte kreativ ausgestalten zu können. Jetzt werden die belliphilen Menschen
einwenden, dass es auch eine „Kriegskunst“ gibt, in der man
sich talentiert und kreativ ausleben kann. Ja, in der Tat! Der
entscheidende Unterschied ist die Zielstellung: Tod oder Leben!
Das Schicksal des väterlich ungeförderten Kindes ist es, ein
passives, kampfloses, gleichgültiges, bequemes, träges, untätiges, faules, unbeteiligtes, desinteressiertes, anteilloses Leben zu
führen, sich „mütterlich“ weiter versorgen lassen zu wollen (von
Partnern und Partnerinnen, von Helfern und sozialen Institutionen) und sich von irgendwelchen Vaterfiguren verführen zu
lassen. Und da spielt „Kriegslust“ wegen des Gefühlsstaus der
Enttäuschungswut eine wesentlich größere Rolle als Hoffnung
und Vertrauen in einen Ersatzvater mit friedfertigen, sozialkonstruktiven Zielen. Der väterlich gut Geförderte braucht im
Wesentlichen keine Ersatzväter, er hat gelernt, sich selbst zu
bevatern. Und hat er bei allen neuen, unbekannten oder nicht
zur eigenen Kompetenz zählenden Aufgaben einen durchaus
wünschenswerten Bedarf nach Väterlichkeit, wird problemlos
132

und selbstverständlich eine konstruktive, beziehungskulturelle
gewählt.
4. Vaterverständnis: Diese väterliche Aufgabe und Funktion
meint vor allem das Verständnis für vermeintliche Defizite,
besser gesagt: für immer nur begrenzte Fähigkeiten und zu begrenzende Ziele. Der Vater fördert, indem er Begabungen erkennt und befreit und zugleich Leistungen anerkennt und eine
unvermeidbare Begrenztheit in jeder Hinsicht respektiert und
als normal bestätigt. Es ist ein schmaler Grad zwischen angemessener Unterstützung und väterlichem Ehrgeiz. Der narzisstisch geprägte Vater will auch mit den Erfolgen seines Kindes
angeben, macht das Kind zu einem Objekt seiner ungestillten
Bedürftigkeit, hat keine Empathie für das Erleben des Kindes,
wenn z. B. die Leistungslust in Leistungsfrust umschlägt. Vaterverständnis dagegen erspürt einen Leistungsfrust und versteht
einfühlsam, eine immer noch mögliche und hilfreiche Ermutigung von einer ehrgeizigen Antreiberei zu unterscheiden.
Vatermissbrauch hingegen kennt (fühlt) keine Begrenzung,
erzeugt übertriebenen Ehrgeiz und mit jedem Erfolg auch
Frust über zu große Anstrengungen und die Angst vor dem
Versagen. Dagegen vermittelt Vaterverständnis eine individuelle Anerkennung und stabilen Erfolgsstolz im realitätsgerechten Rahmen des Möglichen. Das sichert Zufriedenheit mit der
eigenen Leistung und Lebensgestaltung, das erlaubt Erholung
und Entspannung im natürlichen Rhythmus von angemessener
Aktivität und selbstverständlicher Passivität. Die Vaterbestätigung hilft herauszufinden, wann, welche, wie viel Aktivität und
Passivität stimmig sind.
Die väterliche Vermittlung, dass Begrenzung unvermeidlich ist, entlastet und ermöglicht einen inneren Schutz gegen
133

alle narzisstischen Antreiber. Jeder Mensch kann in seinen Fähigkeiten wachsen. Wer um die Grenzen des Möglichen weiß
und sie akzeptiert, wird alles Lebendige in seiner Dynamik von
Werden und Vergehen verstehen und annehmen lernen. Die
väterliche Bestätigung von Begrenzung verhindert pathogenen
Leistungswahn (häufig als Liebesersatz!), der gepaart ist mit
belliphilem Konkurrenzdenken und -verhalten, und fördert
ein befriedigendes Leben im ständigen Auf und Ab von Anstrengung und Entspannung in grundsätzlicher Friedfertigkeit.
Der Getriebene zieht in den Krieg, der Zufriedene genießt das
Leben in Frieden.
In summa: Vaterannahme, Vaterfreiheit, Vaterförderung und
Vaterbestätigung generieren Friedensfähigkeit durch die Vermittlung einer persönlich stimmigen Lebensform. Stimmigkeit
wiederum schafft Zufriedenheit, und Zufriedenheit bedeutet
Frieden.

134

Kriegslust – Mutters Schuld
und Vaters Werk

Ich weiß, diese Kapitelüberschrift ist eine schwer annehmbare
Aussage, sicher etwas ungerecht, aber eben auch eine tragische,
bittere Wahrheit. Ich will es nochmal zusammenfassend begründen.
Zur Belliphilie gehören ein Gefühlsstau, eine Krisensituation
und eine Nötigung.
Die frühen Mütterlichkeits- und Väterlichkeitsstörungen
verursachen eine psychosoziale Kränkung und Verletzung und
damit unvermeidliche Gefühle von Empörung, Wut und Hass,
die in der Regel nicht offen gezeigt und ausgetragen werden
dürfen, sondern zurückgehalten, unterdrückt und verborgen
werden müssen. Ersatzweise kann etwas von ihrer Energie in
Erkrankungen, psychosomatischer Symptomatik und Verhaltensstörungen abgeführt werden. Die heftigsten Aggressionen
entstehen nachvollziehbar durch frühe Bedrohung („Mutterbedrohung“) und autoritäre Einschüchterung („Vaterterror“).
Dabei gibt es aber einen wichtigen Unterschied:
Bei Borderline-Störung durch „Mutterbedrohung“ fehlt
zumeist die strukturelle Fähigkeit, das affektive Verhalten zu
bremsen und zu steuern, so dass es zu Impulsdurchbrüchen
bei Kränkungen kommen kann. Der Frühbedrohte sucht oder
provoziert Situationen, um sich aggressiv abreagieren zu können. Das erscheint dann als Konfliktunfähigkeit, als Streit- und
Kampflust, als emotionale Instabilität.
Anders der gehemmte Mensch bei „Vaterterror“. Er hat Beherrschung lernen müssen auf Kosten einer kreativ-expansiven
135

Entwicklung. Dieser Gehemmte muss zur Aggression angeregt,
mitgenommen, aufgefordert und ermutigt werden, wobei eine
Befehlslage die besten Voraussetzungen herstellt. Bei mütterlicher Frühbedrohung fehlt am Ende die Regulationsfähigkeit,
bei väterlichem Terror muss die Struktur der Einschüchterung
durch äußere Einflüsse aufgebrochen werden.
Menschen mit Gefühlsstau durch Besetzung und energetischen Missbrauch („Mutterbesetzung“), durch die Selbstwertstörung bei Liebesmangel („Muttermangel“), durch die erzeugte
Abhängigkeit bzw. verhinderte Autonomie bei „Muttervergiftung“ finden sozial relativ günstige Schutz- und Kompensationsmöglichkeiten: der Schizoide („Mutterbesetzung“) durch
Rückzug in seine Welt, die in einer pluralistisch-freiheitlichen
Gesellschaft auch gut gefunden werden kann. Der mit Minderwertigkeitskomplex und Selbstunsicherheit beladene Narzisst
(„Muttermangel“) kann in einer kapitalistisch-narzisstischen
Normopathie durch Leistungssucht und Konkurrenzkampf
permanent aggressiven Gefühlsstau sublimiert abführen. Die
Sublimation ist nicht weniger destruktiv als offene Gewalt.
Die „kultivierte“ Gewalt des Narzissmus ist auch destruktiv,
sie macht Stress-Erkrankungen, zerstört Menschlichkeit und
ruiniert die Natur. Der narzisstische Leistungserfolg ist immer
nur ein Pyrrhussieg. Und der abhängig Gebliebene („Muttervergiftung“) findet in der stets bereiten Anpassung im Privaten, Sozialen und im gesellschaftlich-politischen Mainstream
seinen Mitläufer-„Frieden“.
Die Abhängigkeitsstörung der „Muttervergiftung“, die jederzeit gewaltbereite Einschüchterung durch „Vaterterror“,
der Zwang durch „Vatererpressung“, die orientierungslose
Verweigerung durch „Vaterflucht“ und natürlich der Überforderungsstress durch „Vatermissbrauch“ liefern Energie für
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Kriegslust. Die Empörung gegen die Mutter, auf ihre Bedürfnisse und Erwartungen abgerichtet worden zu sein, der Hass
gegen Vaters Unterdrückung, Erpressung und unbegrenzten
Leistungsanspruch sowie die Kränkung wegen des väterlichen
Desinteresses suchen ständig nach real oder phantasiert schuldigen „Objekten“, an denen man sich abreagieren kann. Das
bieten im alltäglichen Leben ein enttäuschender Partner oder
unzuverlässiger Freund, ein unangenehmer Nachbar, der dominante Vorgesetzte, ein betrügender Handwerker, der unempathische Experte und jeder politisch, moralisch, religiös Andersdenkende. Die mediale Vorliebe für schlechte Nachrichten,
das genüsslich-voyeuristische Aufbereiten von Katastrophen,
das sensationslüsterne Zubereiten menschlichen Versagens zu
Skandalen sind die übliche mediale Unkultur der destruktiven
Verarbeitung von Gefühlsstau. Die strukturelle Gewalt einer
kapitalistischen Wachstums- und Leistungsgesellschaft ist
praktisch nur möglich, wenn die Mehrheit der Kinder durch
entsprechende Traumatisierung in den Gefühlsstau gebracht
wird, der sich dann gewollt und gefördert sozial austoben kann.
In diesem gesellschaftlichen Überlebenskampf verschafft
die politisch gewollte und bedachte Spaltung in Arm und Reich
dem Gefühlsstau ein permanentes Ventil: Der Arme hasst den
Reichen, der Reiche verachtet den Armen. Der Arme kämpft
um den Aufstieg, der höchstens individuell einmal gelingen
kann, aber nicht den Armen insgesamt, so dass sich an deren
prinzipieller Deklassierung nichts ändert. Der Reiche sorgt
politisch und ökonomisch dafür, dass es immer als abschreckendes Beispiel Arme geben wird, um den eigenen Stress des
falschen Lebens rationalisierend abzuwehren. Eine kapitalistisch-narzisstische Normopathie ist nur möglich, wenn für
eine massenhafte Frühtraumatisierung der Kinder politisch
137

gesorgt wird. In der Krise einer solchen Normopathie fließen
die aufgestauten Gefühle leicht gegen einen propagandistisch
aufgebauten äußeren Feind zusammen und sehen praktisch in
der Kriegslust eine Chance, um sich mit Waffengewalt in einer
Orgie des Tötens endlich abreagieren zu können.
Der Gefühlsstau, der durch frühe Ablehnung („Mutter
bedrohung“) und Abwertung („Muttermangel“), durch emotionalen mütterlichen Missbrauch („Mutterbesetzung“ und „Muttervergiftung“) erzeugt wird, hat ein sehr aggressives Potential,
weil ja keine prinzipielle Lebensberechtigung und individuelle Persönlichkeitsbestätigung vermittelt worden sind. Diese
Aggression ist wegen der frühen Störungen der Persönlichkeit
sehr leicht entzündbar, erst recht, wenn wie bei der Borderline-Störung eine fehlende Impulskontrolle hinzukommt. Bei
der tiefen Selbstwertstörung des Narzissmus, die ja ein ganzes
Lebensgebäude auf den tönernen Füßen des Größenselbst oder
im demonstrativ schwächlichen Halt des Größenklein erbaut
hat, sind zwar äußerliche Triumphe möglich, denn der Gernegroß kann in einer narzisstischen Normopathie sehr erfolgreich
in Führungspositionen aufsteigen und der Gerneklein kann es
schaffen, dass er dauerhaft von anderen versorgt wird. Aber
eine schmerzliche Erkenntnis ihres Soseins ist praktisch ausgeschlossen, weil kein Mensch sein ganzes Leben prinzipiell
infrage stellen möchte.
Das ist Mutters Schuld!
Die entwicklungspsychologisch später zur Bedeutung gelangenden väterlichen Beziehungsqualitäten können schon vorhandene
Strukturstörungen der Persönlichkeit nachhaltig verstärken oder
durch Vaterliebe etwas mildern und relativieren. Aber keine noch
so gute Väterlichkeit kann eine früheste Mütterlichkeitsstörung
138

aus Schwangerschaft, Geburt, Stillzeit und der ersten Bindungszeit unwirksam machen. Treten gar mütterliche und väterliche
Beziehungsstörungen zusammen auf, wird der mütterlich verursachte Gefühlsstau durch väterliches Wirken noch verstärkt.
Hemmung („Vaterterror“), Folgsamkeit („Vatererpressung“), die
fehlende Förderung („Vaterflucht“) und der permanente Leistungszwang („Vatermissbrauch“) erzeugen Aggressionen. Sie zu
äußern, wird im Protest gegen väterliche Macht eher einmal gewagt als gegen eine mütterliche Existenzbedrohung.
Bei halbwegs entwickelten Persönlichkeitsstrukturen erzeugen Väterlichkeitsstörungen innerseelische Konflikte:
„Vaterterror“

⟹ Konflikt zwischen auferlegter
Hemmung und gewünschter Expansivität und Kreativität
„Vatererpressung“ ⟹ Konflikt zwischen erzwungener
Folgsamkeit und gewünschter Selbstverwirklichung
„Vaterflucht“
⟹ Konflikt zwischen passivem Versorgungswunsch und aktiver, för
dernder Unterstützung
„Vatermissbrauch“ ⟹ Konflikt zwischen permanenter
Leistungsanforderung und wünschenswerter Begrenzung und Entspannung
In Friedenszeiten können die Konflikte nach beiden Seiten
mehr oder weniger – je nach den persönlichen Möglichkeiten
und sozialen Umständen – ersatzweise ausgelebt werden, ohne
die wirklichen frühen Quellen der Konflikthaftigkeit zu erkennen und zu verarbeiten.
139

In persönlicher Not, sozialer Unsicherheit, gesellschaftlicher Krise werden väterlich erzwungene Hemmungen, Unterwerfung, Folgsamkeit und Leistungszwang propagandistisch
leicht in eine bellizistische Normopathie gelenkt und können
sich endlich gegen väterliche Unterdrückung aktiv, kreativ, expansiv in männlicher Kriegsbegeisterung austoben. So werden
Kriegspläne logistisch und taktisch wie Spiele entworfen, de
struktive Waffen erfunden, die Waffenproduktion wird verbessert, das eigene Heldentum gefeiert, das Feindbild satanisch
aufgebaut und das Töten des Feindes und die materielle Zerstörung als ethisch erlaubt bis geboten gerechtfertigt.
Das ist Vaters Werk!
Es belastet mich sehr, Eltern so auf ihre mögliche Schuld hinzuweisen. Aber aus der Verantwortung für die Qualität der
Frühbetreuung ihrer Kinder können sie nicht entlassen werden. Ich weiß natürlich auch, wie sehr Eltern durch soziale,
ökonomische, politische Einflüsse belastet sind und dass es sehr
schwierig ist, alte, falsche und doch immer noch verbreitete
Erziehungsmuster aufzugeben und dass man schlecht darauf
verzichten kann, das Kind schon früh fremdbetreuen zu lassen,
wenn man dringend Geld verdienen muss. Aber ich halte es
für sehr wichtig für das Kindeswohl und die daraus folgende
Gesellschaftsentwicklung, dass Eltern ihre Macht über die Entwicklung ihrer Kinder realisieren und zugleich die Verantwortung und Chance sehen und übernehmen, ihre Kinder gegen
normopathische Verhältnisse stark zu machen.

140

Psychodynamik der Kriegslust

Die Kriegslust wird im digitalen Wörterbuch der deutschen
Sprache als „rasche Bereitschaft zu einer kriegerischen Aus
einandersetzung“ definiert.55 Ich halte „Kriegslust“ für ein
Symptom einer psychosozialen Erkrankung, der ich für die individuelle Psychopathologie den Namen „Belliphilie“ (von lat.
bellum – der Krieg – und griechisch philia – Liebe, Neigung) gegeben habe, um die persönliche Kriegslust eines Menschen von
einer politischen Haltung, die den Einsatz militärischer Mittel
zur Durchsetzung von Zielen befürwortet, zu unterscheiden.
Für Letztere ist die Bezeichnung „Bellizismus“ geläufig (siehe
unten das Kapitel „Bellizistische Regierungspolitik“).
Die Kriegslust-Erkrankung entwickelt sich aus einer komplexen Psychodynamik:
1. Zugrunde liegen immer die psychosozialen Entfremdungen
der Frühtraumatisierung durch die beschriebenen mütterlichen
und väterlichen Beziehungsstörungen. Der damit verbundene
Gefühlsstau, wenn Zorn, Wut und Hass durch die erlittene Bedrohung, Ablehnung, Abwertung, Kränkung in der traumatisierenden oder defizitären Frühbetreuung nicht zum Ausdruck
gebracht werden können oder dürfen, bedeutet ein permanentes energetisches Stress- und Druckpotenzial, das entladen werden möchte und soziale Wege der Entladung sucht. Ich erinnere
daran: Gefühlsstau macht krank oder/und böse!
55 Eintrag „Kriegslust“, in: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, online: <https://dwds.de/wb/kriegslust>.

141

2. Im sozialen Bereich befördert ein Gefühlsstau Interesse an
beruflicher Tätigkeit, die in sublimierter Form eine aggressive
Abfuhr gestattet oder sogar verlangt: Die Optionen reichen hier
vom Boxer bis zum Zahnarzt. Allerdings muss es keineswegs
stets eine körperliche Abfuhr sein. Man kann fast in jedem Beruf Möglichkeiten aggressiver Entladung finden: der Kritiker,
der jemandes Werk schlecht macht, der Journalist, der Personen herabwürdigt, der Politiker, der den politischen Gegner
bekämpft, der Handwerker, der betrügt, die Erzieherin, die ein
Kind schlecht behandelt, der Psychotherapeut, der Verhaltensweisen des Patienten bewertet u. a. m.
Ganze Partnerschaften, Freundschaften, Arbeitsbeziehungen leben vom Gefühlsstau: Man kann am anderen permanent
leiden, sich über ihn ärgern, aufregen und Streit inszenieren.
Das soziale Ausagieren eines Gefühlsstaus funktioniert so lange gut, so lange die frühe Aggressivität sublimiert abreagiert
werden kann und dies erfolgreich durch Geld, Anerkennung,
Karriere bestätigt wird. So können verbissene Leistung, harter
Konkurrenzkampf, ideologisch gefeierte Kritik, politisch gewollte Diffamierung, die Siege im sportlichen Wettkampf, die
gefährlichsten operativen Eingriffe, politische Macht gegen die
Interessen der Mehrheit einer Bevölkerung u. a. m. von den
Energien eines Gefühlsstaus getragen und von normopathischen Werten der Gesellschaft bestätigt werden. Diese kultivierte Verschleierung einer Gefühlsstörung droht ihr Ende zu
finden, wenn der bisherige Erfolg der Anpassungsbemühungen
durch Krankheit, Berentung, Arbeitslosigkeit, politische Veränderungen, moralische Umwertungen verloren geht. Dann
fällt der Schleier, dann ist „Not am Mann“, natürlich auch „an
der Frau“, und um nicht zu erkranken (was aber mit vielen in
einer solchen veränderten Situation doch geschieht), muss eine
142

neue Möglichkeit gefunden werden, um sich wieder irgendwie
aggressiv abreagieren zu können. So wächst das Interesse, um
nicht zu sagen die Notwendigkeit, ein Feindbild zu finden. Das
kann dann vom Partner bis zu Wladimir Putin reichen, am
besten, wenn man Angriffsflächen findet – real, aufgebauscht
oder auch nur behauptet. Der Gefühlsstau macht auch jede Irrationalität möglich.
3. Die politische Struktur einer Gesellschaft (Demokratie oder
Diktatur), die soziale Situation der Bevölkerung (z. B. Unsicherheit, Arbeitslosigkeit, Inflation, Armut) und der Gruppendruck
des sozialen Umfeldes (Mitläufer, Anpassungsdruck, Denunzierung, Verfolgung von Abweichung) nehmen entscheidenden
Einfluss, ob Entfremdung mit Gefühlsstau in eine kollektive
Anstrengung zur konstruktiven Gesellschaftsentwicklung geführt wird oder in den Bellizismus, also in eine Einstellung,
mit militärischer Gewalt die Gesellschaftspathologie retten zu
wollen. Bellizismus ist in einer schweren Gesellschaftskrise die
Regel, da zur konstruktiven Gesellschaftsveränderung zu wenig
Menschen mit Friedens- bzw. Liebesfähigkeit zur Verfügung
stehen. Und Menschen an der Macht sind in aller Regel mit
narzisstischer Störung belastet, deren Gefühlsstau fast zwangsläufig die Gewalt bevorzugt, um die eigene Entfremdung und
Fehlentwicklung nicht schmerzlich-bitter erkennen zu müssen.
Solange Narzissten mit Finanzmacht Einfluss haben oder Menschen gewählt werden, die ihr Größenselbst ausagieren, wird es
immer Krieg geben. Mit Geld kann aus (fast) jedem Menschen
ein „Söldner“ gemacht werden und ein Gesellschaftssystem mit
Wachstumszwang und Konkurrenzdruck wird immer narzisstisch gestörte Menschen an die Macht bringen, die am Ende
ihres Erfolges den Krieg brauchen – auch in einer Demokratie.
143

Das Demokratiespiel einer nur äußerlichen Demokratie verschleiert geschickter die Persönlichkeitsstörungen der Machteliten als eine Diktatur.
Der psychodynamische Komplex einer kollektiven Kriegslust besteht aus: massenhafter Frühtraumatisierung – Kompensation in einer Normopathie-Krise der Gesellschaft – aktiviertem Gefühlsstau – Krieg.
Normopathische Gesellschaften wie eben auch unsere
gegenwärtige narzisstische finanzkapitalistische Gesellschaft
müssen früher oder später in eine bedrohliche Krise kommen,
weil sie „falsches Leben“ sind – hier im Besonderen durch
Wachstumswahn, Konsumsucht und Zerstörung menschlicher
Beziehungen im Konkurrenzkampf, wie es zum Größenwahn
und zu Empathielosigkeit narzisstischer Störungen gehört.
Ich habe mich immer gefragt, wie es sein kann, dass eine
große Zahl, vielleicht sogar die Mehrheit einer Bevölkerung
ohne größere Probleme, in voreiligem Fatalismus („es muss
sein“) oder sogar freiwillig und gern bereit ist, in den Krieg
zu ziehen. Natürlich haben auch häufig eine reale Not und Bedrohung, leider sehr oft auch erfundene oder propagandistisch
aufgeblähte Bedrohungsszenarien eine auslösende Funktion,
die aber ohne ein tiefes seelisches Gefühlsstau-Potential mit
Abreaktionsdruck in den einzelnen Menschen allein keine
Kriegslust bewirken könnte. Es gibt für einen gesunden, liebesund lustfähigen Menschen keinen Grund, sich an einem Krieg
freiwillig zu beteiligen. Menschen müssen Opfer einer sehr
schweren psychosozialen Fehlentwicklung sein, dass sie bereit
sind zu töten und zu zerstören und sich selbst töten oder an
Körper und Seele schweren Schaden zufügen zu lassen.

144

10 Streitlust

Streitlust ist die kleine Schwester der Kriegslust! Es gibt viele
Menschen, die oft und gerne streiten und schimpfen, schon
bei geringsten Anlässen. Mit solchen Menschen ist man nicht
gerne im Kontakt: nur Kampf und Stress und Unlust. Allerdings gibt es auch gerne Mitspieler, sozusagen eine Folie à deux
des Streites. Nicht so selten können das auch Ehepaare oder
sonstige Partner sein, die permanent streiten, mitunter heillos verstritten sind und sich in einer On-Off-Sackgasse ihrer
Beziehung befinden. Wenn sie dann therapeutische Hilfe suchen, werden sie ganz erstaunt feststellen, dass der Streit das
wichtigste Bindeglied ihrer bitteren Beziehung ist. Es ist eine
Allianz ihrer Gefühlsstaus aus dem unerkannten Bedürfnis zu
permanenter Abreaktion. Man hat also unbewusst einen Beziehungspartner gesucht und gefunden, der etwas an sich hat,
über das man sich ständig ärgern und aufregen kann. Es sind
Verhaltensweisen, Charakterzüge, bestimmte Meinungen und
Positionen, die Anlass geben, sich zu erregen und zu streiten.
Der Partner wird also insgeheim wertgeschätzt, „geliebt“, weil
er die dauerhafte Chance bietet, Gefühlsstau-Energie abzuführen. Bewusst heißt es dann: „Ich leide an dir, weil du so
schwierig bist!“ Und unbewusst: Ich „liebe“ dich, weil ich dich
brauche, um meinen Gefühlsstau immer wieder abführen zu
können. Das bleibt natürlich ein unendliches Unterfangen, weil
die aufgestauten Affekte nicht mit den wirklichen Inhalten der
frühen Entstehungsgeschichte verbunden werden, sondern in
den aktuellen Anlässen immer nur ersatzweise etwas abreagiert
werden können. Damit wird Streitlust zur Sucht.
145

Eine solche Feindseligkeit gilt auch grundsätzlich für eine
kapitalistische Wachstums- und Konkurrenzgesellschaft, die
mit der Masse der Frühgestörten im Gefühlsstau eine süchtige Kampf- und Streitkultur ausgestaltet. Menschen in solchen
Lebensbedingungen werden krank oder „böse“. Aber was heißt
„böse“? Gemeint ist, dass andere Menschen wegen der aufgestauten Affekte angegriffen, beleidigt, seelisch oder körperlich
verletzt werden. Das betrifft auch Tiere oder den Umgang mit
der Natur, der Umwelt.
Charakteristisch dabei ist, dass der eigene Frust, die Reizbarkeit, die Anspannung, der Stress – meist ohne wirkliches
Wissen um die verdrängte Quelle, dann oft aus aktuell geringem Anlass – an irgendjemand und irgendwie abreagiert wird.
Irgendjemand kann der sein, der etwas Unangenehmes, Lästiges, Störendes sagt oder tut. Und mit dem Schlachtruf „Du
bist schuld!“ kann endlich ein aufgestauter Gefühlsstau aggressiv abreagiert werden. Der Angegriffene oder ein Beobachter
wundern sich vielleicht über die unangemessene Heftigkeit
des Vorwurfs, was dann auch zumeist Anlass ist, sich wegen
der erlebten Ungerechtigkeit zu wehren und zu verteidigen. So
ist dann schnell der beste Streit zugange, nicht selten auf öffentlicher Bühne und mit juristischen Waffen. Auch Teile der
„Me-too“-Bewegung, der „Klimakleber“-Aktionen, des „Fridays for Future“-Protestes, des „Kampfes gegen Rechts“, der
Ausgrenzung Ungeimpfter und der hassvollen „Nazifizierung“
Andersdenkender leben energetisch von der „kultivierten“
Chance, aufgestaute Aggressionen aus ganz anderen Quellen
als politisch behauptet abführen zu können. Das oft völlig
Überzogene, Absurde, Groteske, aber ausgesprochen Feindselige (Belliphile) macht auf eine projektive Verschiebung der
Gefühlsstau-Abreaktion aufmerksam.
146

Ein Gefühlsstau kann so drängend sein, dass jemand ohne
besonderen Anlass angegriffen wird, dass bereits Äußerlichkeiten (Kleidung, Aussehen, Körperlichkeit) zur Beleidigung
herausfordern. Oder man reagiert sich an Gegenständen, an
Tieren und Pflanzen ab. Wer schüttet Müll in den Wald? Wer
kippt Dreck und Gift in Gewässer? Wer quält Tiere? Wer meckert und schimpft ständig über alles? Es sind Menschen im
Gefühlsstau, die Objekte für ihre Abreaktion suchen, brauchen
und sogar erfinden.
In der Politik, in den Medien, im Leistungssport, in der Kultur wird Gefühlsstau sublimiert ausagiert. Da ist der politische
Gegner schnell ein Feind, ein Prominenter wird medial vernichtend fertig gemacht, politische Kritiker werden diffamiert
und ausgegrenzt, im Sport, in der Kultur und Wissenschaft werden gerne Konkurrenten irgendwie geschwächt, ausgetrickst
und schlecht geredet und in der Wirtschaft können mit brutalen Mitteln, mit Betrug und Korruption Vorteile gesucht bzw.
Konkurrenten unfair benachteiligt werden. Es gehört in einer
Konkurrenzgesellschaft mit einem pathologischen Wachstumswahn zur Selbstverständlichkeit: Wer Sieger wird, schafft
automatisch Verlierer, und wer siegen will oder muss, hat auch
Interesse, dass andere geschwächt werden.
Eine finanzkapitalistische, normopathische, gefühlsgestaute
Gesellschaft agiert Affekte in narzisstischer Kollusion aus: Die
im narzisstischen Größenselbst befangenen Macht- und Finanzeliten, die ihre aufgestaute Aggression im Machtkampf mit
Profitstreben ausleben, stehen im Wechselspiel mit den Massen
aus lauter narzisstischen Größenkleins, die ihre berechtigte Empörung, ihren Frust über die Unterwerfung, am erzwungenen
Gehorsam und angestrengten Mitläufertum, im gehässigen
Kleinkrieg um geringe Vorteile und im abgründigen Denunzie147

ren ausleben. Beide bilden eine gesellschaftliche Partnerschaft,
die aber, typisch für eine Kollusion, nur scheinbar ausgewogen
ist, denn ein Partner schneidet deutlich schlechter ab.
In einer solchen, im Großen wie im Kleinen, im Konkurrenzkampf und in Vorwürfen verstrittenen Gesellschaft bedarf
es nur relativ geringer Verschlechterungen, um die überall gepflegte Streitkultur in Kriegslust zu verwandeln. In dieser Situation befindet sich Deutschland:
• Die Kinderbetreuung ist seit dem Kriegsende 1945
qualitativ nicht entscheidend verbessert worden. Die
antiautoritäre Erziehung war ein Irrtum. Nach wie vor
werden Massen von Kindern frühtraumatisiert.
• Die Lehren aus den zwei Weltkriegen wurden insofern nie gezogen, als die zugrunde liegenden psychosozialen Entfremdungen mit Gefühlsstau als Quelle
der Kriegslust nie wirklich verstanden wurden.
• Gefühlsstau wird in den Mühen eines Wachstumswahns und in einem permanenten Konkurrenzkampf
auf verhängnisvolle Weise „kultiviert“.
• In der weitverbreiteten Streitunkultur wird die Abwehr berechtigter Empörung über erlittene Frühtraumatisierung projektiv konditioniert: „Du bist schuld!“
Es wird praktisch immer ein Feindbild gebraucht.
Es gibt politische Entscheidungen und mediale Darstellungen,
die so absurd und falsch sind, dass es sich dabei nicht nur um
einfache Dummheit oder ideologische Verwirrung handeln
kann. Einleuchtender wäre, eine Absicht anzunehmen, mit
Absurdität und Irrationalität Widerspruch zu provozieren, der
die Gesellschaft mit Streit überzieht. Das wäre dann das Kriegs148

Vorspiel. Die Menschen werden von den wirklichen Gründen
der Krise abgelenkt und sehnen sich nach einem gemeinsamen
Feind, um sich wieder „familiär“ oder national versöhnen zu
können. Krieg wird dann zur Ersatz-Lust-Katharsis.
Solange diese Psychodynamik nicht verstanden ist und aufgelöst wird, gilt: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg!
Die „Großen“ brauchen Krieg zum Machterhalt und zur
Profitmaximierung, die „Kleinen“ mit der illusionären Hoffnung, aus ihrem falschen Leben, das in die Krise gekommen ist,
durch Vernichtung eines „Feindes“ befreit und gerettet werden
zu können. Denken Sie an „Non-Covid“, „Klimaneutralität“
und einen „Siegfrieden“ gegen Russland.

149

11 Psychodynamik
der Friedensfähigkeit

Sehr viele Menschen sagen von sich, dass sie sich nach Frieden und Liebe sehnen, aber nur selten Frieden und Liebe in
ihren Beziehungen erleben. Das scheint ein Paradoxon zu sein!
Doch sie wissen nicht, dass sie es auch selbst sind, die Liebe
und Frieden verhindern oder sogar oft unbewusst regelrecht
zerstören. Liebe und Frieden sind Beziehungsfähigkeiten, die in
der frühesten Kindheit entfaltet oder verhindert werden. Nach
meiner therapeutischen Erfahrung transportieren die Begriffe
„Liebe“ und „Frieden“ tiefste menschliche Bedürfnisse, die von
guten Eltern bestätigt und gefördert und von schlechten Eltern
behindert und zerstört werden. Mit den Eltern sind es natürlich immer auch die gesellschaftlichen Erziehungsnormen und
die sozialen Verhältnisse mit ihren politischen, ideologischen,
ökonomischen und religiösen Bedingungen, die Friedens- und
Liebesfähigkeit ermöglichen oder Kriegslust erzeugen.
Liebe und Frieden liegen psychodynamisch nahe beieinander. Wer Frieden will, muss zur Liebe fähig sein, und wer liebt,
wird auch immer in Frieden leben wollen. Kriegstreiber und
Waffenlieferer können keine liebenden Menschen sein.
Der christliche Einfluss des Liebes- und Friedensgebotes
hat viel Verwirrung gestiftet, da mit der guten Forderung übersehen (?) wurde, dass Liebe und Frieden nicht fordernd erlernt
werden können, sondern als Beziehungsqualität real erfahren
werden müssen.
Liebende Eltern vermitteln dem Kind, wir tun das für dich,
so wie es für dich stimmt, weil wir dich lieben. Das heißt nicht
151

„verwöhnen“ oder irgendwelchen Wünschen des Kindes einfach nachgeben. Sondern es geht um die liebende Fähigkeit
von Eltern, sich in das Erleben und die wirklichen Bedürfnisse
des Kindes einzufühlen, es zu verstehen, zu bestätigen und zu
befriedigen. Dabei wird das Kind immer auch begrenzt werden
müssen, wenn es etwas noch nicht versteht, etwas zu gefährlich
ist, die Freiräume oder Bedürfnisse anderer gestört werden und
wenn die Eltern überfordert sind. Die Einschätzung der Grenzen, die ein „Nein“ erfordern, ist natürlich sehr stark von den
Persönlichkeiten der Eltern und bestehenden sozialen Regeln
und Normen abhängig, aber liebende Eltern werden stets ein
hohes Maß an Vertrauen und Freiheit vermitteln und eine notwendige Begrenzung entsprechend nachvollziehbar verständlich machen können.
Friedensfähige Eltern akzeptieren unterschiedliche Bedürfnisse und deshalb auch unvermeidbare Konflikte. Sie wissen
um die grundsätzliche Andersartigkeit eines jeden Menschen
– auch ihrer Kinder – und sind immer bemüht, die Quellen von
Konflikten zu erkennen, unterschiedliches Erleben zu akzeptieren, gewaltfrei nach Lösungen und Kompromissen zu suchen,
die einen Konsens herzustellen helfen. So erfährt das Kind den
erkenntnisfördernden Raum des Friedens und lernt die entwicklungsfördernde Praxis der Friedensfähigkeit.
In der natürlichen Sehnsucht nach Liebe und Frieden gibt
es vielfache Behinderungen und Missverständnisse. So wie
bei dem schönen Bibelwort: „Liebe deinen Nächsten, wie dich
selbst“ (Markus-Evangelium 12:31)
Dabei ergibt sich sofort die Frage, was ist eigentlich Selbstliebe und wer liebt sich selbst? Der Bibelspruch unterstellt praktisch, dass Selbstliebe selbstverständlich sei. Das ist ein großer
Irrtum. Sehr viele Menschen sind nicht in der Lage, sich selbst
152

zu mögen. Das ist die Folge einerseits von frühesten Erfahrungen seelischer Verletzungen in Form von Abwertung und
Kränkung: Du bist nicht richtig! Du bist nicht gut genug! Du
erfüllst nicht unsere Erwartungen! Du bist nicht wirklich gewollt! Nimm Dir ein Beispiel an … und so weiter; andererseits
auch Folge von Beziehungsdefiziten in Form von mangelnder
Bestätigung, ungenügendem Verständnis, fehlendem Interesse
durch Eltern und Erzieherinnen. Die Qualität elterlicher Beziehungen am Anfang des Lebens entscheidet, ob Selbstliebe überhaupt erfahren werden kann. Vereinfacht gesagt, geht es um die
Liebesfähigkeit der Eltern, das Kind in seiner Einzigartigkeit
erkennen zu wollen, verstehen zu lernen und entsprechend der
Möglichkeiten des Kindes unterstützen und fördern zu wollen.
Das ist sehr selten.
Auch die Liebesfähigkeit wird entwicklungspsychologisch
erlernt, wie das Sprechen oder Laufen. Dass Kinder nicht nur
sprechen lernen, sondern dabei auch den Dialekt und Slang
der Eltern nachahmend übernehmen, das kann als einfaches
Beispiel dafür dienen, dass auch Liebe im Gestus, Handeln und
Fühlen erlernt wird. Liebe ist ein zentrales Grundbedürfnis des
Menschen, das aus zwei Teilbedürfnissen besteht: geliebt zu
werden (passiv) und lieben zu können (aktiv). Kinder, deren
Eltern sich nicht gut lieben lassen, weil sie selbst Ungeliebte
sind, sind doppelt traumatisiert: Wenn sie nicht ausreichend
gut geliebt werden, kann sich auch keine gute Liebeserfahrung
entwickeln, und wenn sich niemand als Liebesobjekt anbietet,
bleibt auch die Liebesfähigkeit unterentwickelt. Gibt es dann
nicht wenigstens Kuscheltiere oder Haustiere, bleibt ein traurig-
einsames Kind zurück, am Ende ein psychosozial verstörtes
Leben.

153

Die meisten Eltern leben eine Vorstellung von ihrem Kind,
das so sein soll, wie sie es erwarten und wünschen. Liebe aber ist
freilassen. Ein Kind nach den Vorstellungen der Eltern (selbst
den gutgemeinten) zu beeinflussen, ist nicht Liebe, sondern Erziehung. Erziehung aber verhindert häufig Selbstliebe, denn Erziehung erzwingt den Fremdwillen mit bestenfalls der Chance,
sich durch Lob bestätigt zu erleben. Aber Lob macht abhängig
von äußerer Bestätigung, die bestenfalls wie eine Droge kurze Zeit wirkt und dann möglichst bald erneut gebraucht wird.
Anerkennung von anderen Menschen macht abhängig mit der
Tendenz, das Gewünschte oder gar Geforderte vorauseilend
erspüren zu wollen, um die Erwartungen möglichst rasch und
gut erfüllen zu können. So paaren sich Abhängigkeit und Süchtigkeit zu einem Dauerstress. Ein Lob hält dann nicht lange
vor, weil es ja nur durch Anpassung erworben wurde und nicht
ein inneres Bedürfnis und die ureigene Kompetenz bestätigte.
Nur das erkannte und bestätigte Selbsterleben sättigt in einem
entspannten Rhythmus von Selbstanspruch und Selbstbefriedigung. Dagegen ist eine Fremdbewertung ein nie endender
Antreiber, bei dem ein Erfolgserlebnis bereits den Keim des
Zwanges, sich weiterhin beweisen zu müssen, in sich trägt.
Selbstliebe dagegen ist ein innerseelischer Zustand der
Selbstgewissheit, der Identität: Ich weiß, wer ich bin, was ich
kann und will und wer ich nicht bin und was ich nicht kann
und brauche. Selbstliebe ist sich auch selbst genug, Neid und
Eifersucht hat sie nicht nötig. Konkurrenz löst sich bei Selbstliebe auf im Vergleich, in Neugier, in Anregung und Gemeinschaftsinteresse und ist kein Kampf.
Liebe ermöglicht Autonomie durch inneres Erleben; Liebesmangel schafft Abhängigkeit von äußerer Anerkennung.

154

Im Christentum wird leider zumeist das schreckliche Manko an
sich selbst liebenden Menschen zugunsten religiöser Abhängigkeit missbraucht. Es dominiert der Glaube, dass ein Christ die
Liebe einfach in sich habe, weil Jesus in ihm lebt. Das gipfelt in
der Auslegung, dass der Gläubige durch Jesus ein Gebender sein
könne, ohne eine Gegenleistung zu erwarten oder gar zu brauchen. Durch Jesus könne man lieben, ohne geliebt zu werden.
Damit wird Jesus als Elternersatz missbraucht. Er soll die
Lieblosigkeit von Eltern ausgleichen. Das hat wesentliche Nachteile: Der Ungeliebte macht Jesus zur Droge und bleibt ein
Glaubens-Abhängiger. Das erschwert in der Regel, die Wahrheit
und Realität des eigenen Lebensschicksals zu erinnern, und es
verhindert heilsame Erkenntnisprozesse, die für die Entwicklung einer autonomen Persönlichkeit erforderlich sind. Wenn
der Glaube mit im Grunde lösbaren realen Lebensproblemen
so profan besetzt wird, wird der Raum für spirituelles Erleben
behindert oder ganz und gar unmöglich. Primitive Glaubensinhalte verunreinigen spirituelles Erleben. Dann ist der Glaube
keine Befreiung der Seele, sondern eine einengende Glaubenspropaganda. Diese Gefahr wird durch eine weit verbreitete
christliche Erziehungspraxis der Sexual- und Aggressionsunterdrückung noch verstärkt. Aber sexuelle Lust und die berechtigte Aggression (Empörung, Protest, Kränkungswut) bei
Lieblosigkeit auszudrücken, sind notwendige Wege zur Liebesfähigkeit.
In guter Psychotherapie wird immer die Schuld der Eltern
erkannt und emotional verarbeitet werden müssen, um dann
wirklich den Eltern vergeben zu können. Befreit aus dem Gefängnis der Gefühlsblockade, wird der Mensch allmählich zur
Selbstliebe fähig. Durch wachsende Selbsterkenntnis und Orientierung an den eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten wächst
155

auch die Fähigkeit, auf Fremdforderung und Fremdbewertung
weitgehend zu verzichten. Eine echte Anerkennung von außen
bleibt immer eine angenehme Erfahrung, aber sie sollte nicht
das Motiv des Handelns sein.
Wirkliche Vergebung der Eltern ist nur möglich, wenn die
berechtigte Empörung über die frühen Defizite und die Manipulation durch Erziehung erkannt und geschützt (z. B. im therapeutischen Rahmen) gelebt werden konnte. Die Aufforderung
zur Vergebung in der Kirche verleugnet in aller Regel diese
belastende emotionale Arbeit und fördert damit ein falsches
(neurotisches) Entschulden. Dann kann man sich leicht als ein
christlicher „Gutmensch“ dünken, bleibt aber in der Tiefe belastet von berechtigter Wut und quälendem Hass, was wiederum
eine befreiende Selbstliebe unmöglich macht, andererseits aber
Hass-Objekte braucht, so dass selbst Christenmenschen willig
in den Krieg ziehen.
Sich selbst lieben zu können, setzt also liebende Eltern
voraus. Liebende Eltern sind spiegelnde, erkennende, bestätigende, schützende, versorgende und begrenzende Eltern.
Begrenzung allerdings ist oft ein großes Problem. Im Grunde
genommen müssen geliebte Kinder wenig oder gar nicht begrenzt werden. Das prinzipiell durch Liebe bestätigte Kind hat
keine überhöhten Ansprüche oder grenzenlose Bedürfnisse.
Nur das ungeliebte Kind begehrt Ersatz für den Liebesmangel.
Das reicht von Süßigkeiten über das Begehren von Geschenken
und modischer Bekleidung bis zum sozialen Geltungsdrang
und Machtbedürfnissen. So schlägt Unsicherheit im Sein in
süchtiges Haben-Wollen um. Es muss süchtig werden, weil die
materielle Zuwendung eben keine Liebe ist.
Natürlich kann man auch aus Liebe schenken, indem das
Kind bekommt, was es wirklich für seine Entwicklung und sei156

ne Bedürfnisse braucht, aber dann wird es auch nicht immer
mehr begehren, sondern dankbar „gesättigt“ sein. Liebe übermittelt sich im „Gerne-da-sein“, im interessierten Zuhören und
im geduldigen Bemühen, verstehen zu wollen. Liebe wird in
Blicken, Worten, im Tonfall, in Berührungen, Umarmungen
vermittelt. Man kann dann liebesatt sein wie essensatt, doch
das ungeliebte Kind verhungert auf einem Berg von Geschenken oder versucht sich als „Vielfraß“ ohne wirkliche Sättigung
ersatzweise zu befriedigen.
Eine notwendige Begrenzung gesunder Kinder ist nur bei
unbekannten und gefährlichen Situationen erforderlich, um
das Kind zu schützen, wobei erfahrungsgemäß geliebte Kinder
auch kein zu großes Risiko eingehen, sondern in unbekannten
und unsicheren Situationen sich intuitiv angemessen verhalten
oder im Vertrauen der Liebe fragen und sich beraten lassen.
Andererseits ist die weit verbreitete Verweigerung notwendiger Begrenzung von Kindern eine erhebliche Gefährdung
des Kindeswohls. Zumeist sind es Eltern, die um ihren Liebesmangel wissen und ihre Schuld zumindest ahnen und aus
schlechtem Gewissen glauben, dann wenigstens ihre Kinder
unbegrenzt gewähren lassen zu müssen. Sie wagen schuld
gefühlshaft kein Nein, weil sie den Protest fürchten, eine sichtund hörbare Enttäuschung, die ja das umfassendere Unglück
des Kindes spürbar machen könnte. Das Laisser-faire wird
dann gerne ideologisiert: Es sei antiautoritär, freiheitlich,
gleichberechtigt. Aber das Kind wird ohne Begrenzung eher
allein gelassen, und wenn seine Ansprüche sehr oft als Ersatz
und zur Kompensation fehlender Liebe falsch und überzogen
sind, wird eine Verhaltensstörung konditioniert. Fehlende Begrenzung liebebedürftig gebliebener Kinder ist eine weitere
passive Kindeswohlverletzung. Der Mangel an Liebe wird so
157

auch im ausbleibenden „Nein“ versteckt, wenn dem Kind Halt,
Struktur und Orientierung verweigert werden, was es aber bei
unsicherer Identität besonders braucht. Das frühere hemmende, verbietende „Nein“ aus autoritärer schwarzer Pädagogik mit
schwerster Entwicklungsstörung ist heute durch einen ideologisch geprägten Freiheitsbegriff ersetzt, der zur destruktiven
Grenzenlosigkeit pervertiert.
Wenn man selbst glückliche Entwicklungsbedingungen
oder später vielleicht auch hilfreiche Therapieerfolge hatte, um
sich selbst lieben zu können, dann wird man jeden anderen
prinzipiell interessiert und freundlich annehmen können und
verstehen wollen. Natürlich gibt es auch manche Menschen,
die aufgrund liebloser früher Betreuung für jedermann schwer
erträglich sind, gar nicht verstanden sein wollen, die stören,
verletzen und kränken und sogar in Worten und Taten gerne gewalttätig sind – was meistens als ein Überlaufen des Gefühlsstaus aus traumatisierender früher Lebensgeschichte zu
verstehen ist. Die schlimmsten Ungeliebten mit strafbarem
oder krankem Verhalten werden das Strafgesetzbuch und die
Psychiatrie begrenzen und beschützen müssen. Bei allen anderen bleibt eine Chance, durch Liebesangebote – für sie da
sein, Kontakt anbieten, zuhören, verstehen wollen – hilfreich
zu sein und Entspannung zu ermöglichen. Das kann aber leider
auch mitunter ein so anstrengendes Bemühen sein, dass man
verzweifelt die Kommunikation aufgibt, weil es einen einfach
überfordert. Prävention ist immer besser als Therapie.
Liebevolle Kommunikation heißt nicht, dasselbe zu fühlen
oder einer Meinung zu sein – denn jeder Mensch ist einmalig und denkt und fühlt einzigartig. Es geht in Liebe nicht um
Übereinstimmung, sondern um Verstehen.

158

Ich fasse zusammen:
• Friedensfähigkeit und Liebesfähigkeit sind „Geschwister“.
• Der Mensch ist als soziales Lebewesen ein prinzipiell
liebender und friedensfähiger Mensch.
• Die Liebes- und Friedensfähigkeit muss durch beste
Mütterlichkeit und Väterlichkeit in den ersten Lebensjahren aktiv und passiv erfahren und gefördert
werden:
• Das Kind will lieben und braucht dafür Menschen,
die sich lieben lassen.
• Das Kind will in Frieden leben und braucht dafür
friedfertige soziale Verhältnisse.
• Das Kind will geliebt werden und braucht dafür liebende Menschen.
• Das Kind will in Frieden leben und wird sich – ohne
Frühschädigung – immer für Frieden engagieren.
• Mütterlichkeitsstörungen und Väterlichkeitsstörungen behindern und zerstören die grundsätzlich gegebene Liebes- und Friedensfähigkeit.
• Normopathische Gesellschaften werden sozialpolitisch und ideologisch stets bemüht sein, gute Mütterlichkeit und gute Väterlichkeit zu verhindern. Damit
werden durch Selbstentfremdung massenhaft verunsicherte und abhängige Menschen erzeugt, als ideale
Mitläufer und Mittäter der jeweiligen Gesellschaftspathologie.

159

So kann man öffentlich eine „Friedenspolitik“ vertreten ohne
wirklich friedensfähige Politiker und eine Demokratie spielen
ohne wirkliche Demokraten.
Ohne Liebe in den Kinderstuben wird es niemals Frieden
geben.

160

12 Die belliphile Spaltung
der Gesellschaft

Ich habe die Streitlust als die kleine Schwester der Kriegslust
definiert, um auf die ursächliche Verwandtschaft hinzuweisen:
Frühstörung, Gefühlsstau und Abreaktion an „geeigneten“
Opfern. In einer demokratischen Gesellschaft mag Streitlust
durchaus einen zivilisatorischen Sinn erfüllen, nämlich einerseits Abreaktion einer krank- oder bösemachenden, unerlösten
Affektivität; und andererseits vermag ja ein Streit neue Erkenntnisse, vielleicht auch Verständigung und vorübergehende Versöhnung ermöglichen. Man muss sich den Streitpartner wie
einen Sparringspartner im Boxen vorstellen: zum Üben und
Abreagieren vor dem eigentlichen Kampf, der aber bei einem
Gefühlsstau schon längst in der frühen Kindheit stattgefunden
hat. Deshalb ist eine Streitkultur eine unendliche Geschichte,
da die aggressive Energie am falschen „Objekt“ abgeführt wird
und damit zwar Erleichterung, aber keine wirkliche Erlösung
findet, wie sie nur möglich wird, wenn Affekt und Erinnerung
an die Traumatisierung mit der Identifizierung der Täter und
der Tat zusammenfinden.
Zwar können mit dieser Erkenntnis und emotionalen Verarbeitung die nachhaltig wirkenden frühen Verletzungen nicht
ungeschehen gemacht werden. Ein früh verursachter Gefühlsstau wird immer wieder mal abgeführt werden müssen, aber
dann nicht mehr mit der Gefahr, Ersatz-Feinde für einen Hass
ohne Ende zu brauchen. Da aber die allermeisten Betroffenen –
die allerdings die Mehrheit in einer normopathischen Gesellschaft sind, sonst gäbe es keine Normopathie – zum Schutze
161

vor zu großer Erschütterung die Frühtraumatisierung leugnen
und ins Unbewusste verdrängt haben, wächst mit der Gesellschaftskrise die Gefahr, dass die Streitlust zu einer kollektiven
Hasskultur pervertiert. Es sieht so aus, als geschähe dies gerade
in Deutschland.
Mit Diffamierung, Hass und existenzgefährdender Hetze
werden heute Menschen verfolgt, die sich gegen die Auflösung
demokratischer Verhältnisse und gegen eine zunehmend autoritäre Politik und deren zerstörerische wirtschaftlichen und
sozialen Folgen zur Wehr setzen. Dabei werden Bezeichnungen
benutzt, die in Deutschland für eine verbrecherische Politik
stehen, wie „Nazi“, „Antisemit“, „Rassist“. Oder den Betreffenden wird der Stempel aufgedrückt, Vertreter einer politischen
Bedrohung zu sein, wie „Rechtsextremist“, „Linksextremist“,
„Reichsbürger“. Sicherlich gibt es Personen, für die solche Zuschreibungen berechtigt sind, auch wenn eine klare inhaltliche
Definition zumeist fehlt.
Ich habe bisher darauf vertraut, dass jeglicher strafrechtlich relevanter Extremismus vom Staats- und Verfassungsschutz entsprechend beobachtet und eventuell geahndet und
angemessen bestraft wird. Mein Vertrauen in dieses demokratische Grundverständnis sieht sich durch die Erkenntnis infrage gestellt, dass Rechtsextremismus stärker bekämpft wird
als Linksextremismus und dass islamistische Gefahr und Migranten-Kriminalität am wenigsten realistisch dargestellt und
verfolgt werden. Am deutlichsten wird das Demokratie-Spiel
entlarvt, wenn Menschen diffamiert, ausgegrenzt und bestraft
werden, weil sie sich im Rahmen demokratischer Grundrechte
kritisch zu politischen Entscheidungen mit erkennbar verstörten bis bewusst verfälschten Narrativen äußern. Passiert dies,
dann ist Demokratie aufgegeben zugunsten der geschicktesten
162

und mächtigsten Demokratie-Spieler. Die primitive Pathologie einer Hetze gegen Andersdenkende wird bereits daran erkennbar, dass immer gleich eine ganze Batterie an abwertenden
Schimpfwörtern benutzt wird, was wie ein hassvolles Übertöten
wirkt.
Von „Übertötung“ spricht die Kriminalistik, wenn bei
einem Tötungsdelikt der Angreifer gegen das Opfer deutlich
mehr Gewalt anwendet, als nötig gewesen wäre, z. B. eine völlig
überzogene Anzahl von Messerstichen. Ein solches abnormes
Handeln weist vor allem auf nicht zu bändigende Affekte hin.
Das kann die angstvolle Verunsicherung vor einer unerwünschten Wahrheit sein, die den Verkünder stumm machen möchte,
und es verrät ein überbordendes Hasspotential der hetzenden
Verfolger. Unter demokratischen Bedingungen verlieren sich
krankhaft hassvolle Invektiven in der Vielfalt der Meinungsfreiheit. Schlimm genug, wenn der Angegriffene mit Shitstorms
und ähnlichem zu kämpfen hat. Zur gemeingefährlichen belliphilen Ansteckung wird das Diffamieren, wenn es zunehmend
den sogenannten „Mainstream“ infiziert. Eine militante und
psychosozial verstörte Minderheit der Hetzer und Denunzianten erhält dann Oberwasser, wird womöglich politisch gefördert und von der Zivilbevölkerung auch angstvoll geduldet.
Dann mutieren die Verfolger zur belliphilen „Schlägertruppe“,
um eine demokratiezerstörende Politik vor berechtigter Kritik
mit direkter oder verbaler Gewalt zu „schützen“.
Eine solche Entwicklung macht die Krise einer normopathischen Gesellschaft deutlich, in der das Demokratie-Spiel nicht
mehr gewinnbringend und erfolgversprechend gespielt werden
kann. Es entsteht dann im kollusiven Zusammenspiel einer politisch gewollten und unterstützten Hetze mit einem angstvoll
verweigerten Widerspruch Vieler am Ende wieder eine bellizis.

163

tische Gesellschaft. Wohlgemerkt, die Mächtigen wollen sich in
der Krise retten, indem sie eine hassvolle Spaltung in der Gesellschaft befördern, die in der Konsequenz (siehe Waffenlieferung
an die Ukraine) bis zum richtigen Krieg führen kann. Und die
Bevölkerungsmehrheit kann in gehorsamer Zustimmung oder
passiver Duldung der Kriegstreiberei hoffen, die aggressive Gefühlslast der Entfremdung endlich in einem „gerechten“ Verteidigungskrieg abführen zu können. Jeder Krieg lebt von der
Seelennot aller Beteiligten. Ohne eine solche Not gäbe es weder
eine Kriegserklärung noch eine Kriegsbeteiligung.
Mit der Corona-Pandemie kam die Staats- und Medienhörigkeit einer Mehrheit der Deutschen aus der vermeintlich
demokratischen Deckung. Selbstbestimmungsrechte wurden
kassiert, die bürgerlichen Freiheiten mit unverhältnismäßigen Maßnahmen beschnitten, ohne dass dies zu erfolgreichen
Massenprotesten führte. Das Kindeswohl wurde mit Schulschließungen, Maskenpflicht, Ausgeh- und Kontaktverboten
brutal übergangen. Zur Erinnerung: Nicht ein einziges Kind
ohne Vorerkrankungen ist in Deutschland an Covid 19 gestorben, einfach weil für ein gesundes Kind die Ansteckung nicht
lebensbedrohlich war. Die überflüssigen Maßnahmen glichen
einem Krieg gegen die Kinder. Der Autor und Arzt Gunter
Frank nennt das Konglomerat aus Forscher-Größenwahn, Regierungsversagen, Medizinkorruption, Psychoterror und lässig
übergangenen Impfschäden und psychischen Folgeerkrankungen ein „Staatsverbrechen“.56

56 Gunter Frank, „Das Staatsverbrechen. Warum die Corona-Krise erst dann
endet, wenn die Verantwortlichen vor Gericht stehen“, Achgut-Edition,
Berlin 2023.

164

Die meisten Menschen waren durch eine intensive Angstpolitik so eingeschüchtert, dass sie ein unsicheres und sehr
fragwürdiges Gen-Experiment als eine rettende Chance aus
aufgeblähter Gefahr akzeptiert haben. Man konnte den Eindruck gewinnen, die Bundesrepublik probe mit der Dispensierung zentraler Grundrechte und der faktischen Degradierung
des Parlaments57 eine Diktatur auf Zeit. Die sogenannte „Impfung“ war das raffinierteste Mittel, Herrschaft durchzusetzen:
zunächst durch massive Ängstigung und dann mit dem Vollzug der „Impfung“ zu einer nicht mehr zu hinterfragenden
Gefolgschaft. Die „Geimpften“ gehen im Grunde genommen
der demokratischen Diskussion verloren, weil der „Piks“ im
Gegensatz zu den meisten menschlichen Irrtümern nicht mehr
korrigiert werden kann und damit die Einsicht in eine eventuelle Fehlentscheidung nicht mehr wahrscheinlich ist. Denn wer
möchte schon zugeben, dass er aus Obrigkeitshörigkeit oder
falschem Vertrauen in die Pharmaindustrie sich hat impfen
lassen? Diese Sackgasse der Freiheit hat wesentlich dazu beigetragen, Warner und Kritiker eines undemokratischen Putsches
der Macht mit belliphilem Hass zu verfolgen. Dann lauteten
die Hassparolen: Corona-Leugner, Covidioten, Gefährder,
Bedroher, Schwurbler, Esoteriker, Verschwörungstheoretiker,
Querdenker – dies natürlich gern auch verbunden mit dem
Vorwurf des Rechtsextremismus.

57 So traf sich z. B. am 10.02.2021 die Bundeskanzlerin mit den Regierungspräsidenten der Länder, um über Lockerung oder Nichtlockerung der
Corona-Maßnahmen zu entscheiden. Das aber wäre Sache des Deutschen
Bundestags gewesen. Auch das Bundesverfassungsgericht spielte eine unrühmliche Rolle, als es mit seinem Urteil vom 19.11.2021 der Politik fast
alle Freiheiten bei der Pandemiebekämpfung gab, statt seiner Aufgabe als
Hüter der Grundrechte nachzukommen.

165

Abgesehen davon, dass auch Rechtsextreme ein Recht auf
demokratischen Protest haben, war das politisch-mediale Bemühen auffällig, Sinn und Inhalte der Corona-Proteste zu
besudeln. Die Angst vor einer peinlichen und schmerzlichen
Wahrheit der sogenannten Verschwörungstheoretiker war offenbar so groß, dass man selbst vor peinlichsten Lügen nicht
mehr zurückschreckte. Das ist wertvolles „Material“ für einen
Analytiker, dem es nicht schwerfällt, die durchsichtigen Lügen
der Diffamierung eines berechtigten demokratischen Protestes und die wirklich albernen Forderungen nach unerfüllbarer
Abgrenzung von unerwünschten Personen als das unbewusste
Gegenteil der politischen Korrektheit zu deuten. Wer so plump
und primitiv für das angeblich „Gute“ eintritt, verrät seine Ahnung von der möglichen Wahrheit der Kritik, die das Abwehrgebäude des eigenen falschen Lebens erschüttern könnte. An
der affektiven Übertreibung der Kämpfer „gegen Rechts“ und
ihrer Unfähigkeit zum demokratischen Disput erkennt man die
belliphile Verstörung in ihrer aktiven Form.
Gefährlicher aber für die weitere gesellschaftliche Entwicklung ist, dass diese Hetze keinen entschiedenen Widerspruch
von der schweigenden Mehrheit erfährt, die damit ihre stille Zustimmung zu feindseligen Einstellungen verrät. Ist das
Herdentrieb, Feigheit oder schlicht passive Belliphilie? Auch
wenn die rechtsextremistische Gefahr tatsächlich so groß sein
sollte wie behauptet, sind Hass und Hetze untaugliche Gegenmittel. Man sollte sich hüten, im „Kampf gegen Rechts“ die
Demokratie und den Rechtsstaat stärker zu gefährden, als die
Rechtsextremen es tun. Es ist allemal falsch, eine eventuelle
Bedrohung durch „Rechts“ belliphil zu beantworten, anstatt die
Ursachen extremistischer Entwicklung zu erkennen und aufzulösen. Nur die Analyse, das Verstehen von Fehlentwicklun166

gen und das Bemühen um psychosoziale Abhilfe kann Frieden
schaffen helfen.
Mit der Hetzjagd gegen Ungeimpfte als Bedroher, Gefährder,
als „Todesengel“, als unsolidarisch, mit realer Ausgrenzung und
Zutrittsverbot, mit Verlust des Arbeitsplatzes, mit Beschimpfung und Diffamierung und dem Appell, man solle den Kontakt
zu Ungeimpften meiden, nicht mit ihnen arbeiten, nicht bei ihnen einkaufen, ist latenter Hass bei einer sehr großen Zahl von
Deutschen mit vernichtender Zielstellung durchgebrochen. Da
regte sich Streitlust mit der Tendenz, in regelrechte Kriegslust
auszuarten, und schuf tiefgreifende Zerwürfnisse in Familien,
unter bisherigen Freunden, unter Arbeitskollegen, in der Kultur, im Sport, in den Kirchen. Politiker und Prominente gaben
jede Diplomatie oder Contenance auf und verstiegen sich zu
üblen Parolen und Kennzeichnungen.
Hier eine Blütenlese in Kurzform:
• Ungeimpfte seien unter die „Bekloppten“ zu rechnen
(Joachim Gauck)58
• „Aasgeier der Pandemie“ (Winfried Kretschmann)59

58 Joachim Gauck meinte über Gegner der Corona-Impfung, es gäbe in
Deutschland nicht nur Bildungswillige, „sondern auch hinreichende
Zahlen von Bekloppten“. Zit. nach Mirko Schmid, Frankfurter Rundschau vom 12.09.2021, online: <https://www.fr.de/politik/bekloppte-
bundespraesident-gauck-impfgegner-corona-querdenker-querdenkenrostock-90975550.html>, abgerufen 10.06.2022.
59 Delia Friess, „Radikalisierung von Corona-Protesten: Winfried Kretsch
mann spricht von ‚Aasgeiern der Pandemie‘“, in: Frankfurter Rundschau vom
15.12.2021, online: https://www.fr.de/politik/corona-proteste-demonstrationwinfried-kretschmann-impfgegner-aasgeier-pandemie-91179205.html>, abgerufen 10.06.2022.

167

• „Diejenigen, die sich nicht impfen lassen, […] gefährden uns alle“ (Frank-Walter Steinmeier)60
• „Tyrannei der Ungeimpften“ (Frank Montgomery)61
• „Vermeiden Sie Kontakt zu Ungeimpften“ (Dilek Kalayci)62
• Freiwillig Ungeimpfte sollten im Quarantäne-Fall
keine Lohnfortzahlung mehr erhalten. Bei hohen
Hospitalisierungszahlen sollten Restaurants und Kinos nur noch für Geimpfte oder Getestete zugelassen
sein (Saskia Esken)63
• Ungeimpfte seien eine Minderheit, die die Mehrheit
terrorisiert (Marie-Agnes Strack-Zimmermann)64

60 Zit. nach Wiebke Bolle, Jette Moche, Martin Heller, „‚Sie gefährden uns alle‘
– Steinmeier hat keine Geduld mehr mit Ungeimpften“, in: Die Welt vom
12.11.2021, online: https://www.welt.de/wissenschaft/article235002116/
Corona-Sie-gefaehrden-uns-alle-Steinmeier-hat-keine-Geduld-mehr-mitUngeimpften.html, abgerufen am 30.07.2023.
61 ARD-Mediathek (Sendung vom 08.11.2021): Ärztepräsident zu Gast
bei Anne Will: „Corona-Neuinfektionen auf Höchststand – braucht
Deutschland eine Impfpflicht?“ Online: <https://www.youtube.com/
watch?v=I6lHPt64OOE>, abgerufen am 12.04.2022.
62 Stefanie Hildebrandt, „Dilek Kalacyi wird deutlich. Gesundheitssenatorin rät: Vermeiden Sie Kontakt zu Ungeimpften!“ In: Berliner Kurier vom
12.11.2021, online: https://www.berliner-kurier.de/berlin/kalacyi-raet-
dazu-privaten-kontak-mit-ungeimpften-zu-vermeiden-li.194481, abgerufen am 31.07.2023
63 Zum genauen Wortlaut siehe dts Nachrichtenagentur: „Esken: Keine Lohnfortzahlung bei Quarantäne freiwillig Ungeimpfter“, online: https://www.
finanznachrichten.de/nachrichten-2021-09/53974589-esken-keinelohnfortzahlung-bei-quarantaene-freiwillig-ungeimpfter-003.htm.
64 Wörtlich: Impfverweigerer sollten sich „im Klaren darüber sein, dass sie
nicht als Minderheit die Mehrheit terrorisieren dürfen“. So das damalige
FDP-Vorstandsmitglied im Video-Interview mit der Tageszeitung Die
Welt, 15.11.2021, online: <https://www.welt.de/videos/video235052490/

168

• „Gefährliche Sozialschädlinge“ (Rainer Stinner)65
• „Müsste ich einen Film drehen mit jemandem, der
sich nicht impfen lassen möchte, würde ich das nicht
tun“ (Natalie Wörner)66
• „Wer nicht geimpft ist, kann eigentlich nicht unter
Leute gehen“ (Peter Maffay)67
• „Sie sind wirklich zu prügeln, diese Menschen.“ (Heidelinde Weis)68
• „Aus ethischer Sicht sollte sich jeder Mensch impfen
lassen. […] Ich verstehe nicht, warum manche sagen:
Nein, der Impfstoff ist gefährlich […] Es gibt da eine
selbstmörderische Verweigerung, die ich nicht erklä-

Marie-Agnes-Strack-Zimmermann-FDP-zur-Pandemie-der-Ungeimpften.
html>, abgerufen am 12.07.2022.
65 Vgl. die Kleine Anfrage der fraktionslosen Abgeordneten Dana Guth, u. a. zu
dieser Äußerung des FDP-Politikers Rainer Stinner, Niedersächsischer Landtag, Drucksache 18/10029, online: <https://www.landtag-niedersachsen.de/
drucksachen/drucksachen_18_12500/10001-10500/18-10029.pdf>, abgerufen am 01.08.2023.
66 Tobias Render, „Natalie Wörner redet Corona-Tacheles. ‚Ich würde
nicht mit Ungeimpften drehen.‘ Die Schauspielerin über Impfverweigerer, Querdenker und warum sie bald mit einem Lockdown rechnet“, in:
Bild, 14.11.2021, online: <https://www.bild.de/unterhaltung/leute/leute/
natalia-woerner-ueber-corona-ich-wuerde-nicht-mit-ungeimpften-drehen-
78235282.bild.html>, abgerufen am 01.08.2023.
67 Claudia Reinhard, „Peter Maffay: ‚Wer nicht geimpft ist, kann eigentlich nicht unter Leute gehen‘“, online: https://www.berliner-zeitung.de/
wochenende/peter-maffay-wer-nicht-geimpft-ist-kann-eigentlich-nichtunter-leute-gehen-li.194252, abgerufen am 10.06.2023.
68 Redaktion exxpress, „‚Impfgegner prügeln‘, fordert Schauspielerin Heide
linde Weis im TV – und erntet dafür prompt Applaus von Publikum und
Gesprächspartnern“. Ausgabe vom 15.10.2022, online: <https://exxpress.at/
impfgegner-pruegeln-fordert-schauspielerin-heidelinde-weis-im-tv-unterapplaus>, abgerufen am 01.08.2023.

169

ren kann, aber man muss sich heute impfen lassen“
(Papst Franziskus)69
• „Die Bereitschaft zur eigenen Impfung ist konkreter
Ausdruck dieser Solidarität [mit verletzlichen Personen]“ (Bischof Gebhard Fürst)70
• EKD-Ratsvorsitzende plädiert nachdrücklich für allgemeine Impfpflicht (Annette Kurschus)71
Diese – bei weitem nicht vollständige – Blütenlese zeigt die
ganze Bandbreite feindlicher Haltungen: vom blanken Unverständnis für Maßnahmen-Kritiker bis hin zur Lust auf physische Gewalt, wie sie die Schauspielerin Heidelinde Weis in
der WDR-Sendung „Kölner Treff “ kundtat. Für ihre Prügel-
Empfehlung erntete sie spontanen Beifall, aber nicht ein einziges kritisches Wort der Moderatoren. Damit hatte sich die
ungeheilte belliphile Verstörung einer großen Mehrheit der
Deutschen in dramatischer Feindseligkeit wieder gezeigt. Diese
Spaltung in „Gute“ und „Böse“ setzt sich in der verweigerten
kritischen Diskussion um den Klimawandel und den UkraineKrieg fort. Die psychodynamisch bedingt behinderte Friedens-

69 Web.de, „Papst Franziskus ruft zu Corona-Impfungen auf – Kritik an Gewalt
in den USA“, online: https://web.de/magazine/politik/papst-franziskus-ruftcorona-impfungen-kritik-gewalt-usa-35422618, abgerufen am 10.06.2023.
70 Matthias Altmann, „Appell an die Solidarität: Die Kirche und die Corona-
Impfungen“, katholisch.de vom 22.01.2021, online: <https://www.
katholisch.de/artikel/28393-appell-an-die-solidaritaet-die-kirche-und-die-
corona-impfungen>, abgerufen am 08.06.2023.
71 Katholische Nachrichtenagentur, „EKD-Ratsvorsitzende plädiert nachdrücklich für allgemeine Impfpflicht“, katholisch.de vom 23.12.2021,
online: <https://www.katholisch.de/artikel/32496-ekd-ratsvorsitzendeplaediert-nachdruecklich-fuer-allgemeine-impfpflicht>, abgerufen am
08.06.2023.

170

fähigkeit kippt in der Gesellschaftskrise in die nächste Kriegslust, wobei durch die politisch-medial angestrebte Projektion
der alleinigen Schuld auf „die Russen“ die Belliphilie zur de
struktiven Tat weiterentwickelt werden kann. Der mörderische
völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands ist natürlich eine
sehr starke Herausforderung mit Verführungsgefahr, im verständlichen Verteidigungswunsch auch Kriegslust versteckt zu
transportieren und eine schwächere Friedensfähigkeit vollends
zu unterdrücken.
„Wehret den Anfängen“ bedeutet hier, dass sich jeder Einzelne der in ihm vorhandenen Streit-, Verfolgungs-, Denunziations- und Kriegslust erkennend stellt und um ihre Kontrolle
bis Auflösung ringt.
Demokratie-Spieler argumentieren oft sehr heftig dagegen,
heutige gesellschaftliche Verhältnisse mit denen des National
sozialismus oder DDR-Sozialismus zu vergleichen, denn das
würde die Verbrechen der Nazis oder der Stasi relativieren. Das
ist ein Totschlag-Argument für notwendige Kritik an gegenwärtigen Verhältnissen. Denn Vergleichen heißt, wie jeder
Zeithistoriker weiß, nicht Gleichsetzen, und der Vergleich psychodynamischer Grundlagen menschlichen Verhaltens und der
Vergleich psychosozialer Bedingungen für die Entwicklung normopathischer Verhältnisse ist zwingend, um der Gefahr erneuter Verbrechen vorzubeugen. Es geht doch nicht darum, Gräueltaten zu relativieren, sondern die Ursachen und Bedingungen
für solche Verbrechen zu verstehen, um wirklich Prävention zu
ermöglichen. Und dafür ist der kritische Blick auf die frühen
Entwicklungsbedingungen für Kinder unverzichtbar.
Der anwachsende Hass in den sozialen Netzwerken gegen „Obrigkeit“ und „Prominenz“ ist natürlich ebenfalls ein
schwerwiegendes Symptom belliphiler Verstörung und Entla171

dung. Allerdings sehe ich einen entscheidenden Unterschied
zwischen einem „Hass von oben“ und einem „Hass von unten“:
Offensichtlich sind beide Seien in krisenhafter Not, aber „oben“
ist zum Verstehen, Verändern und Helfen gemäß Artikel 64
des Grundgesetzes verpflichtet: „Ich schwöre, dass ich meine
Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz des
Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft
erfüllen und Gerechtigkeit gegen jeder Mann üben werde. (So
wahr mir Gott helfe.)“
Da ist kein Platz für Abwertung und Hetze gegen Kritiker. Regieren ist auch eine „elterliche“ Funktion. Ein gestörtes
Eltern-Kind-Verhältnis spiegelt sich in der Beziehungsstörung
Regierung-Volk und auch andersrum. Politik wie Eltern haben
die Pflicht, Verstörung und Hasse zu analysieren, um Verstehen
und Abhilfe schaffen zu können. Das ist etwas völlig anderes
als ein „Kampf gegen …“, als „Gesicht zeigen“, eine Wahl rückgängig zu machen72 oder statt Selbstkritik zu glauben, man hätte
etwas nur noch nicht richtig verständlich machen können. Das
ist alles genauso falsch und peinlich, wie wenn Eltern ein protestierendes Kind züchtigen möchten und behaupten würden,
dass ihr Handeln aus Liebe geschähe und dem Kind halt der elterliche Zwang noch eindringlicher klargemacht werden müsse.
72 Zur Äußerung der damaligen Bundeskanzlerin Merkel, die Ministerpräsidentenwahl 2020 in Thüringen, die zunächst ein FDP-Kandidat mit Hilfe von
AfD-Stimmen gewonnen hatte, sei „unverzeihlich“ und müsse „wiederholt“
werden, siehe die Rüge des Bundesverfassungsgerichts vom 15.06.2022, die
Kanzlerin habe die Chancengleichheit der Parteien verletzt. Zur anschließenden „Regierungskrise in Thüringen 2020“ siehe den ausführlichen
Eintrag auf Wikipedia. Online: <https://www.bundesverfassungsgericht.
de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/bvg22-053.html>, <https://
de.wikipedia.org/wiki/Regierungskrise_in_Thüringen_2020>.

172

13 Bellizistische Politik

Mit Bellizismus wird eine politisch, zumeist stark ideologisch
begründete, grundsätzliche Befürwortung des Krieges bezeichnet. Bellizismus meint auch, dass im Falle internationaler
Konflikte den militärischen Möglichkeiten gegenüber den diplomatischen Mitteln der Vorzug gegeben wird.
Im Begriff Bellizismus sind Bedeutungen eingeschlossen,
die in Deutschland seit 1945 – und ganz besonders in der
DDR – absolut verpönt waren: wie Kriegshetze, Kriegstreiberei,
Kriegsverherrlichung. Deutsche Politik war jahrzehntelang von
eher pazifistischen Einstellungen geprägt: „Nie wieder Krieg!“,
„Keine Lieferung von Waffen in Krisengebiete!“ Wiederholte
Bundeswehreinsätze im Ausland weichten diese Position allerdings schon vor 2022 immer mehr auf.
Berühmt-berüchtigt wurde 2004 die Rechtfertigung des
Afghanistan-Einsatzes durch Verteidigungsminister Peter
Struck (SPD), die Sicherheit der Bundesrepubik werde „auch
am Hindukusch verteidigt“. Gegen den Vorwurf bellizistischer
Einstellungen brachten die Apologeten neuer verteidigungspolitischer Richtlinien Argumente vor wie „friedenssichernde
Maßnahmen“, „Schutz der Zivilbevölkerung“, „militärische
Ausbildung“, „Aufklärung“, „Unterstützung“, um jeden Verdacht auf einen neuen Militarismus abzuwenden. So war es der
Bundesregierung auch immer wichtig, sich auf UNO-Mandate
berufen zu können. Im Bosnienkrieg (1992–1995) nahm die
Bundeswehr anfangs nur unterstützend teil. 1994 urteilte das
Bundesverfassungsgericht, sogenannte Out-of-area-Einsätze
seien verfassungskonform, wenn das Parlament zuvor zustim173

me. Im Sommer 1995 kam es dann zum Sündenfall: Deutsche
Jagdbomber flogen Angriffe auf die bosnisch-serbische Luftabwehr, um so anderen Nato-Flugzeugen die Durchsetzung des
vom UNO-Sicherheitsrat verhängten Flugverbots über Bosnien-
Herzegowina zu erleichtern – es war der erste Kampfeinsatz
deutscher Kräfte seit Ende des Zweiten Weltkriegs.73 Seither hat
die Scheu, in Kriege einzugreifen, beständig an Boden verloren.
Mit dem Ukraine-Krieg handelt deutsche Regierungspolitik eindeutig bellizistisch, indem sie durch finanzielle Unterstützung,
Ausbildung ukrainischer Soldaten, zunehmende Waffenlieferung und einseitige Kriegspropaganda für die Ukraine und
gegen Russland zur aktiven Kriegspartei geworden ist.
Was ist in Deutschland geschehen? Wird „nur“ eine starke
Abhängigkeit von den USA deutlich, wenn vor allem amerikanische Interessen zur Schwächung Russlands von der deutschen Politik vertreten und umgesetzt werden? Das reicht von
den Sanktionen gegen Russland, die der deutschen Wirtschaft
wahrscheinlich wesentlich mehr schaden als der russischen,
über den Wechsel vom preisgünstigen russischen Öl und Gas
zum erheblich teurerem US-amerikanischen Frackinggas, mit
dem erhebliche Umwelt- und Gesundheitsschäden verbunden
werden, bis hin zu der Sprengung der Pipeline Nord-Stream II,
die der Investigativ-Journalist Seymour Hersh mit entsprechenden Belegen der USA-Administration vorwirft.74 Im Dienste
73 Vgl. Christoph Schwegmann, „Bewährungsproben einer Nation. Die Entsendung der Bundeswehr ins Ausland“, mit einem Vorwort von Volker
Rühe, Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2011.
74 Seymour Hersh, „How America Took Out The Nord Stream Pipeline“,
veröffentlich am 08.02.2023 auf der Website des Autors, online: <https://
seymourhersh.substack.com/p/how-america-took-out-the-nord-stream>,
abgerufen am 12.07.2023.

174

der USA zu handeln, entspricht den bekannten amerikanischen Interessen, eine eurasische friedliche und ökonomische
Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland zu verhindern75, um möglichst einzige Weltmacht einer sogenannten
unipolaren Welt zu sein. Auffällig dabei ist, dass deutsche Politik die Selbstschädigung nicht nur akzeptiert, sondern mit den
Maßnahmen gegen Russland und den irrationalen Entscheidungen zur Energiewende auch aktiv betreibt. Es gibt einen
furchtbaren, völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die
Ukraine und es gibt einen destruktiven Bellizismus der USA
und der EU gegen Russland, der bisher vor allem auf Kosten
der Ukraine mit hunderttausenden Toten und Verwundeten,
mit schwersten Zerstörungen und Millionen von Geflüchteten
ausgetragen wird.76 Je länger dieser wahnsinnige Krieg geführt
wird, desto schlechter für die Ukraine, für Russland und die EU
und desto besser für die USA.
75 „Das primäre Interesse der USA, wofür wir seit einem Jahrhundert die
Kriege führen – Erster und Zweiter Weltkrieg und Kalter Krieg – waren
die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Denn vereint sind
sie die einzige Macht, die uns bedrohen kann, und unser Interesse war
es immer, sicherzustellen, dass das nicht eintritt.“ So George Friedman,
Spezialist für Geopolitik, an einem Gastauftritt beim Chicagoer Council on Global Affairs am 03.02.2015. Mit deutschen Untertiteln auf englisch nachzuhören und anzuschauen auf YouTube, online: <https://www.
youtube.com/watch?v=gcj8xN2UDKc>.
76 Bekanntlich ist die Wahrheit das erste Opfer des Krieges, und so sind Angaben über Kriegstote und Verwundete mit Vorsicht zu genießen. Anfang
April 2023 geleakte Geheimdokumente des US-Geheimdienstes sprachen
für die ukrainischen und russischen Streitkräfte von geschätzt 51.000 bis
60.500 Toten und 310.000 bis 354.000 Verwundeten insgesamt. Vgl. Nils
Metzger, „Geheime Pentagon-Papiere im Netz. So hoch sollen Kiews Verluste sein“, ZDF Heute vom 12.04.2023, online: <https://www.zdf.de/nachrichten/politik/pentagon-leaks-usa-verluste-ukraine-krieg-russland-100.
html>. Nicht berücksichtig sind im ZDF-Bericht die laut UN-Angaben
etwa 9.000 zivilen Opfer in der Ukraine und 14 Millionen Geflüchtete.

175

Allerdings genügt der Blick auf politische, ideologische
Positionen und Profitinteressen nicht für eine ausreichende
Deutung der Hintergründe, denn sehen muss man, dass Politik von Menschen mit ihren Entfremdungen gemacht wird und
überhöhte Geldgewinn-Interessen besonders von psychosozial
gestörten Menschen entwickelt werden. Das gilt für Corona-
Lockdowns, Impfkampagnen, irrationale Klimapolitik und den
Ukraine-Krieg gleichermaßen. Wir sind im Moment Zeugen,
Opfer und Täter des Endes einer Normopathie, in der gestörte, normopathische Menschen andere selbstentfremdete Menschen mit Angstpropaganda dazu bringen, lieber kollektive
Selbstschädigung bis hin zum Sich-töten-Lassen zu begehen,
als ihre Fehlentwicklung schmerzlich zur Kenntnis nehmen zu
wollen.
Die Verleugnung der Realität entspricht dem Sinnbild der
drei Affen: das Schlechte nicht sehen, nicht hören und nicht
darüber sprechen wollen. Eine solche hochabnorme Abwehr
(„Wir haben das ja alles nicht gewusst!“) schwerwiegender politischer Fehlentwicklung ist nur zu verstehen, wenn die ganz
persönliche Selbstentfremdung und schuldhafte Beteiligung an
der Normopathie unbedingt verborgen bleiben soll, um sich
vor der Wiederbelebung der bitteren und bedrohlichen frühen
Dramatik zu schützen. Das ist – wie wir aus den Therapien
wissen – deshalb so schwierig, weil es bei Frühtraumatisierung
im Grunde um Leben oder Tod geht. Wenn der Säugling und
das Kleinkind spüren, dass sie nicht gewollt, nicht erwünscht,
nicht wirklich angenommen, nicht bestätigt werden und sogar
direkte Ablehnung und Gewalt mit Blicken, Worten und Taten
erleben müssen, wird ihre Lebensenergie erheblich beeinträchtigt. Nur die Anpassung an die Interessen der Macht (Eltern,
Erzieher, Lehrer, Experten, Politiker) sichert ein Überleben, das
176

aber kein authentisches Leben sein kann. Eine spätere Einsicht
in die frühe Tragödie, die sie mühevoll überlebten, wäre dann
für die Betroffenen wie ein aus der Verdrängung geholtes Todesurteil der Frühbedrohung.
Spätestens dann, wenn ihr Gefühlsstau die Frühtraumatisierten für Bellizismus empfänglich macht, rächt sich das völlige Unverständnis, dass Friedensfähigkeit und Kriegslust eine
entwicklungspsychologische Genese haben und die Fähigkeit,
nicht-entfremdet leben zu können, wie auch, sich wirklich politisch demokratisch verhalten zu können, in der Beziehungskultur der ersten Lebensjahre erworben wird oder nicht. Dagegen
ist ein hochsubventionierter „Kampf gegen Rechts“ nicht nur
sinnlose Geldverschwendung, sondern Augenwischerei – als
könne man auf der Symptomebene die Ursachen erfolgreich
behandeln. Noch fataler als dieser irrige Ansatz sind seine Mittel: Mit Hetze, Denunziation, Diffamierung und Ausgrenzung
Andersdenkender wird genau das wieder praktisch vollzogen,
was zu bekämpfen vorgegeben wird.
Extremismus – egal welcher Couleur – ist immer ein Symp
tom psychosozialer Erkrankung. Ein „Kampf gegen …“ verstärkt mit belliphilen Mitteln die Verleugnung systemischer
Zusammenhänge. Leider ist es häufig so, dass ein Feindbild
gebraucht und genährt wird, um eigene Schuld und Betroffenheit an Fehlentwicklungen abzuwehren. „Kampf gegen …“ ist
belliphil, dagegen wäre „Kampf für …“, besser ein „Verstehen
und Helfen“, der angemessene demokratisch-paziphile Weg.
Extremisten werden nicht geboren, sondern durch destruktive
persönlich-familiäre und sozial-gesellschaftliche Einflüsse dazu
gemacht. Also gehören die frühen Beziehungsdefizite, die schädlichen Erziehungseinflüsse, ungerechte soziale Bedingungen
und die strukturelle Gewalt einer Gesellschaft auf den Prüfstand.
177

Der heute leider wieder erstarkte Bellizismus ist das Ergebnis der politisch-ideologischen belliphilen Herrschaft über die
Kinderstuben, die in der Krise der Gesellschaftsentwicklung am
Ende tatsächlich den Krieg als Rettung phantasieren kann. Eine
Einstellung mit mehreren nahezu perversen Vorteilen:
• für die sublimierte Abreaktion der eigenen Entfremdung mit Gefühlsstau gibt es „Gefühlssöldner“;77
• die verständliche und propagandistisch aufgeblähte
Kriegsangst ermöglicht, wie die Geschichte lehrt, eine
zunehmend diktatorische Herrschaft, die die verunsicherte Macht wieder stabilisiert;
• eine möglichst umfassende Zerstörung bietet Anreize
und Grundlagen für einen gewinnbringenden Wiederaufbau;
• wesentliche Gesellschaftsveränderungen lassen sich
ohne demokratische Kontrolle im Sinne des „Notstandes“ durchsetzen.
Die gegenwärtig zu beobachtende politische, wirtschaftliche
und psychosoziale Zerstörung Deutschlands scheint im Interesse des Hegemonen USA zu sein. Aber die aktive Selbst
77 Als „Gefühlssöldner“ verstehe ich alle Söldner, die der Gefühlsstau in
Dienst nimmt. Also nicht nur jene, die für Kriegsdienste angeheuert werden, sondern alle, die für die schmutzige Arbeit in der Politik, in der Wirtschaft, zur gewaltorientierten oder intriganten „Lösung“ von Konflikten
jeder Art benutzt werden. Auch kriminelle Bosse benutzen Söldner für
die Drecksarbeit. Selbst Denunzianten und Hetzer gegen Kritiker sind Gefühlssöldner für politische Interessen. Die Verfolgten erleiden Nachteile bis
zum Rufmord. Die eigentlichen politischen Strippenzieher können immer
noch die Meinungsfreiheit behaupten, haben aber andere ihren Hass oder
auch ihre Angst austragen bzw. bekämpfen lassen.

178

zerstörung Deutschlands und den relativ geringen Widerstand
in der deutschen Bevölkerung halte ich für das verhängnisvolle
Zusammenspiel bellizistischer Politik – als aktiver Rettungswahn – und einer massenhaften belliphilen Folgsamkeit – als
passive Rettungsillusion – einer narzisstischen Normopathie an
ihrem Ende. Diese Kollusion irrationaler Rettungsphantasien
in der Krise erklärt mir die bittere Realität diktatorischer Politik, medialer Propaganda und massenpsychologischer Unterwerfung.

179

14 „Feministische“ Kriegslust

Im Ukraine-Krieg haben führende deutsche Politikerinnen und
bekannte Persönlichkeiten des Landes eindeutig für die Kriegsführung und nicht für Friedensverhandlungen Stellung bezogen. Das ist aus meiner Sicht sehr erschreckend, da damit das
Weiblich-Mütterliche – das Verstehende und Beschützende – abdankt. Es gibt inzwischen zahlreiche Beispiele belliphiler Äußerungen von Politikerinnen. Dazu nur einige markante Beispiele:
• Außenministerin Annalena Baerbock: „Unsere Waffenlieferungen an die Ukraine, etwa zur Luftverteidigung, schützen Leben. […] Wenn die Ukraine den
Krieg nicht gewinnt, sind auch wir in Europa nicht
sicher.“78
• EU-Kommisionspräsidentin Ursula von der Leyen:
„Für alle Mitgliedsstaaten gilt, wer kann, sollte schnell
liefern [gemeint sind Waffen], denn nur dann kann
die Ukraine in ihrem akuten Abwehrkampf gegen
Russland bestehen.“79 Die Billigung weiterer Milliardenhilfen durch das EU-Parlament hieß sie mit den

78 Annalena Baerbock im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung vom
14.10.2022. Online nachlesbar nun auf der Website des Außenmi
nisteriums: <https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/interview-
aussenministerin-baerbock-sz/2557862>, abgerufen am 01.08.2023.
79 Gianluca Wallisch, „EU-Chefin Von der Leyen unterstützt Selenskyjs
Waffen-Appell“. Der Standard vom 18.04.2022, online: https://www.der
standard.de/story/2000135002226/eu-chefin-von-der-leyen-unterstuetztselenskyjs-appell, abgerufen am 01.08.2023.

181

Worten gut, es „sei absolut wichtig und notwendig,
das Land mit der militärischen Ausrüstung zu unterstützen, die es brauche, um sich zu verteidigen.“80
• Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des
Bundetages, Marie-Agnes Strack-Zimmermann,
machte sich Wünsche der Ukraine bei ihrem Besuch in Kiew zu eigen: „Ob die Panzerhaubitzen, die
Raketenwerfer, der Gepard oder demnächst Iris-T.
Das wird enorm wertgeschätzt. Schlussendlich ist es
aber für sie von Bedeutung, auch in Zukunft weitere schwere Waffen zu erhalten, weil die ukrainische
Armee deutlich mehr benötigt, um russische Stellungen erfolgreich zu bekämpfen.“ Sie sei entschieden
der Meinung, „dass Deutschland alles tun muss, um
der Ukraine zur Seite zu stehen und auch in Europa eine Führungsrolle übernehmen sollte“.81 Zuletzt
befürwortete die FDP-Politikerin die Lieferung von
Marschflugkörpern und damit die Ausweitung der
Kämpfe auf russisches Terrain, denn wegen der russischen Raketen müsse die Ukraine in die Lage versetzt werden, „gegen militärische Ziele – auch auf
russischem Boden – vorzugehen“.82
80 So zitiert sie das ZDF, vgl. „Von der Leyen in Kiew: EU: Ukraine-Hilfe
‚so lange wie erforderlich‘“, Meldung vom 15.09.2022, online: <https://
www.zdf.de/nachrichten/politik/leyen-besuch-selenskyi-ukraine-krieg-
russland-100.html>, abgerufen am 01.08.2023.
81 Thorsten Jungholt, „Ein Atomschlag würde die Ächtung Russlands bedeuten“, Die Welt vom 07.10.2022, online: <https://www.welt.de/politik/
ausland/article241484907/Strack-Zimmermann-zu-Besuch-in-der-UkrainePutin-zieht-alle-Register-um-die-weichen-Europaeer-muerbe-zu-machen.
html>, abgerufen am 01.08.2023.
82 So gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 02.08.2023.

182

• Die ARD-Moderatorin Anne Will im März 2023 zur
Waffenlieferung in die Ukraine: Es gehe darum, „jetzt
schnell zu sein mit dem Munitionsnachschub, denn
da wird ja Tag für Tag richtig viel verbraucht und
das müsste auch allen klar sein, dass solche Blockaden [von Waffenlieferungen] jeweils Menschenleben
kosten“.83
Derartige Positionen zu Waffenlieferungen sind nach meinem
Verständnis belliphil pervertiert, denn Waffenlieferung in aktuelle Kriegsgebiete sind Beihilfe zum Töten, bedeuten auf jeden
Fall eine Tötungsabsicht.
Der Kabarettist Uwe Steimle hat in seinem Programm über
die Behauptung, dass deutsche Waffen „reine“ Verteidigungswaffen seien, länger nachdenken müssen, was das wohl heißen
könnte, und war zu der Erkenntnis gelangt, damit könne nur
eine „Gulaschkanone“ gemeint sein.84 Schön, wenn bei aller
Verzweiflung über Kriegstreiberei noch ein kleiner Raum für
Ironie und Humor bleibt.
Als 2014 die damalige schwedische Außenministerin Margot Wallström das Schlagwort einer „feministischen Außenpolitik“ als Maßstab für internationale Beziehungen vorschlug,
mit der Gewalt und Diskriminierung überwunden werden solle, zugunsten einer Politik der Geschlechtergerechtigkeit und
Menschenrechte, schien sich endlich eine Friedenspolitik gegen
jeden Bellizismus durchzusetzen. Der Begriff wurde auch in
83 Anne Will in ihrer Talkshow zum Thema „Gegenoffensive der Ukraine
– Kann sie die Wende im Krieg bringen?“, in: Anne Will, ARD, Sendung
vom 07.05.2023.
84 Uwe Steimle, „Mit Geduld und Spucke“, Veranstaltung im Steintor-Varieté
Halle am 07.05.2023.

183

den Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP 2021
aufgenommen und in Leitlinien des Auswärtigen Amtes ausformuliert.85
Als die beiden feministisch und politisch prominenten
Frauen Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht im Februar
2023 eine Online-Petition mit dem Titel „Manifest für Frieden“ gestartet hatten und in kürzester Zeit fast 800.000 Unterschriften der Zustimmung bekamen, schien eine feministische
Außenpolitik in der deutschen Gesellschaft angekommen zu
sein. Der wesentliche Inhalt des Manifestes ist: eine Eskalation
durch Waffenlieferungen zu stoppen und sich für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen einzusetzen, um weitere
hunderttausende Tote zu verhindern.86
Bundeskanzler Scholz hat sich daraufhin umgehend öffentlich bei Maybrit Illner vom „Manifest für Frieden“ distanziert.87
Und sehr bald dominierte öffentlich-rechtlich und in führenden Print-Medien eine heftige abwertende Kritik am Friedens
manifest. Damit wurde das Bemühen deutscher Frauen, die
Idee und Notwendigkeit, eine von weiblichen Bedürfnissen und
Fähigkeiten getragene Friedenspolitik zu gestalten, vor allem
mit ideologischen Argumenten (keine deutliche Abgrenzung
gegen „Rechte“ und Unterstützung russischer Interessen) diffamiert, zugunsten der Dominanz „feministischer“ Kriegslust
durch die genannten führenden Macht-Politikerinnen.
85 Annalena Baerbock, „Feministische Außenpolitik gestalten. Leitlinien
des Auswärtigen Amtes“, online: <https://www.auswaertiges-amt.de/
blob/2599746/2414ad4186223471a1e5db6ef92e8114/ffp-de-data.pdf>.
86 Siehe Fußnote 1.
87 „Krieg, Krisen, Koalition – wie gut führt der Kanzler?“ Bundeskanzler
Olaf Scholz stellt sich den Fragen von Maybrit Illner, ZDF-Sendung vom
23.02.2023.

184

In meiner therapeutischen Arbeit mit den Analysen
menschlichen Verhaltens – vor allem als Folge von Frühtraumatisierungen – hatte ich, wie schon in Kapitel 7 im Zusammenhang mit Kinderfeindlichkeit kurz skizziert, den LilithMythos als mögliche Deutung dafür gefunden, inwiefern ein
weiblicher Einfluss auch dunkle Seiten haben kann.88
In unserer narzisstischen Normopathie, die bisher vor allem
patriarchal dominiert war, ist dieser Mythos leider weitgehend
unbekannt. Aus der Bibel ist er so gut wie verbannt. Nur noch
Jesaja 34,14 erwähnt Lilith auf die allerkürzeste Weise und
macht aus ihr eine Aussätzige, eine dämonische Erscheinung.89
Nach der jüdischen Überlieferung schuf Gott als erste Menschen Adam und Lilith aus gleicher Erde. Lilith war nicht bereit,
sich Adam zu unterwerfen und bestand auf Gleichwertigkeit
mit Adam, da beide eben aus gleicher Erde geschaffen waren.
Symbolisiert wird der Konflikt zwischen Adam und Lilith, indem sich Lilith weigert, im Sexualakt nur unter Adam zu liegen.
Vielmehr will sie aktiv die sexuelle Vereinigung mitgestalten,
etwa indem sie auf Adam reitend sitzt. Eine Verständigung zwischen ihnen gelang nicht – was mich nicht wundert, denn sie
waren nur von einem Vater-Gott geformt und nicht von einem
Götter-Paar gezeugt und geboren worden. Und damit war von
Anfang an „Muttermangel“ als Ursache narzisstischer Fehlentwicklung symbolisiert. Der Kampf um die Macht zwischen
Adam und Lilith endete mit der Flucht oder der Vertreibung
88 Hans-Joachim Maaz, „Der Lilith-Komplex“, Verlag C.H.Beck, München
2003.
89 Jesaja 34,14, „Da werden Wüstentiere und wilde Hunde einander treffen,
und ein Bocksgeist wird dem andern begegnen. Auch Lilith wird dort
hausen und ihre Stätte finden.“ Zitiert nach der modernisierten Lutherbibel von 2017.

185

Liliths aus dem Paradies. Seitdem gilt Lilith in den weiteren
Überlieferungen als „wollüstiges Weib“, das Männer betört und
beherrschen will und Kinder ablehnt, diese raubt und tötet. Andererseits wird Lilith im feministischen Verständnis als Schutzgöttin der Masturbation und Prostitution verehrt.
Wie die Geschichte weiterging, wissen wir, der verlassene
Narzisst Adam bekam vom Vater-Gott eine zweite Frau – Eva –,
aber jetzt nicht mehr aus gleicher Erde, sondern aus einer Rippe
Adams geschaffen. Damit war in der christlichen Auslegung
die Gleichberechtigung von Mann und Frau aufgehoben und
in Hierarchie verwandelt: hier das dominante männliche, dort
das inferiore weibliche Geschlecht.
Lilith symbolisiert wesentliche Aspekte des Weiblichen:
Macht, lockende Verführung, Eigenwille, aktive Sexualität und
Kinderfeindlichkeit, lauter Eigenschaften, die in den christlichen Gesellschaften tabuisiert bis diffamiert sind.
Der unvermeidbare kinderablehnende bis kinderfeindliche Aspekt ist im Ergebnis meiner therapeutischen Arbeit mit
Mütterlichkeit praktisch in jeder Frau zu finden. Ganz deutlich
ist das, wenn Frauen zugunsten ihrer Karriere auf Kinder verzichten. Auch gibt es ideologisch motivierte Fälle, wo jemand
womöglich aus Gründen der „Klimarettung“ keine Kinder akzeptieren will. Des Weiteren sind da die Frauen, die aus echter
oder vorgeschobener Besorgnis keine Kinder mehr in diese bedrohte Welt gebären wollen. Dann jene, die Mutter geworden
sind, jedoch ihr Muttersein bereuen – sie werden in modernen
Gesellschaften anscheinend vernehmlicher.90 Und schließlich
90 Jenseits autobiografischer Bekenntnisse liegen dazu mittlerweile auch empirische Studien vor. Stark rezipiert zumal in Deutschland wurde die 2015
erschienene Untersuchung der israelischen Soziologin Orna Donath, die

186

jene Mütter, die sich, oft genug auch ohne dies zu bemerken
oder wahrhaben zu wollen, schlicht kinderfeindlich verhalten
(siehe Mutterbedrohung, Mutterbesetzung, Muttermangel und
Muttervergiftung im Abschnitt „Kriegslust als Folge der Mütterlichkeitsstörungen“ in Kap. 5). Als eine Symptomatik schwerster
Lilith-Pathologie kann dann das Aussetzen des Kindes oder die
Kindstötung verstanden werden. Hier bekommt dann zurecht
der Lilith-Aspekt strafrechtliche Relevanz, obwohl man dabei
unbedingt die schwere Not dieser verstörten Mütter sehen und
sich ihrer helfend annehmen muss.
Der durchschnittliche Lilith-Komplex entsteht durch die
Leugnung der kinderablehnenden Einstellungen, die in jeder
Mutter zu finden sind. Eine negative Einstellung zum Kind ergibt sich nachvollziehbar aus der mütterlichen Überforderung,
so ausschließlich und umfassend für das Kind da sein zu sollen,
wie es das Kind am liebsten hätte. Jede Mutter bleibt aber auch
ein Mensch mit ganz individuellen Bedürfnissen, sie bleibt in
aller Regel Partnerin – als Alleinerziehende ist sie schon fast
automatisch eine Lilith wegen der Überforderung –, sie bleibt
an Sexualität interessiert und an beruflicher Entwicklung, und
Hausarbeit muss sie ja auch erledigen. Mutter-Sein ist prinzipiell eine Belastung, und sie kann als besonders drückend empfunden werden, sei es aufgrund der Persönlichkeit der Mutter,
sei es wegen des Fehlens familiärer und sozialer Unterstützung,

sich Frauen widmete, die auf die Frage „Wenn Sie die Zeit zurückdrehen
könnten, mit Ihrem heutigen Wissen und Ihrer Erfahrung, würden Sie
dann nochmal Mutter werden?“ mit Nein geantwortet hatten. Tenor der
Antworten dieser Frauen war, dass sie angaben, ihre Kinder zu lieben, ihre
Mutterrolle jedoch wie ein Gefängnis zu erleben und sie zu hassen. Orna
Donath, „Regretting Motherhood. Wenn Mütter bereuen“, Knaus Verlag,
München 2016.

187

sei es durch eine ideologisch pervertierte Mutterideologie, die
mit ihrer alternativen oder christlichen Verehrung der Mutter
derart überzogene Rollenanforderungen schafft, dass Frauen
ihr nicht gerecht werden können. Eine politisch gewollte Abwertung des Mütterlichen steigert die Freude, Kinder zu haben,
natürlich ebenfalls nicht.
Der Lilith-Komplex, der zu einer Beschädigung des Kindeswohles und zu einer Verstörung seiner Entwicklung führt,
entsteht vor allem durch die Verleugnung der Überforderung
durch das Kind. Aber das Kind spürt genau, ob es liebevoll
akzeptiert ist oder irgendwie abgelehnt wird, natürlich ohne es
verstehen zu können, wenn es ihm nicht erklärt wird. Wenn die
Mutter ihre situative Begrenzung erklärt, kann das Kind traurig
und enttäuscht sein und wird nicht durch falsche Botschaften
irritiert. Nur der erlebte Widerspruch zwischen Mutters behaupteter „Liebe“ und ihrer spürbaren Distanz verursacht eine
Verstörung des Kindes, die krank oder verhaltensauffällig machen kann.
Der kinderfeindliche Lilith-Komplex wird in den genannten frühen Mütterlichkeitsstörungen transportiert und sozial
vor allem in einer zu frühen Trennung von Mutter und Kind
durch eine in aller Regel ungenügende Krippenbetreuung realisiert. Große Teile feministischer Politik haben Mütterlichkeit
als wichtigste frühe Beziehungsqualität abgewertet und durch
egoistische, karrieristische und ökonomische Aspekte kinderfeindlich ersetzt und damit den Lilith-Komplex (die Leugnung
der Kinderfeindlichkeit) an die Macht gebracht.
Diese Zuspitzung der Lilith-Herrschaft müssen wir
schmerzvoll in der dominierenden feministischen belliphilen
Außenpolitik zur Kenntnis nehmen. Hier wird die Kindes
tötung zur realen Politik, denn mit jeder Waffenlieferung wer188

den vor allem Söhne (auch Töchter) getötet. Offenbar macht
es die große Distanz zwischen Entscheidungsbüro und der
realen Kriegsfront leicht, töten anzuordnen, zu unterstützen,
zu wünschen. Der Lilith-Komplex versteckt sich dann in der
Einstellung oder Überzeugung von „Verteidigung“, „Rettung
von westlichen Werten“ (kinderfeindlichen?) und der moralischen Berechtigung, einen Aggressor zu begrenzen oder zu
vernichten.
Ich lege Wert darauf, dass erkannt werden kann, dass mit
den Begriffen „Verteidigung“, „Schutz“, „Rettung“, „Werte“ im
Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg Tod transportiert und
Töten gefördert und unterstützt wird. Der Ukraine-Krieg wäre
ohne westliche Waffenlieferungen schon längst zu Ende und
Hunderttausende getötete Söhne und Töchter könnten noch
leben.

189

15 Kann ein Krieg gerecht sein?

Die Frage, ob es überhaupt einen gerechten Krieg geben kann,
wird seit Jahrhunderten diskutiert. Dabei werden im Wesentlichen Rechtsfragen erörtert: Das Recht zum Krieg habe nur eine
rechtmäßige Autorität, also eine Regierung, die legitimerweise
an die Macht gekommen ist. Sie muss überdies einen gerechten
Grund, gerechte Absichten und gerechte Ziele vorweisen können, um in den Krieg ziehen zu dürfen. Man sieht bereits hier,
wie historisch variabel die Kriterien sind. Königen genügte früher die dynastische Erbfolge, gepaart mit „Gottesgnadentum“,
um rechtmäßige Autorität zu behaupten – heute verlangen wir
von Regierungen, demokratisch gewählt zu sein. Ein weiterer
starker Gesichtspunkt ist die Verhältnismäßigkeit von Zweck
und Mittel. Dazu gehören dann auch Regeln für die Kriegsführung, der Schutz der Zivilbevölkerung und der Kriegs
gefangenen. Dabei war und ist es oft so, dass beide kriegsführenden Parteien einen gerechten Grund für den Krieg anführen.
Immanuel Kant war der Meinung, dass allein durch rechtliche
Regeln für Kriege kein Frieden erhalten werden könne, nur
ein allgemeines Völkerrecht, das mit Machtmitteln durchzusetzen wäre, könnte Frieden dauerhaft sichern.91 In Kants Schrift
„Zum ewigen Frieden“ werden dann politische Bedingungen
genannt, um ein allgemeingültiges Völkerrecht wirksam eta
blieren zu können: keine Geheimpolitik, keine stehenden Hee91 Immanuel Kant: „Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig
sein, taugt aber nicht für die Praxis“, referiert nach Wolfgang Huber, HansRichard Reuter, „Friedensethik“, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1990.

191

re, keine Staatschulden zum Zwecke der Kriegsführung, innere
Rechtsstaatlichkeit u. a.92 Die psychischen Voraussetzungen in
den Menschen waren bei Kant, meines Wissens auch bei allen
späteren juristischen Bemühungen zum Friedenserhalt und zur
Kriegsächtung, kein Thema.
In der Charta der Vereinten Nationen verpflichten sich die
Staaten zu einem generellen Gewaltverbot zur Wahrung des
Weltfriedens. Der UN-Sicherheitsrat hat aber die Befugnis, ein
militärisches Eingreifen zu beschließen, wenn es zu einer Bedrohung oder einem Bruch des Friedens kommt. Ein sogenannter „gerechter Krieg“ könne nur dann bestätigt werden, wenn er
nach den Grundsätzen der UNO autorisiert und geführt wird.
Sind Pazifismus und Kampfeinsätze irgendwie miteinander
vereinbar? Für den seit dem Ersten Weltkrieg sich entwickelnden Pazifismus werden Kriterien für einen gerechten Krieg93
genannt: z. B. schwere moralische Schuld auf einer der beiden
Seiten, Krieg erst nach Fehlschlägen mit großem Bemühen verfolgter friedlicher Verständigung, die Absicht, Gutes zu fördern
und Böses zu vermeiden, Gewissheit, dass der Sieg einer gerechten Sacht diene, Verhältnismäßigkeit der Mittel u. a. Dabei
war schnell klar, dass diese Bedingungen angesichts der modernen Waffentechnik und Kriegsführung und bei den erheblichen
politischen und ethischen Unterschieden in unserer Welt nicht
erfüllbar sind. Mit dieser Erkenntnis sei bei pazifistischer Einstellung nur eine Kriegsdienstverweigerung möglich.

92 Immanuel Kant: „Zum ewigen Frieden“, Reclam Universal-Bibliothek,
Band 14382, Ditzingen 2022.
93 Franziskus Maria Stratmann, „Weltkirche und Weltfriede“, Haas & Grabherr Verlag, Augsburg 1921.

192

Der Ökumenische Rat der Kirchen erklärte 1948 angesichts
des mit Massenvernichtungswaffen führbaren totalen Krieges:
„Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein! Die Rolle, die der Krieg im heutigen internationalen Leben
spielt, ist Sünde wider Gott und eine Entwürdigung des
Menschen. […] Der Krieg ist heute etwas völlig anderes als früher. Wir haben jetzt den totalen Krieg. Der
ungeheure Einsatz der Luftwaffe und die Entdeckung
der Atombombe und anderer neuer Waffen: Dies alles
führt in einem modernen Krieg zu unterschiedslosen
Zerstörungen in einem Umfang, wie ihn die Welt bei
früheren Kriegen nicht gekannt hat. Die herkömmliche Annahme, dass man für eine gerechte Sache einen
gerechten Krieg mit rechten Waffen führen könne, ist
unter solchen Umständen nicht mehr aufrecht zu erhalten.“94
Ich schließe mich dieser Argumentation an, dass schon wegen
der modernen Waffen und der möglichen technischen Kriegsführung ein gerechter Krieg nicht möglich ist, weil er sich nicht
einhegen lässt. Aber noch viel mehr zählt aus meiner Perspektive die entscheidende Tatsache, dass Krieg niemals gerecht
sein kann, weil er von oben erklärt und befohlen wird. Die, die
ihn anzetteln, nehmen persönlich-körperlich nicht am Krieg
teil. Die jeweiligen politischen Machthaber halten sich aus der

94 Studienabteilung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf (Hrsg.),
„Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan“, Amsterdamer ökumenisches Gespräch 1948, Band 4: Die Kirche und die internationale Unordnung, Gotthelf-Verlag Zürich 1948.

193

Schusslinie und überlassen die praktische Kriegsführung abhängigen Menschen. Und das betrifft nicht nur autoritäre Systeme, sondern auch demokratische, in denen es ebenso wenig
ein Recht geben kann, Menschen bewusst und gezielt in den
Tod zu schicken.
Krieg bedeutet immer Tod und Zerstörung. Ich kann kein
Recht erkennen, das es einer Regierung erlauben könnte, Befehle zu erteilen, dass sich Menschen schwer beschädigen oder
töten lassen oder andere Menschen ermorden. Ich erinnere
an den Ausspruch von Kurt Tucholsky aus dem Jahre 1931,
„Soldaten sind Mörder“, dessen Zitat in der Bundesrepublik
erneut juristische Auseinandersetzungen auslöste, bis das Bundesverfassungsgericht 1995 entschied, dass das Tucholsky-Wort
vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt sei, weil es zu
allgemein gefasst sei, als dass es jemanden persönlich oder die
Institution Bundeswehr beleidigen könne. Schärfer noch als Tucholsky formulierte Martin Niemöller. Der damalige Kirchenpräsident von Hessen-Nassau stellte in seiner Kasseler Rede
1959 fest, dass „die Ausbildung von Soldaten die Hohe Schule
für Berufsverbrecher ist. Mütter und Väter sollen wissen, was
sie tun, wenn sie ihren Sohn Soldat werden lassen. Sie lassen
ihn zum Verbrecher ausbilden.“95
Die wesentlichen Interessen, für die Kriege erklärt und befohlen werden, sind Gebietsansprüche, Bodenschätze, geopolitische Vorteile – im Wesentlichen geht es um Macht und Profit.
Damit ist „Gerechtigkeit“ ausgeschlossen: Es profitieren nur die
Machteliten im Falle eines Sieges, aber immer sind Soldaten
und Zivilisten die Opfer. Diese Ungerechtigkeit wird auch nicht
95 Niemöllers Kasseler Rede vom 25.01.1959, Stimme-Verlag, Darmstadt
1959.

194

mit der Behauptung aufgehoben, es handele sich ja „nur“ um
einen Verteidigungskrieg, der doch gerechtfertigt sei, um einen
Angriffskrieg zu stoppen. Auch die kriegerische Verteidigung
bedeutet Tod und Töten. Alle Argumente für die Verteidigung:
zum Schutz von Gebieten, der Heimat, der Nation, der Kultur,
zum Erhalt bestimmter Werte ändern nichts an der Tatsache,
dass getötet wird und vor allem getötet werden soll. In der
Kriegspropaganda gibt es dann auf der einen Seite „Helden“,
die „gefallen“ sind, und auf der anderen Seite Kriegsverbrecher,
die ihre gerechte Strafe erfahren. Aber den Tod interessiert das
nicht, nur die Kriegstreiber unterscheiden zwischen den zu feiernden Toten beim Gegner und den eigenen „traurigen“ Opfern
im gerechten Kampf. Die Kriegspropaganda verliert dann den
letzten humanen Anstand, wenn man möglichst viele Verluste
des Feindes aufzählen kann.
Zum Krieg gehört die Tatsache, dass sich jede Seite als „die
Guten“ behauptet und der Gegner natürlich die absoluten „Bösen“ sind.
Eine solche Spaltung in „wir, die Guten“ und „der Feind, die
Bösen“ ist die regelhafte, aber eben auch sehr primitive Lüge in
jedem Krieg. Die Kriegspropaganda schürt immer eine psychosoziale Regression auf ein Entweder-Oder. Verloren geht das
von seelischer Reife kündende Sowohl-als-auch. Dass sich viele Menschen sehr schnell auf eine solche Stufe psychosozialer
Unreife dehumanisieren lassen, ist nur möglich, wenn sie im
falschen Leben ihrer frühen Entfremdung gefangen sind und
unbewusst nur darauf lauern, ihren Gefühlsstau aus erlittener
Kränkung und Verletzung an einem aufgebauten Feindbild abreagieren zu können.
Es gäbe überhaupt keine Kriegsbereitschaft, wenn es keine
frühtraumatisierten Menschen gäbe. Sie gehorchen, denn aus
195

ihnen spricht das Größenklein, das sich vor dem Kriegsherren
nur erhebt, um ihm zu sagen: Größenselbst befiehl, wir folgen
dir! Aus psychodynamischer Sicht kann es keinen gerechten
Krieg geben, weil Krieg immer nur ein Symptom schwerer
kollektiver Psychopathologie ist: massenpsychologisch wirksame Frühtraumatisierung, Gefühlsstau, größenwahnsinnige
Rettungsillusion und Aufbau eines feindselig-rassistischen Popanz als Gegner. Der Feind muss ein „Teufel“ sein, damit man
ihn schuldfrei oder sogar mit Begeisterung töten kann. Der
Gefühlsstau des eigenen falschen – schuldhaften – Lebens bekommt endlich nicht nur eine Chance der aggressiven Abfuhr,
sondern Erlaubnis bis hin zum Befehl, was für die abhängigen
Menschen ganz wichtig ist, um die Hemmschwelle vor Gewalt
und Mord überwinden zu können.
Um Machtinteressen durchzusetzen, ist der Aufbau eines
Feindbildes notwendig. Erst als energetischer Ritt auf dem Gefühlsstau der Massen kann der Wahnsinn eines Krieges realisiert werden. Gesund sind dann nur noch die Kriegsdienstverweigerer und Deserteure – nicht als Überläufer, sondern als den
Krieg Fliehende. Auch das wäre aktuell eine große Friedensleistung der Europäer, statt Waffen in die Ukraine zu liefern,
zur Desertation aufzurufen und ukrainischen und russischen
Deserteuren Aufnahme und Schutz zu gewähren.
Im Zusammenspiel narzisstischen Größenwahns der geschützten Entscheider, der „Etappenhengste“, mit den Abhängigen im narzisstischen Größenklein an der Front geschieht
Befehlen und Gehorchen als letzter Versuch, das Ende einer
gemeinsam gestalteten, narzisstischen Normopathie zu vertuschen. Dazu muss ein Feindbild aufgebaut werden, um in einer
„Gemeinschaft der Not“ Verbrechen begehen zu können. Am

196

Ende korreliert die Zahl der Blutopfer mit dem Störungsgrad
der kriegsführenden Parteien.
Noch einmal: Der Ukraine-Krieg wäre schon längst zu Ende
und es könnten Abertausende Menschen jetzt und in Zukunft
noch leben, wenn „der Westen“ keine Waffen geliefert hätte
und das Tötungsgeschäft nicht weiterhin betreiben würde. Man
muss natürlich diskutieren, wer hier die eigentlichen kriegsführenden Parteien sind, die ich nicht nur im offenen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands, sondern auch in den
Kriegsinteressen der USA und der EU sehe, deren Machtkampf
auf bitterste und tragischste Kosten der Ukraine geschieht
und sowohl Russland als auch Europa schwer beschädigt. Um
Menschenleben zu retten, hätte die Ukraine schon längst kapitulieren können und müssen. Die riesige politisch-mediale
Propaganda gegen eine Kapitulation und die Unterstützung der
Ukraine für einen möglichst langen Krieg halte ich angesichts
der Tötungen auf beiden Seiten für absolut inhuman. Dass eine
massenpsychologische Unterstützung weiterer Waffenlieferungen und damit fortgesetzter Kriegsführung angestrebt wird und
zumindest ohne größeren Widerstand der Bevölkerung der EU
hingenommen wird, halte ich für normopathische Kriegslust.
Im Artikel 25 der Haager Landkriegsordnung heißt es: „Es
ist untersagt, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder
Gebäude, mit welchen Mitteln es auch sei, anzugreifen oder zu
beschießen.“96 Dafür wurde dann im Kriegsrecht der Begriff
„offene Stadt“ geprägt, also wenn eine Stadt nicht verteidigt
wird, darf sie auch nicht angegriffen oder bombardiert werden.
96 Online: <https://www.jura.uni-muenchen.de/fakultaet/lehrstuehle/satzger/
materialien/haag1907d.pdf>. Faksimile unter dem Link: https://www.1000
dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0201_haa&l=de.

197

Von diesem Kriegsrecht haben im Zweiten Weltkrieg viele Städte erfolgreich – also zum Schutz der Bevölkerung und der Gebäude – Gebrauch gemacht, z. B. Brüssel, Paris, Bordeaux, Rom,
Athen, Innsbruck, in Deutschland dann 1945 z. B. Göttingen,
Flensburg, Ahlen, Gotha. Im Unterschied dazu hat sich Magdeburg am 7. April 1945 zu einer Festung erklärt, die sich bis zum
letzten Blutstropfen verteidigen würde, und wurde „folgerichtig“ wenige Tage später schrecklich durch Luftangriffe zerstört.
Für die gegenwärtige Kriegssituation in der Ukraine ist es
bezeichnend, dass das humanitäre Völkerrecht im Sinne „offener Städte“ überhaupt nicht bedacht und diskutiert wird. So
hätten Städte wie Kiew, Mariupol, Charkiw, Bachmut, Odessa
als erklärte „unverteidigte“ Städte viel Tod und Zerstörung vielleicht verhindern können. Aber in der Ukraine dominiert eine
Kriegslogik der Unbesiegbarkeit, die deshalb absurd ist, weil sie
allein durch US-amerikanische und europäische Gelder und
Waffen genährt wird. Es besteht die Alternative eines tausendfachen Todes und schrecklicher Zerstörung oder die Schmach
russischer Besatzung. Und wer Besatzung als schlimmer erlebt
als Tod und Zerstörung, den halte ich für ein Opfer einer pathogenen Kriegslust.
Deutsche Politik erweist sich wieder einmal als nicht friedensfähig und mit der Zustimmung für Waffenlieferungen zeigen größere Teile der Bevölkerung ihre belliphile Verstörung.
Dass keine Verhandlungen für einen Waffenstillstand und
für Frieden entschieden geführt werden, wird propagandistisch
mit der Behauptung begründet, mit Putin könne man nicht
verhandeln – was erst einmal bewiesen werden müsste –, aber
noch viel schlimmer mit der beängstigenden Suggestion, dass
eine Kapitulation eine praktisch nicht mehr zu begrenzende
Ausbreitung russischer Herrschaft (als Inbegriff des Bösen)
198

bedeuten würde. Einmal mehr wird Angst propagandistisch
geschürt, um mit bellizistischer Politik die Massen zu manipulieren und Herrschaftsinteressen durchzusetzen. So wird
die Alternative in primitiver Abwehr als ein Entweder-oder
aufgemacht: Krieg oder Besatzung. Dabei wird Krieg offenbar
als die bessere, humanere Lösung als eine russische Besatzung
suggeriert. Der „Russe“ als „Teufel“ ist ein historisch schon öfter
bemühtes Zerrbild.
Doch wie sagt das Sprichwort: „Die Schafe haben ihr Leben lang Angst vorm Wolf, aber getötet werden sie von ihrem
Hirten!“
Aus meiner Sicht bedeutet die Alternative Krieg oder Besatzung nicht eine Entscheidung wie zwischen Cholera und Pest
und schon gar nicht zwischen einem kleineren Übel (Krieg)
und einem größeren (Besatzung), sondern zwischen zwei Dingen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Tod oder Leben!
Die propagandistische Verzerrung ist beträchtlich, wenn
z. B. Frau Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschuss im Deutschen Bundestag, davon ausgeht, dass
es Fakt sei, dass der Krieg zu Ende wäre, würde Russland den
Angriff auf die Ukraine einstellen.97 Aber das möglicherweise
gleiche Ergebnis, wenn die Ukraine die Verteidigung einstellen
würde, wird gar nicht bedacht, sondern als absolute Vernichtung suggeriert, wobei man sich auf eine Äußerung Dimitri
Medwedews bezieht. Der ehemalige russische Präsident hatte
gesagt, Russland trage keine Schuld daran, „dass die Ukraine
infolge all dessen, was passiert, die Überreste staatlicher Souveränität verlieren und von der Weltkarte verschwinden könn97 Marie-Agnes Strack-Zimmermann in der ARD-Sendung „Hart aber fair“
am 12.06.2023.

199

te“.98 Das war zweifellos eine Drohung, aber keineswegs mit
der vollständigen Auslöschung von Land und Leuten, sondern
mit der von Grenzverläufen. Ist die Souveränität eines Staates mehr wert als das Leben seiner Bürger? Faktisch wird die
Ukraine durch den fortgesetzten Krieg immer mehr zerstört,
weil die Alternative Krieg oder Besatzung gar nicht ernsthaft
erwogen wird.
Deutschland kennt seit 1945 das Leben unter Besatzung.
Dabei kann man sehr wohl wesentliche Unterschiede zwischen
US-amerikanischer und sowjetischer Besatzung erkennen, aber
weder die amerikanischen noch die sowjetischen Besatzer waren willens, Friedensfähigkeit zu fördern. Was nicht erstaunt,
da sie dazu ja selber – vor allem die USA mit den von ihnen
geführten zahlreichen Kriegen – nicht in der Lage sind.
„Besatzung“ – egal welcher politischen, ökonomischen und
religiösen Orientierung, bleibt eine wesentliche Behinderung
für die Entwicklung wirklicher demokratisch-freiheitlicher
Möglichkeiten, weil immer die Interessen der Besatzungsmacht dominieren werden. Da hilft auch keine Identifikation
mit den „westlichen“ Werten der USA, wie auch ehemals nicht
mit den „kommunistischen“ Werten der Sowjetunion. Im Demokratie-Spiel des Westens wird ungerechte Macht vor allem
ökonomisch und suggestiv-manipulierend durchgesetzt und im
Demokratie-Spiel des Sozialismus war es noch viel primitiver
durch Repression und Ängstigung. Aktuell macht Deutschland
als eine „Angstgesellschaft“ die Krise der narzisstischen Nor-

98 Dominic Johnson, „Eskalation im Kampf der Worte. Russland will nicht mehr
nur den Osten und Süden der Ukraine erobern. Stattdessen spricht das Land
indirekt von ihrem ‚Verschwinden‘“, in: die tageszeitung (taz) vom 21.07.2022,
online: <https://taz.de/Russlands-Angriff-auf-die-Ukraine/!5869475/>.

200

mopathie deutlich, in der die angstreich aufgebauten Feindbilder – Pandemie, Klimaveränderung und der russische Angriffskrieg – Einschränkungen fundamentaler Freiheitsrechts
und Kriegslust rechtfertigen sollen. Unreflektierte Anpassung
als Mitläufer oder Mittäter bedeutet individuell eine psychosoziale Erkrankungsgefahr und kollektiv die destruktive Ausgestaltung einer Normopathie bis zum „Endsieg“. Deutschland
ist auf dem besten Weg, sich nun endlich selbst zu besiegen.
Meine psychodynamisch begründete Position wird bei allen, die den Krieg brauchen, um endlich ein Ventil als „Gutmensch“, als „Wertemensch“ für ihren Gefühlsstau öffnen zu
können und in der Bereitschaft, das Töten zu unterstützen,
schuldfreie Anerkennung zu finden, hetzerischen Protest auslösen, aggressive Gefühlsstau-Energie für den Krieg oder gegen
Friedensbemühungen. Ich bin froh, dass ich für meine therapeutischen Erkenntnisse auch Worte großer Denker bestätigend finden konnte: So hat Erasmus von Rotterdam (†1536) –
niederländischer Theologe und Philosoph, der als „Fürst der
Humanisten“ bezeichnet wird – 1517 in seiner Schrift „Die
Klage des Friedens“ eine dezidiert pazifistische Position vertreten. Kriege lehnte er ab, mit einer Ausnahme: Nur wenn das
ganze Volk sich für einen Krieg ausspreche, sei er legitim. In der
Querela pacis vertrat er die Überzeugung: „Jeder noch so ungerechte Frieden, jeder noch so ungerechte Friedenszustand ist
dem scheinbar gerechtesten aller Kriege vorzuziehen“.99 Und in
seiner Schrift „Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen“ heißt
es:

99 Erasmus von Rotterdam, „Die Klage des Friedens / Querela pacis“, hrsg.
u. übersetzt von Kai Brodersen, Matrix Verlag, Wiesbaden 2018.

201

„Es ist jetzt schon so weit gekommen, dass man den
Krieg allgemein für eine annehmbare Sache hält und
sich wundert, dass es Menschen gibt, denen er nicht gefällt […] Wie viel gerechtfertigter wäre es dagegen, sich
darüber zu wundern, welch böser Genius, welche Pest,
welche Tollheit, welche Furie diese bis dahin bestialische Sache zuerst in den Sinn des Menschen gebracht
haben mag, dass jedes sanfte Lebewesen, das die Natur
für Frieden und Wohlwollen erschuf, mit so wilder Raserei, so wahnsinnigem Tumult zur gegenseitigen Vernichtung eilte. Wenn man also zuerst nur die Erscheinung und Gestalt des menschlichen Körpers ansieht,
merkt man denn nicht sofort, dass die Natur, oder vielmehr Gott, ein solches Wesen nicht für Krieg, sondern
für Freundschaft, nicht zum Verderben, sondern zum
Heil, nicht für Gewalttaten, sondern für Wohltätigkeit
erschaffen habe? Ein jedes der anderen Wesen stattete
sie mit eigenen Waffen aus, den Stier mit Hörnern, den
Löwen mit Pranken, den Eber mit Stoßzähnen, andere
mit Gift, wieder andere mit Schnelligkeit. Der Mensch
aber ist nackt, zart, wehrlos und schwach, nichts kann
man an den Gliedern sehen, was für einen Kampf oder
eine Gewalttätigkeit bestimmt wäre. Er kommt auf die
Welt und ist lange Zeit von fremder Hilfe abhängig,
kann bloß durch Wimmern und Weinen nach Beistand
rufen. Die Natur schenkte ihm freundliche Augen als
Spiegel der Seele, biegsame Arme zur Umarmung, gab
ihm die Empfindung eines Kusses, das Lachen als Ausdruck von Fröhlichkeit, Tränen als Symbol für Sanftmut
und des Mitleids. Der Krieg wird aus dem Krieg erzeugt,
aus einem Scheinkrieg entsteht ein offener, aus einem
202

winzigen der gewaltigste […] Wo denn ist das Reich des
Teufels, wenn es nicht im Krieg ist?“100
Ich zitiere das so ausführlich, weil mit diesen Worten meine
Einstellung zum Frieden so treffend dargestellt wird und zugleich ein Appell an die Mächtigen gerichtet wird, die für Kriege
verantwortlich sind, diese auch zu verhindern.
Ich freue mich auch darüber, eine prominente christliche
Stimme gefunden zu haben, Papst Pius XII, der 1953 zum Verteidigungskrieg gesagt hat: „Wenn die Schäden, die er nach
sich zieht, unvergleichlich größer sind als die der geduldeten
Ungerechtigkeit, kann man verpflichtet sein, die Ungerechtigkeit auf sich zu nehmen.“101 Von dieser klaren Haltung ist die
heutige Kirche weit entfernt, streitet aber wenigstens noch über
die Bereitschaft, Waffen an die Ukraine zu liefern. So äußerte
sich der Friedensbeauftragte der EKD, der Magdeburger Bischof Friedrich Kramer: „Echten Frieden kann man nicht mit
Waffen schaffen.“102 Dagegen meinte die Präses der Synode der
Ev. Kirche in Deutschland, Anna-Nicole Heinrich, im Deutsch-

100 Ders., „Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen“, hrsg. und übers. von
Brigitte Hannemann, Kaiser-Verlag, München 1987.
101 Ansprache von Pius XII. an die Teilnehmer der sechzehnten Sitzung der
Internationalen Dokumentation für Militärmedizin am 19. Oktober 1953,
in: Hubert Mader (Hrsg.), „Quellen zum Friedensverständnis der katholischen Kirche seit Pius IX“, 120. Zit. nach einer Vorlesung von Manfred
Scheuer: „Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden“, online: https://
www.uibk.ac.at/peacestudies/downloads/peacelibrary/friedensethik2013.
pdf, abgerufen am 10.06.2023.
102 Uli Wittstock, „‚Sieg ist kein Frieden‘ – evangelische Kirche streitet über
Waffenlieferungen in Ukraine“, MDR am 05.11.2022, online: <https://
www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/magdeburg/magdeburg/synodeevangelische-kirche-waffenlieferungen-ukraine-krieg-frieden-100.html>.

203

landfunk, dass Waffenlieferungen an die Ukraine als ein unbestrittenes Selbstverteidigungsrecht gerechtfertigt seien.103
Abgesehen davon, dass eine differenzierte Sicht auf Angriff
und Verteidigung unterlassen wird und die primitive Spaltung
in Opfer und Täter, in Gut und Böse dominiert, wird auch
das „Selbstverteidigungsrecht“ zum Schaden von Millionen
Menschen instrumentalisiert. Das moralisch und strafrechtlich geschützte, individuelle Notwehr-Recht kann nicht dem
Selbstverteidigungsrecht eines Landes gleichgesetzt werden.
Vielleicht wäre eine Volksabstimmung denkbar – unter Ausschluss einer medialen Angst- und Bedrohungspropaganda –,
um erkennen zu können, ob das Volk sich wirklich im Krieg
opfern will oder ob nur Macht- und Ideologieinteressen verfolgt
werden, ohne Rücksicht auf das Wichtigste: Leben zu erhalten.
Ich sage abschließend zu diesem Thema: Die Frage nach einem gerechten oder Verteidigungskrieg beantwortete sich von
selbst, wenn Menschen an der Macht wären, die friedensfähig
sind und nicht belliphil. Hieße es: „Wir dienen dem Leben, der
Liebe, dem Frieden und nicht dem Gelde!“, und gäbe es mehrheitlich eine Bevölkerung, die aus psychosozialer Gesundheit
niemals in den Krieg ziehen würde, dann wäre Bellizismus Sache einer marginalisierten Minderheit, und alle anderen könnten lächelnd sagen: „Stell dir vor, die wollen Krieg und keiner
macht mit.“

103 Anna-Nicole Heinrich im Gespräch mit Benedikt Schulz, „Waffenlieferungen an die Ukraine sind gerechtfertigt“, Deutschlandfunk vom 17.04.2022,
online: https://www.deutschlandfunk.de/anna-nicole-heinrich-praesesevangelische-kirche-deutschland-100.html.

204

16 Der Kampf um die Zukunft

Kinder werden weiterhin durch autoritäre Erziehung oder
durch antiautoritäre Manipulation – auf jeden Fall durch frühe
Beziehungsstörungen – in großer Zahl ihrer selbst entfremdet: Sie erfahren nie umfassend, wer sie sind und sein können,
sondern nur, wer sie sein und werden sollen. Um bei Selbstentfremdung noch halbwegs gut oder sogar erfolgreich überleben
zu können, muss jeder Einzelne Kompensationen und Ersatz
für seine Defizite finden, was vor allem durch Anpassung an
die gewünschten bis geforderten äußeren Werte der jeweiligen
Zeit erfolgt. Der Mensch lernt Rollengehorsam. Es entsteht ein
permanentes Wechselspiel: Eine normopathische Gesellschaft
erzwingt durch Erziehung und Manipulation eine gewünschte
individuelle Entfremdung; die Masse der Entfremdeten gestaltet dann wieder die Normopathie aus.
Dieses suchtartige Wechselspiel muss zwangsläufig zusammenbrechen. Denn das falsche Leben in einer Normopathie
ermöglicht keine echte Befriedigung. Die Werte und Ziele sind
Kompensation: Man erntet Geld statt Liebe oder erringt Macht
statt Beziehung. Liebe und Beziehung sättigen und befriedigen
psychosozial, Geld und Macht sind grenzenlose, unendliche
Antreiber, weil sie keine natürlichen Bedürfnisse befriedigen.
Geld führt dann über eine angemessene Lebensversorgung
hinaus zur Gier und Macht pervertiert zur Herrschaft. Der
Suchtcharakter jeder Normopathie führt in die Krise. Dann
schwinden die Erfolge der immer weiter gesteigerten Ersatzbefriedigungen. Die Ablenkung und der Schutz durch Anpassung und Kompensation verlieren ihre Wirkung und der
205

selbstentfremdete Mensch ist seinen grundsätzlichen Defiziten
und wirklichen Sehnsüchten wieder so ausgeliefert wie in der
frühen Entstehungsgeschichte. Der Gefühlsstau wird aktiviert.
Eine vermeintliche Friedenseinstellung fällt in sich zusammen
und die verborgene Kriegslust bricht sich ihre Bahn.
In der Krise wird deutlich, wie grundsätzlich belliphil eine
finanzkapitalistische Normopathie ist. Es gibt eine systemimmanente belliphile Gewalt: Betrug, Korruption, aggressive
Konkurrenz, Erpressung, Ausbeutung, Verdrängung, Spionage,
Doping, Übervorteilung, Werbemanipulation, alles mögliche
Böse gegen Kritiker und Konkurrenten um die Macht, feindselige Übernahme, Kriminalität, Mord, Terror und Krieg. Mit
Demokraten, die ihren Namen verdienen, wäre das nicht möglich. Im Demokratie-Spiel kann das Belliphile lange versteckt
bleiben, solange Konsum, soziale Sicherheit und Animation für
die Mehrheit möglich sind. Die Sucht aber verlangt immer höhere Dosen der Kompensation, der Ablenkung und Betäubung,
bis alles dekompensiert. Ich bin davon überzeugt, dass das Ende
der bisherigen Strukturen im Demokratie-Spiel erreicht ist. Die
Folgen sind nicht mehr zu beherrschen: Überschuldung, kritische soziale Ungleichheit, Umweltzerstörung, Überbevölkerung, Energiemangel, Wassermangel, Migrationschaos.
Neue politische und ökonomische Verhältnisse und Strukturen müssen zwingend gefunden werden. Dabei verstehe ich
den „Great Reset“ von Klaus Schwab als einen Transformationsplan zugunsten der bisherigen Finanzmacht.104 Deren Herr104 Klaus Schwab/Thierry Malleret „COVID-19: Der große Umbruch“, Weltwirtschaftsforum, Cologny/Genf 2020. Dies., „Das große Narrativ – für
eine bessere Zukunft“, Weltwirtschaftsforum, Cologny/Genf 2022. Kritisch
dazu: C. E. Nyder, „Great Reset: Der Angriff auf Demokratie, Nationalstaat
und bürgerliche Gesellschaft“, Kopp-Verlag, Rottenburg 2021.

206

schaft soll immer weiter durch Zentralismus, Globalisierung,
Digitalisierung, Technokratismus und Transhumanismus ausgebaut werden, wobei größtmögliche Kontrolle über die Menschen das wesentliche Ziel des Machterhalts ist. Dabei wird
die kontrollierende Unterwerfung der Massen vor allem durch
Panikmache angestrebt und erreicht. Ich halte das insgesamt für
die hochabnorme, menschenfeindliche Zuspitzung des falschen
Lebens bis zum Exzess. Dagegen sehe ich die große Gruppe
der Menschen weltweit, die menschlicher, natürlicher, friedfertiger im Sinne einer basisdemokratischen Beziehungskultur
leben wollen, dezentralisiert in kleineren Gemeinschaften und
mit überschaubaren Strukturen. In diesem Kampf befinden wir
uns. Er wird als ein Krieg gegen die Menschheit ausgetragen,
wozu ich die tödlichen Gefahren einer mRNA-„Impfung“, die
destruktiven Lebens- und Wirtschaftsfolgen eines CO2-Wahns
und die unmittelbar tödlichen Absichten durch Waffenlieferung an die Ukraine zähle. Dass dagegen keine revolutionären
Bewegungen entstehen, wird durch die permanent geschürte
Angst von Bedrohungen erreicht.
Psychiatrisch gesehen, ist es eine erschreckende Wahn-
Symptomatik, wenn aus Angst vor dem Sterben das Sterben
intensiv organisiert wird. Dabei wird Angst hoch effektiv und
erfolgreich inszeniert, wenn ein unsichtbarer Feind, der überall
lauert (Virus), eine globale Bedrohung (Klima) und das absolut
Böse (Putin und die Russen) zur tödlichen Gefahr aufgebaut
werden. Da sehnt man sich nach Schutz und macht „Impfung“,
CO2-Reduktion und Waffenlieferungen zur vermeintlichen Lebensrettung um jeden Preis. Raffiniert erzeugte und geschickt
weltweit propagandistisch inszenierte Ängstigung ist in der
Wirkung gefährlicher als ein lokal eher begrenzter Terror
anschlag. Eine lokale Bedrohung ist für die meisten Menschen
207

dann immer noch weit weg, anders als eine unheimliche Gefahr, die überall lauert und zuschlagen kann.
Mit der Corona-Situation ist Angst weltweit zum zentralen
Herrschaftsmittel geworden. In Deutschland hat eine große
Mehrheit der politischen Klasse und der Bevölkerung angstgetriggert gezeigt, dass sie in der Tiefe ihres psychosozialen
Lebens nicht friedensfähig sind und überraschend schnell mit
großer feindseliger Potenz gegen Ungeimpfte zu Felde ziehen.
Von der sonst so hochgeschätzten Hilfsbereitschaft bei Kata
strophen war nichts mehr übriggeblieben, sie schrumpfte zu
Dankgesängen und Beifall von Balkonen für das Pflegepersonal. Im ganz persönlichen Bedrohungserleben blieb kein Raum
mehr, mit einem Gutmenschen-Szenario vom latenten eigenen
Bösen abzulenken. Werner Reichelt dokumentiert in seinem
Buch „Gegen das Vergessen“ 391 Zitate von Persönlichkeiten
des öffentlichen Lebens, die als Lüge, Hass und Hetze während
der Coronakrise eingeschätzt werden müssen.105 Er hat zusätzlich 97 Corona-Hass- und Schimpfwörter gesammelt. Damit
dokumentiert er eine belliphile Orgie hinter der sozialen Maske
vermeintlich friedfertiger Menschen.
Was sich in Deutschland während der Pandemie ereignete,
empfand ich wie einen Krieg der Regierenden gegen das Volk
und wie einen Bürgerkrieg der Bevölkerung untereinander. Die
105 Werner Reichelt, „Gegen das Vergessen“, Kopp-Verlag, Rottenburg 2023.
Siehe auch die Online-Dokumentation „Ich habe mitgemacht – Das Archiv
für Corona-Unrecht“, wo man über ein Webformular „eklatante Beispiele
für Übergriffigkeiten, menschenverachtende Formulierungen und Drangsalierungen maßgeblicher Personen“ melden und so die bereits vorhandene Sammlung erweitern kann, online: <https://ich-habe-mitgemacht.de>.
Hartnäckig gegen das Vergessen arbeitet überdies der Internet-Radiosender Kontrafunk – Die Stimme der Vernunft, online: <https://kontrafunk.
radio>.

208

zum großen Teil sinnlosen, falschen, schädlichen, gar tödlichen
Anti-Corona-Maßnahmen erschienen mir wie ein diabolischer
Tanz der Irrationalität. Fast jeden Tag musste ich Interpretationen, Entscheidungen und reales Verhalten zur Kenntnis nehmen, deren Absurdität selbst für mich als Psychiater nicht mehr
zu fassen waren. Ich war an einen Grundsatz der Psychiatrie
erinnert: Mit Irren kann man nicht diskutieren, weil der Wahn
sie gefangen hält. Es war Henryk M. Broder, der davon sprach,
wenn man Deutschland überdachen würde, wäre das Land
wie eine „geschlossene Anstalt“. Ich stimme zu und muss doch
auch widersprechen, weil es in der Psychiatrie doch auch engagiertes und hilfreiches Personal gibt und vor allem auch gute
Behandlungschancen, was ich für die deutsche Gesellschaft
zurzeit nicht erkennen kann. In der ausgesprochen hassvollen
Diffamierung, Bedrohung und Ausgrenzung von MaßnahmeKritikern und Corona-Ungeimpften schlugen durch Angst aktivierte, nunmehr ent-staute Gefühle von Millionen Menschen
eine spaltende Frontlinie in der Gesellschaft. Die „Kriegslust“
war demaskiert.
Damit war der Beweis erbracht, dass es selbst in der Bundesrepublik möglich ist, durch permanente politisch-medial geschürte Panik vernunftfrei, praktisch irrational, zu regieren. Für
mich war das der Beweis, dass wir nur in einem Demokratie-
Spiel leben, in dem Menschen Rollen besetzen, die sie schauspielern, die aber nicht wirklich innerseelisch verankert sind
und psychosozial echt gelebt werden. Und ich war aufs Erschreckendste mit einer Realität konfrontiert, deren psychodynamische Grundlagen ich schon immer beschrieben hatte, aber ohne
es für möglich zu halten, dass das Destruktive und Belliphile
noch einmal so ausgelebt werden könnte. Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass ich zwar ausführlich analysiert und geschrie209

ben hatte in der Hoffnung auf eine wohl magische Kraft, die das
mögliche Böse im „Nie wieder“ und „Wehret den Anfängen“
bannt. Aber ich war über die bittere Erkenntnis erschüttert,
dass man die Verhältnisse von 1933 mit heute doch vergleichen
müsse, nicht etwa den Nationalsozialismus mit seinen Verbrechen relativierend, sondern auf die Gefahr hinweisend, dass
sich bei unveränderten psychodynamischen Störungen in den
Menschen erneut Destruktives entwickelt. Wer nicht verstehen
könne, was sich damals entwickelt hat, sollte genauer auf die
aktuellen Verhältnisse schauen.
Die politisch gewollte und geförderte Corona-Panikmache
hat das bisherige Demokratie-Spiel entblößt. Sichtbar wurde,
was mit echten Demokraten nicht möglich gewesen wäre: die
Aufhebung von Grundrechten wie durch einen Staatsstreich
der Exekutive, die Einschränkung der Meinungsfreiheit inkl.
existenzieller Folgen für Kritiker, die Verhinderung echter demokratischer Diskurse, das Verschweigen, Ausgrenzen oder
Diffamieren von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die das
Regierungsnarrativ nicht bestätigt haben, das Unterlassen bis
Verhindern notwendiger Forschung zu Sinn, Wert und Gefahr
aller Corona-Maßnahmen, Behinderung eines investigativen Journalismus, Löschung unerwünschter und vom Regierungsnarrativ abweichender Erkenntnisse und Positionen in
den sozialen Netzwerken, weitgehende Gleichschaltung der
öffentlich-rechtlichen und der großen Printmedien, medial geförderte Hetzkampagnen gegen Andersdenkende, erkennbare
Veränderung der Rechtsprechung zugunsten der politischen
Machtinteressen. Dieser Erfolg der organisierten Panik wird
seitdem als wirkungsvolles Rezept der Herrschaft fortgeführt.
Nach der Todesangst vor einer Infektionserkrankung folgt die
Angst vor dem Weltuntergang durch Klimaveränderungen oder
210

die Angst vor einem großen, Osteuropa und den Balkan sich
einverleibenden Russland, dessen imperialer Appetit nicht zu
bremsen sei.
Alle diese Ängste transportieren eine Todesbotschaft, die
eine unheilvolle passive Tendenz bei vielen Menschen auslöst, sich retten lassen zu wollen. Das wiederum öffnet einem
politisch-ideologisch geführten Irrsinn Tür und Tor.
An den Anti-Corona-Maßnahmen ist inzwischen deutlich
geworden, dass sie kein erfolgreicher Gesundheitsschutz waren,
sondern dass die Schäden, die durch Lockdown, Kontaktsperre,
Distanzgebot, Ängstigung, Maskenzwang und Impfnötigung,
Versäumen rechtzeitiger Diagnostik und Therapie von anderen
Erkrankungen, Vereinsamung und vor allem durch eine umfassende Ängstigung und Freiraumeinschränkung der Kinder
erzeugt wurden, für Jahrzehnte wesentlich größer sind als zunächst zugegeben. Stellvertretend für die vielfachen negativen
Folgen sei nur auf die Statistiken zur Übersterblichkeit und
zum Geburtenrückgang im Zusammenhang mit den Corona-
„Impfungen“ hingewiesen.106
Eine ähnliche Problematik ergibt sich aus der öffentlichen
Position, die Ukraine in ihrem Schutzbedürfnis unterstützen
zu wollen. Tatsächlich aber wachsen mit jeder Waffenlieferung
die reale Zerstörung der Ukraine und die Zahl der Todesopfer.
Und bezogen auf die Angstmache vor der Klimaveränderung,
wachsen mit den Maßnahmen der Energiewende, der Wärme
wende, der „Klimarettung“ und den energiepolitischen Sanktionen gegen Russland die Inflation, die Armut, die Deindus106 Vgl. online: <https://peterdierich.info/corona-informationsblatt> oder
<https://peterdierich.info/aktuelle-informationen> oder <https://multipolarmagazin.de/artikel/impfquote-korreliert-mit-sterblichkeit>.

211

trialisierung und die Vernichtung mittelständischer Betriebe.
So erweisen sich der angebliche Gesundheitsschutz, der Klimaschutz und die militärische Unterstützung der Ukraine als
ausgesprochen irrational und destruktiv, so dass tatsächlich die
Frage beantwortet werden muss: Wem dient das wirklich? Wer
verdient daran? Und wie ist die Zunahme gesundheitsdiktatorischer Maßnahmen, eines Klimarettungswahns und einer
nahezu ungezügelten Kriegspolitik ohne wesentlichen Widerstand möglich?
Ich sehe einen Krieg gegen Wahrheiten und Realitäten. Ich
erkenne einen Krieg gegen die Demokratie durch die finanzkapitalistische Macht. Aus meiner Sicht entfaltet sich folgende
Machtlogik:
1. Die finanzkapitalistische Normopathie ist als politisch-ökonomische Epoche am Ende, was sogar
ihre Nutznießer einräumen, wenn sie am Weltwirtschaftsforum vom großen „Reset“ träumen, von der
Ersetzung des alten Systems durch ein neues, freilich
nicht weniger normopathisches.
2. Mit dem entscheidenden Machtmittel Geld, das in
riesigen Mengen in den Händen einiger Weniger ist,
kann heute praktisch alles und jeder gekauft werden,
direkt und indirekt: durch Bestechung und Korruption, durch Förderung, finanzielle Unterstützungen
politischer Ambitionen und ideologischer Projekte,
durch Sponsoring, Werbung und Propaganda, durch
ständige mediale Wiederholung.
3. Wenn nur einige Tausende der gesellschaftlichen Eliten: Politiker, Wirtschaftsführer, wissenschaftliche
Experten, Journalisten und Prominente aus Kunst
212

und Kultur „gekauft“ sind, dann wird der Einfluss
der Mächtigen zu einem psycho- und gruppen
dynamischen Selbstläufer. Alle Abhängigen, Untergebenen, Karrierebedürftigen werden dann tun, was
ihre Chefs wollen und verlangen. Die Existenz der
Einzelnen hängt im Kapitalismus entscheidend von
der Anpassung an die Herrschaftsstruktur ab. Die
im Demokratie-Spiel noch verbliebenen Freiräume
schmelzen mit der Gesellschaftskrise dahin.
Der durchschnittliche Mensch will trotz Selbstentfremdung
natürlich überleben, macht Schulden, um vermeintlich noch
besser zu überleben, muss die Familie versorgen und will auch
bestätigt werden. Damit zwingt die Geldwirtschaft des Kapitalismus in eine Mitläufer- und Mittäterexistenz. Am Ende wird
das im falschen Leben mühsam Errungene bis zum Untergang
verteidigt. Man muss dabei die Paradoxie sehen, dass Vernichtung, sogar Selbstzerstörung für viele immer noch das kleinere
Übel ist als die Erkenntnis, falsch gelebt zu haben – vor allem
bei narzisstischer Störung.
Wir müssen also eine umfassende Zerstörungskraft zur
Kenntnis nehmen, die ich als eine kollektiv-kathartische Entladung des Gefühlsstaus aus individueller Selbstentfremdung
mit kollektiv gestaltetem falschen Leben einer kapitalistischnarzisstischen Normopathie verstehe. Ich kenne die absurden, irrwitzigen Wege und Inhalte solcher affekt-dominierten
Entladungen in der Einzel- und Gruppentherapie. So bin ich
nicht sonderlich verwundert über den grassierenden Irrsinn
der hochabnormen gesellschaftlichen Entwicklung in der Krise, doch zutiefst besorgt über die unkontrollierte, ungeschützte
psychopathologische Katharsis, die am Ende in den Krieg führt.
213

Es ist wie eine entfesselte Kriegslust der Fremd- und Selbstzerstörung. Denn auch jeder Sieg über einen Feind ist immer
auch eine erhebliche Selbstzerstörung durch Todesopfer, Verwüstungen und psychosoziale Traumatisierung.
Die aktuelle Orgie der Zerstörungswut umfasst ganz allgemein den zerstörerischen Angriff auf
• das bisherige Demokratie-Spiel
• den Frieden
• die friedliche Beziehung mit Russland
• die deutsche Industrie
• den deutschen Mittelstand
• die Energieversorgung
• die Finanzwirtschaft
• den freien Journalismus
• die Rechtsstaatlichkeit
und sehr persönlich den zerstörerischen Angriff auf
• die Familie
• die Kindheit
• die sexuelle Identität
• die Gesundheit
• das Vertrauen
• die soziale Gemeinschaft
• die Meinungsfreiheit
• die Sprache.

214

Schon seit 1911 kursiert Joseph Schumpeters Theorie der
„schöpferischen Zerstörung“,107 die modifiziert auch von Klaus
Schwab als „Kreative Zerstörung“ in der „Vierten industriellen
Revolution“108 beschrieben wird. Die Theorie besagt, dass im
Kapitalismus immer wieder durch neue Produktionsfaktoren
alte Strukturen zerstört werden (müssen), damit neue (ergo
neue Profite!) wachsen können. Dabei revolutionieren nach
Schumpeter die beständigen Innovationen allerdings auch die
sozialen Verhältnisse, entmachten die alten Firmenpatriarchen
und ersetzen sie durch Manager, zerstören Bindungen und vereinzeln so die Menschen, machen die Wirtschaftsstrukturen für
die Beteiligten weniger greifbar und sorgen für Wertewandel.
Für die „Vierte industrielle Revolution“ führt Schwab vor allem
die Roboterisierung und Digitalisierung der Arbeits- und Lebenswelt an, die auch mehr Überwachung, praktisch den „gläsernen Menschen“ bedeutet. Mit der größeren Preisgabe an die
Öffentlichkeit müsse der Mensch lernen, verantwortungsvoller
zu leben.109
Solange eine „kreative Zerstörung“ nicht die psychosozialen
Grundlagen für Friedensfähigkeit und Beziehungskultur in den
Menschen anstrebt und zu schaffen bemüht ist, wird auch eine
„neue Weltordnung“ keinen Frieden bringen können. Bei den
gegenwärtig so häufig absurden und irrationalen politischen
Positionen mit massenpsychologischer Gefolgschaft halte ich
folgende Deutung für möglich: Gemäß der psychoanalytischen
107 Joseph Schumpeter, „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ (1911),
weiterentwickelt zu „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ (1942),
Neuausgabe bei UTB, Tübingen 2020.
108 Klaus Schwab, „Die Zukunft der Vierten Industriellen Revolution“, DVA,
München 2019.
109 Interview Klaus Schwab: https://www.blick.ch/wirtschaft am 09.01.2016

215

Theorie gibt es eine psychische Abwehrleistung – die Reaktionsbildung –, mit der betont das Gegenteil dessen getan wird,
was unbewusst vorliegt, aber nicht erkannt werden soll. Bezogen auf das Thema des Buches: Es wird das unbewusst Belliphile
in betont Paziphiles verwandelt. Eine solche Reaktionsbildung
gibt für die aktuelle gesellschaftliche Situation in Deutschland
ein mögliches Erklärungsmodell. So lassen sich Irrationalitäten
erklären, dass eine unbegrenzte und unkontrollierte Zuwanderung zugelassen und als Akt der Humanität gefeiert wird,
dass über eine selbstverständliche Obergrenze der Einwanderung gar nicht geredet werden darf, dass Migranten besser versorgt werden als Alte, Kinder und Bürgergeldbedürftige bzw.
Geringverdiener. Auch im Kampf gegen Klimaveränderung
will deutsche Politik ein Vorbild für alle Welt sein und verliert
sich in irrationalen Maßnahmen der Energiewende. Und am
schlimmsten wird eine Reaktionsbildung im propagandistischen Glauben, durch Waffenlieferungen an die Ukraine einen
gerechten Frieden schaffen zu können.
Wir müssen leider davon ausgehen, dass es weiterhin eine
massenhafte frühe Selbstentfremdung gibt, deren Gefühlsstau eine starke belliphile Tendenz verursacht. Das war schon
eine wesentliche Quelle deutscher verbrecherischer Schuld im
Nationalsozialismus, die psychodynamisch weder wirklich
verstanden noch aufgelöst worden ist. So verführen die weiterhin bestehenden entwicklungspsychologischen Selbstentfremdungen des falschen Lebens im Zusammenhang mit der
Last vergangener elterlicher und großelterlicher Schuld zur Reaktionsbildung einer betonten Humanität. Das demonstrativ
gelebte „Gute“ soll das latente „Böse“ unter Kontrolle halten.
Mit den Reaktionsbildungen wie Aufnahme „aller“ Migranten,
bedingungslose „Klimarettung“, Kriegswaffenlieferungen für
216

„Frieden“ wird das latent Belliphile betont verleugnet, kommt
dann aber in den destruktiven Folgen der Massenzuwanderung, der Energiewende, der Impfung, des Kriegführens zur
erschreckenden Realität.

217

17 Meinung – Glauben – Vertrauen

Ich hoffe, dass es mit meinen Analysen verständlich geworden ist, dass persönliche Meinungen nie eine objektive Wahrheit darstellen, sondern immer nur eine subjektive Abbildung
komplexer psychosozialer Prozesse sein können. Da spielen die
Persönlichkeit, die Intelligenz, die Bildung, die soziale Situation und die vielfache Beeinflussung (politisch, ökonomisch,
ideologisch, moralisch, religiös) als ein Orchester ein ganz persönliches Konzert. Für Ansichten, Haltungen, Positionen sind
die Folgen von Frühtraumatisierung von größtem Einfluss. Sie
formen, was man sich wie aus Selbstentfremdung zurechtdenkt
bzw. was zu denken erwartet bis gefordert wird. Auf jeden Fall
besteht die größte Gefahr darin, einfach zu übernehmen, was
eine scheinbare Mehrheit denkt und tut. Ich benutze hierbei
schon das Attribut „scheinbar“, weil auch keine Statistik Mehrheitsmeinungen objektiv abbildet.
Bezogen auf die ängstigenden Darstellungen zur Corona-
Pandemie, zum Klimawandel und dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine gibt es viele und auch widersprüchliche Meinungen für nahezu alle Berichte, Statistiken und
wissenschaftliche „Beweise“. Ich gestehe, ich weiß in aller Regel
nicht, was richtig und wahr ist, ich bleibe auf Glauben und
Vertrauen angewiesen. Zu Fragen von Nutzen und Schaden der
Anti-Corona-Maßnahmen gibt es reichlich Anhaltspunkte –
vor allem zu den schädlichen Folgen –, aber keine unstrittig
gesicherten Erkenntnisse. Vermutlich wird es sie auch nie geben. Ich weiß nicht wirklich, ob der Klimawandel menschengemacht ist – die einen sagen so, die anderen sagen so, und alle
219

berufen sich auf wissenschaftliche Belege. Ja, ich bin überzeugt
davon, dass Russland einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen
die Ukraine führt, den ich entschieden verurteile. Ich sage: Ich
bin „überzeugt“ davon, das ist meine Meinung, aber ich bin
nicht persönlich dabei und weiß nicht wirklich etwas davon,
weshalb dieser Krieg geführt wird und wer alles und wie daran beteiligt ist. Ich bin auf Informationen angewiesen, von
denen ich prinzipiell weiß, dass sie nie objektiv sein können,
sondern immer subjektiv beeinflusst und interessengeleitet
manipuliert, verzerrt, einseitig und gelogen sein können. Alle
Nachrichten, Dokumentationen, Augenzeugenberichte können über ein reales Ereignis informieren (z. B. über ein Sportergebnis, ein Unfallgeschehen, einen Todesfall, eine politische
Entscheidung, ein Gesetz u. v. m.), aber in jede Interpretation
des realen Ereignisses fließen dann subjektive Absichten, Interessen, Tendenzen ein, mit denen Informationen zu Meinungen
transformiert werden.
Auch meine Meinung über Selbst-Erlebtes bleibt nur subjektive Aussage. Eine Situation, die von mehreren Menschen
zeitgleich erlebt wird, wird von jedem Beteiligten unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert. Beschimpfende Bezeichnungen wie „Covidioten“ vs. „Schlafschafe“, „Klimaleugner“ vs. „Klimahysteriker“ sind nicht nur Symptome belliphilen
Hasses, sondern in sich schon absurd und unsinnig, weil es
keine eindeutig objektiv-gesicherte Position zu „Corona“ oder
„Klima“ gibt oder geben kann. Solche diffamierenden Worte
können nur als politisch-ideologische Waffen verstanden werden. Auch meine Interpretation von Frühstörungen mit ihren
Folgen für Friedensfähigkeit und Kriegslust sind meine subjektive Meinung. Ich kann mich zwar auf theoretisches Wissen
und vor allem auf empirische Therapieerfahrungen stützen,
220

aber zur Rezeption gehören Vertrauen, Glaube und kritische
Auseinandersetzung. Ein bloßer Meinungsstreit für Pro und
Contra auf der Sachebene bleibt zumeist ungeklärt. Beide Seiten haben recht und unrecht zugleich. Der Aussagewert einer
subjektiven Meinung wird verbessert, wenn auch die ganz persönliche Motivation erkennbar wird, wieso man diese Meinung
vertritt, worum ich mich auch im ersten Kapitel dieses Buches
bemüht habe. Dabei geht es um Glauben und Vertrauen. Wem
also glaube ich? Wem kann ich vertrauen? Das ist immer nur
ein Prozess! Erfahrung! Versuch und Irrtum! Der Weg ist das
Ziel! Der Weg zur Wahrheit ist unendlich!
Wie gehe ich mit Glauben um?
Ich weiß um die Verführungskraft der cognitive ease („kognitive Entlastung“),110 dass Tatsachen, die einem allgemeingültigen Verständnis von Vernunft entsprechen, das kognitive
System stark entlasten, weil man dann ohne größere kognitive Anstrengungen leicht glauben kann. Und ich weiß um die
große Gefahr, wie die eigene Vernunft aus Selbstentfremdung
verzerrt sein kann. Auch, was allgemein für vernünftig eingeschätzt wird, ist subjektiv.
Meine Einstellung zum Glauben lautet:
• Mein Wissen ist immer begrenzt und subjektiv eingeengt. Ich bin also auf Glauben angewiesen.
• Ich informiere mich aktiv so breit wie möglich (Information ist eine Holpflicht).

110 Vgl. online: <https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/mental-
convenience-51862/version-275013>.

221

• Ich bin bemüht, zu allen Informationen, die ich mir
geholt habe, abweichende und gegenteilige Positionen
zu finden.
• Ich bin bemüht, über unterschiedliche Information
mit anderen Menschen im Verstehen-Wollen zu kommunizieren.
• Ich bin bemüht, unterschiedliche Positionen nicht zu
bewerten, sondern individuelle Motive und soziale
Hintergründe zu erforschen und zu verstehen.
• Ich bin bereit, meine eigene Meinung gemäß meiner
Selbstentfremdung als einseitig bis falsch zu verdächtigen.
• Ich bin bereit, mich in der dynamischen Auseinandersetzung mit neuen Erkenntnissen, zu korrigieren.
Wie gehe ich mit Vertrauen um?
Ich bin in vielen Dingen und Lebenslagen auf Hilfe, Unterstützung, Beratung angewiesen. Dabei muss ich Vertrauen aufbringen. Ich weiß aus meiner therapeutischen Arbeit, dass viele
Menschen aus nachvollziehbaren Gründen schwer oder nicht
vertrauen können, weil sie schon oft belogen und betrogen worden sind, vor allem durch die Frühtraumatisierung verlogener
„Liebe“. Ich lasse mich in der Vertrauensfrage im persönlichen
Kontakt von meiner Lebenserfahrung leiten, wem ich vertraue
und wem nicht. Im Laufe der Jahre sind die Fehleinschätzungen
dabei geringer geworden. Neben dem subjektiven Vertrauen
oder Misstrauen sind für mich die ausführliche Kommunikation, das gegebene Wort, die verabredete Vereinbarung Träger
des Vertrauens. Überdies ganz wichtig: wie jemand Fehler, Irrtümer zugeben, eigene Schwächen gestehen, ehrlich bereuen
und sich entschuldigen kann. Die ehrliche Einsicht in Fehlver222

halten mit kritischer Reflexion der Ursachen und Hintergründe
ist für mich die beste Voraussetzung, um vertrauen zu können.
Im Privaten ist das für mich noch relativ leicht. Ich gebe
fast immer einen Vertrauensvorschuss, der eventuell mit den
genannten Kriterien eingeschränkt wird und dann neu aufgebaut werden kann. Hinsichtlich öffentlicher Personen mit veröffentlichten Positionen bin ich grundsätzlich misstrauisch.
Persönlichen Aussagen kann ich nur vertrauen, wenn die ganz
individuelle Motivation und die Interessen mit offenbart werden. Das ist sehr selten. Am wenigsten kann ich Menschen an
der Macht vertrauen, weil ich weiß, dass jede Machtposition aus
einer individuellen Problematik heraus erreicht worden sein
kann, dass Machtinteressen und Wahrheit selten korrelieren.
Überhaupt kein Vertrauen kann ich aufbringen, wenn ich
feststellen muss, dass kritische Stimmen oder Andersdenkende diffamiert und ausgegrenzt werden. Dann bin ich ziemlich
sicher, dass man den Meinungen der Macht nicht glauben darf
und auf keinen Fall vertrauen kann. Und das aus einem ganz
simplen Grund: Wer die Wahrheit spricht oder von seiner Position mit guten Argumenten überzeugt ist, braucht keine Kritik
zu fürchten. Eher im Gegenteil, denn im ehrlichen Bemühen
um Wahrheiten und realitätsgerechtes Erkennen sind Kritiker
die besten Helfer. Um dann meine Vertrauenschancen zu verbessern, orientiere ich mich vor allem an den Positionen der
Kritiker, die ja heute schnell zur Wahrheitsabwehr als „Verschwörungstheoretiker“ abgewertet werden. Nicht etwa, dass
ich jetzt diesen Menschen vertrauen würde, aber im Puzzle
verschiedenster bis gegensätzlicher Positionen, im kommunikativen Austausch mit anderen, in Orientierung am „gesunden Menschenverstand“ und vor allem anhand meiner eigenen
Lebenserfahrung lerne ich Realität zu erkennen und meiner
223

Wahrnehmung und Deutungserfahrung zu vertrauen, nie absolut, immer in neuer Einsichts- und Veränderungsbereitschaft.
Billiger ist Friedensfähigkeit nicht zu erreichen.

224

Ein Epilog

Unser Gewissen sei nicht der unbeugsame Richter, für den die
Ethiker es ausgeben, urteilte Sigmund Freud: „Es ist in seinem
Ursprunge ‚soziale Angst‘ und nichts anderes. Wo die Gemeinschaft den Vorwurf [Töten sei böse] aufhebt, hört auch die Unterdrückung der bösen Gelüste auf, und die Menschen begehen Taten von Grausamkeit, Tücke, Verrat und Rohheit, deren
Möglichkeit man mit ihrem kulturellen Niveau für unvereinbar
gehalten hätte.“111 Stimmt das, so gibt es keine innere Instanz,
die uns absolut verlässlich davon abhält, Mord und Totschlag
zu begehen, sobald das für unsere Umgebung in Ordnung geht.
Alles hängt dann vom äußeren Rahmen ab. Und tatsächlich
liefert die Geschichte der Kriege zahlreiche Beispiele für den
Verlust jeglicher Menschlichkeit in Situationen, wo die vorher
geltenden Normen nicht mehr zählen: im Kampf an der Front
beim Einsatz völkerrechtswidriger Mittel, bei verbrecherischen
Übergriffen auf die Zivilbevölkerung, beim Massenmord in
Vernichtungslagern. Aber im Grunde verlassen Männer und
Frauen, die nach der Einberufung ihren militärischen oder
paramilitärischen Dienst tun, nicht erst bei den verbrecherischen Auswüchsen des Krieges jenes „kulturelle Niveau“, von
dem Freud sprach. Sondern schon das Töten aus Gehorsam, das
„einfache“, im Krieg als ganz normale geltende „Handwerk des
Soldaten“ ist ein schwerer Zivilisationsbruch.

111 Sigmund Freud: „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“ (1915). Gesammelte
Werke Bd. X: S. 330.

225

Wie lässt sich verhindern, dass es überhaupt dazu kommt?
Hat Freud recht, und Menschen geben sich zu den schrecklichsten Dingen her, sobald der Wind sich dreht, der ihnen dies
zuvor verbot, so bieten Recht und Moral, Anstand und Sitte
keine Garantien, denn sie sind formbar und passen sich flexibel
den Interessen der Mächtigen an.112 Damit das Gewissen nicht
nur „soziale Angst“ ist, sondern eine standhafte innere Instanz,
muss der Mensch früh zur Autonomie angeleitet werden.
Dem entspricht das Anliegen dieses Buches:
• Ich will verständlich machen, dass Friedensfähigkeit und Kriegslust innerseelisch begründet sind. Die
entscheidende Weiche für Frieden oder Krieg wird in
den ersten drei Lebensjahren durch die frühe Beziehungsqualität im Verhältnis Gesellschaft-Eltern-Kind
gestellt.

112 Dass höchste Normen nichts mehr gelten, wenn sie einer Kriegspartei im
Wege sind, bewies etwa die Entscheidung der USA im Sommer 2023, der
Ukraine in ihrem Kampf gegen Russland Streumunition zu liefern, obwohl
den Sicherheitsberatern des US-Präsidenten klar war, dass der Einsatz
dieser Munition völkerrechtswidrig ist. Daran ändert auch der Umstand
nichts, dass die USA und die Ukraine dem am 1. August 2010 in Kraft
getretenen Verbotsabkommen nicht beigetreten sind. Schon 1996 hat der
Internationale Gerichtshof in einem Gutachten festgestellt, es sei eine der
„kardinalen Prinzipien“ des humanitären Völkerrechts, dass Staaten „niemals Waffen einsetzen dürfen, die nicht zwischen zivilen und militärischen
Zielen unterscheiden können“. Das ist aber bei der Streumunition der Fall,
weil sie einerseits beim Einsatz streut – also nicht präzise eingesetzt werden
kann – und weil andererseits ein Teil der Submunition nicht explodiert
und somit zu Landminen wird. Dass Deutschland (als Unterzeichner-Staat
des Verbotsabkommens) die Lieferung billigt und ihren Transport über
deutsches Staatsgebiet erlaubt, setzt die Bundesregierung in kein gutes
Licht.

226

• Ich mache darauf aufmerksam, dass es politisch-
ökonomische, also Macht- und Profitinteressen gibt,
die eine Frühbetreuung von Kindern sozialpolitisch
und ideologisch so beeinflussen, dass über eine massenhafte Frühtraumatisierung eine spezifische Gesellschaftspathologie gestaltet werden kann. Für eine
finanzkapitalistische Normopathie sind vor allem narzisstische Persönlichkeitsstörungen notwendig.
• Auch wenn Eltern unter einen erheblichen ökonomischen, moralischen und ideologischen Druck gesetzt
werden, bleibt ihnen, wegen der die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder prägenden Kraft der ersten
Lebensjahre, eine ganz besondere Verantwortung für
Frieden oder Krieg.
• In einer normopathischen Gesellschaft ist es nicht
möglich, den Kindern schwerwiegende Belastungen
zu ersparen: Werden sie nach den Werten und Anforderungen der Gesellschaft erzogen, erfahren sie eine
Selbstentfremdung, die die Menschen früher oder
später krank macht oder böse werden lässt. Bieten
Eltern dagegen ihren Kindern eine empathische und
liebevolle Beziehungskultur, dann werden diese Kinder mit permanenten Konflikten in der Kita, in der
Schule und Gesellschaft leben lernen müssen.
• Ich habe die fünf möglichen Verhaltensoptionen:
◦ Anpassung
◦ Widerstand/Protest
◦ Subversität
◦ Rückzug
◦ Gemeinschaft

227

in meinem Buch „Angstgesellschaft“ ausführlicher
beschrieben.113 Dabei vertrete ich die Auffassung,
dass jeder Mensch zu jeder Zeit, in jeder Situation
entscheiden kann und verantworten muss, in welcher Verteilung und welcher „Dosis“ er nach diesen
Verhaltensoptionen leben kann und möchte. In einer
Normopathie, wozu ich auch eine Gesellschaft im
Demokratie-Spiel zähle, wird die freie Wahl des Verhaltens erheblich eingeschränkt sein. Aber es bleiben
immer, auch in einer Diktatur, Freiräume, die mit
Mühe und unter Gefahren gefunden und gestaltet
werden können.
• Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes lautet: „Die
Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten
und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Diese gesetzliche Verankerung der Würde des
Menschen halte ich für eine großartige Bestätigung
des humanitären Geistes unseres Grundgesetzes. Und
doch fehlt die Ergänzung um die persönliche Verantwortung der Würde. Die staatliche Gewalt kann die
menschliche Würde schützen, aber die Entscheidung,
in Würde zu leben und sie durch alle Krisen hindurch
wahren zu wollen, liegt allein bei mir selbst. Selbstentfremdung verletzt die Würde des Menschen erheblich. Ein jeder wird dafür sorgen müssen, in Würde
leben zu lernen. Lebt er in der ihm auferlegten Selbstentfremdung weiter, hat er die Würde schon längst
verloren. Kinder können diese Entscheidung für sich
113 Vgl. das Kapitel „Der 3. Weg“ in: Hans-Joachim Maaz, „Angstgesellschaft“,
Verlag Frank & Timme, Berlin 2022.

228

noch nicht treffen, Umso mehr ist die Staatsgewalt
verpflichtet, ihre grundgesetzlich garantierte Würde
schon ab Schwangerschaft und Geburt zu schützen.
Diesen Schutz sehe ich durch z. B. eine ideologischökonomisch begründete, zu frühe Fremdbetreuung
der Kinder nicht gewährleistet.
Daraus ergeben sich für mich zwei wesentliche Forderungen
für die Gesellschaftsentwicklung zu einer wahren Demokratie:
1. Die optimale Frühbetreuung der Kinder muss absolute Priorität haben, damit wesentlich weniger
Selbstentfremdung durch Frühtraumatisierung geschieht und damit potentielle Kriegslust verhindert
oder wesentlich eingeschränkt wird und Friedensfähigkeit und damit innerseelische Demokratie entwickelt werden kann.
2. „Politiker“ muss zwingend zu einem erlernbaren Beruf mit Ausbildung auf akademischen Niveau mit
Abschlussprüfung und Eignungsprüfung erhoben
werden. Es darf keine Demokratie-Spieler mehr
geben, die sich im undurchsichtigen narzisstischen
Gerangel an die Macht bringen oder von „höheren
Mächten“ entsprechend an die Macht gehievt werden. Das Demokratie-Spiel wird immer absurder,
wenn – nehmen wir das Ergebnis der Bundestagswahl 2021 – die Rettung aus einer gesellschaftlichen
Fehlentwicklung von Menschen an der Macht erwartet wird, die nur 14,8 Prozent (Grüne) oder gar
nur 11,5 Prozent (FDP) der Wählerstimmen bei
einer Wahlbeteiligung von nur 76,6 Prozent be229

kommen haben. Das bedeutet, dass sich von den
deutschen Wahlberechtigten insgesamt 88,7 Prozent
nicht für „grün“ entschieden haben. Dann diktieren
Minderheiten, die von einer großen Mehrheit nicht
gewählt wurden, die Politik. Eine Demokratie muss
anders gehen! Es braucht Politiker als ausgebildete
und geprüfte Fachleute für das politische Geschäft.
Für entsprechende Fachkompetenz sollte es eine entsprechende Weiterbildung geben, wie in der Medizin
zu den Facharztbereichen. Und wie dann der Regierungsvorstand aus Fachexperten gewählt werden
kann, muss neu gefunden werden. Die Parteien
demokratie erweist sich gegenwärtig als zumindest
obsolet, wobei eine große Gefahr erkennbar wird,
dass nicht mehr Sachverstand, sondern Ideologie
regiert. Die Geschichte hat uns gelehrt, wie groß die
Gefahr ist, dass politische Führungspersönlichkeiten
aus ihrer Selbstentfremdung und Psychopathologie
menschenfeindliche bis verbrecherische Entscheidungen zu verantworten haben. Deshalb ist der Weg
an die Macht grundsätzlich neu zu gestalten und zu
sichern, dass eine innerseelische Demokratiefähigkeit bei Führungspersönlichkeiten gegeben ist.

https://www.frank-timme.de/de/programm/produkt/friedensfahigkeit-und-kriegslust

Anonymous

Was ist Kriegslust12.04.25

Information Epoch 1766391712